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Schlafende Nachrichtensprecher

Das Radio als Institution, sein Programmschema als Struktur des Tagesablaufs, seine Formate als Erzählformen - immer wieder hat sich der in Tel Aviv geborene Multimediakünstler Eran Schaerf mit dem Rundfunk als kommunikativem Phänomen auseinandergesetzt. In dem Hörspiel "Die Stimme des Hörers" etwa erfand er einen Apparat, mit dem fiktive Radiohörer wiederum ihr eigenes Radioprogramm erfanden. Die Jury der Akademie der Darstellenden Künste wählte es zum Hörspiel des Jahres 2002.

Von Frank Olbert | 18.07.2009
    In seiner neuen Arbeit, "Heute ist Mittwoch, der 10. Dezember", nähert sich Schaerf dem Radio von der anderen Seite, nicht der Hörer, sondern der Nachrichtensprechers steht im Mittelpunkt - oder genauer gesagt, er steht nicht, er schläft. Weil er wegen seines kranken Kindes eine unruhige Nacht hatte, ist er im Studio eingenickt. Zwei Minuten lang ist pure Stille auf Sendung. Menschliches Versagen als plötzlicher Bruch der Routine. Um Unvorhersehbares ging es auch in dem Vortrag, den Eran Schaerf beim diesjährigen Hörspielsymposion an der Eider gehalten hat.

    Herr Schaerf, welche Unvorhersehbarkeiten interessieren Sie?

    In dem Vortrag ging es um verschiedene Formen, in denen das Unvorhersehbare in die Sendung hineinbricht., wie zum Beispiel der Wellenkrieg des jüdisch-orthodoxen und des arabischen Piratensenders, die beide auf ihre Weise versuchen Frequenzen der offiziellen, singulären "Stimme Israels" zu übernehmen, um zu Wort zu kommen.

    Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren kontinuierlich mit dem Radio. Wie ist dieses Interesse entstanden?

    Die starke Auseinandersetzung mit dem Medium hat sich während meiner künstlerischen Entwicklung etabliert. Ich habe ja Architektur studiert und bin erst einmal als Künstler tätig gewesen. Erst nach guten zehn Jahren im Kunstbetrieb habe ich angefangen, für das Radio zu arbeiten. Mich interessierten Sprache und Radio nicht in ihrer Funktion der Mitteilung, sondern in ihrer Funktion als Medium. Ich sehe das Medium nicht als Mittel zum Ausdruck dessen, was ich ausdrücken will, sondern es drückt ganz von sich aus viel aus, ob ich das will oder nicht.

    Sie arbeiten immer wieder mit dem Sprecher Peter Veit zusammen. Wie kam es dazu?

    Seit meinem ersten Hörspiel "Theater- oder Taxistück" 1997 hat es mich nicht so interessiert mit Schauspielern zu arbeiten. Ich habe die Abteilung "Hörspiel und Medienkunst" beim Bayerischen Rundfunk gebeten, dieses Stück mit Nachrichtensprechern realisieren zu können. Das hat damit zu tun, dass meine Hörspiele nicht auf Handlungen, nicht auf Charakteren beruhen. Mich interessiert Stimme nicht als Repräsentant für eine bestimmte Person, sondern als Format, wie es das Radio hervorgebracht hat. Zum Beispiel erkennt man, wenn man das Radio einschaltet, sofort an der Art der Stimme, die man hört, dass da gerade Nachrichten laufen oder eine Sendung mit Hörerbeteiligung oder ein Feature. So haben mich Nachrichten immer als Erzählform interessiert. Mein erstes Hörspiel habe ich also mit dem Nachrichtensprecher Peter Veit realisiert. Als es dann an die Realisierung meines zweiten Hörspiels ging, dachte ich, er ist die Stimme meiner Stücke.

    Und diese Geschichte mit dem schlafenden Nachrichtensprecher ist von ihm?

    Irgendwann in einer Pause zwischen Aufnahmen erzählte er mir davon. Und ich dachte, ja das ist interessant, denn ich habe ihn immer als beruflich geschulte Stimme engagiert, nicht als jemand, der einen Charakter ausdrückt. Und hier habe ich eine Geschichte, die etwas völlig anderes von ihm zeigt, etwas das real und sehr persönlich ist. Das Thema ist eines, das interessant sein kann: Schweigen im Radio. Was aber eigentlich für mich interessant war, war zu sehen, was diese Unvorhersehbarkeit hervorgerufen hat. Schon am nächsten Tag gab es eine unglaubliche Anzahl an Zeitungsartikeln. Und bis ins nächste Jahr hinein kam eine unglaubliche Menge von Hörerbriefen. Dieses Einschlafen, das Nicht-Funktionieren war also nicht nur für den Sender selbst ein Ereignis, sondern auch für den Hörer.

    Ja, das ist ja etwas sehr Menschliches. Aus dieser Sprechmaschine wird plötzlich jemand, der da einfach pennt.

    Peter Veit bekam zum Beispiel einen Brief der Nachrichtenredakteure von RadioFFN, die meinten, sein Einschlafen sei nicht menschliches Versagen gewesen, sondern eine äußerst menschliche Reaktion.

    Eran Schaerfs neues Hörspiel "Heute ist Mittwoch, der 10. Dezember" stellt Bayern2Radio am Sonntag, den 26. Juli um 15 Uhr und in einer Wiederholung am Montag, den 27. Juli um 20.30 Uhr vor.