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Schleichender Einmarsch des Gen-Food

Biologie. - Eigentlich sollte am Montag in der EU eine Entscheidung fallen, ob eine bestimmte Sorte gentechnisch veränderten Gemüses zukünftig in die Alte Welt importiert werden darf. Allerdings konnten sich die Agrarexperten nicht darauf einigen, die zumindest hübsch anzusehenden gelben Kolben des so genannten Bt11-Mais auch auf die Frischetheken europäischer Supermärkte zu lassen. Jetzt bleiben den Landwirtschaftsministern der Mitgliedstaaten drei Monate Zeit, um über das Schicksal des aufgepeppten Zuckermais zu entscheiden. Doch auch bei einer Zulassung wäre dies nicht das erste Mal, dass die Verbraucher mit Gen-Food in Berührung kommen.

08.12.2003
    Der Maiszünsler macht Landwirten, die Mais anbauen, das Leben schwer, denn das Insekt hat es auf die Pflanzen abgesehen. Bislang einziger Ausweg gegen die Plage ist der Einsatz harter Gifte oder eben eine inzwischen nicht mehr ganz neue Wunderwaffe: den so genannten Bt11-Mais. Der Clou der aufgemotzten Zuckermaissorte liegt in einem zusätzlichen Gen, mit dessen Hilfe die Pflanzen den Raupen ihren Appetit verderben, denn das zugefügte Erbgut sorgt dafür, dass der Mais selbst ein wirksames Insektizid bildet. "Bt11 ist als Stärkemais eigentlich schon lange Zeit in den Vereinigten Staaten auf dem Markt und hat zumindest als Lebensmittel eine Zulassung in Europa erhalten", berichtet Detlef Bartsch, beim Robert Koch Institut zuständig für die Umweltwirkung von gentechnisch veränderten Pflanzen. Daher gehe es bei den Beratungen der EU vor allem um eine formelle Einfuhrgenehmigung des Zuckermais nach einer neuen Freisetzungsrichtlinie. Denn die neuere Zuckermaisvariante erhielt nicht per aktiver Genmanipulation seine besondere Abwehrkraft, sondern erbte sie aus schlichter Züchtung von der Stärkemais-Variante des Bt11. Die gentechnische Veränderung fand sich also schon bisher in unseren Maisprodukten und musste nicht deklariert werden, sofern der Mais-Anteil unter einem Prozent lag.

    Das Bundesinstitut für Risikoforschung, zuständig für die gesundheitliche Bewertung neuartiger Lebensmittel, hegt keine Bedenken gegen den Verzehr und damit auch gegen die Einfuhr, da bislang aus dem Ausland keine Gesundheitsschäden durch Bt11 bekannt wurden - trotz massenhaften Verzehrs. Dennoch könnte noch einige Zeit vergehen, bis auch hierzulande Bt11 auf dem Feld dem Maiszünsler den Garaus bereitet, schätzt Bartsch: "Weil die Verfahren so lange dauern werden, rechne ich nicht mit einer Zulassung von Bt11-Mais im kommenden Jahr, sondern eher für das Jahr 2005." Zwölf Arbeitsgruppen, die alle durch die Universität Aachen koordiniert werden, untersuchen hierzulande die Effekte von Bt11 auf seine Umwelt und vergleichen seinen Anbau mit konventionellen Sorten. Die wiederum gehen mit und ohne chemischen Pflanzenschutz in die Beobachtung ein. "Dabei stießen wir auf einen großen Unterschied, wenn wir ein chemisches Insektizid spritzen, das sich vor allem gegen Blattläuse, aber auch gegen nützliche Insekten richtet. Weil sich die Blattläuse aber viel schneller erholen als die Nützlinge, sind sie hinterher zahlreicher als auf unbehandelten Feldern", schildert der Experte. In BT-Mais-Feldern verhielt sich die Belastung mit Schädlingen dagegen vergleichbar mit der unbehandelter Anbauflächen. "Konventioneller Mais, der mit chemischen Insektiziden behandelt wird, ist in Hinsicht auf diese Biodiversität eher schlechter zu bewerten als BT- oder unbehandelter Mais."

    Weil aber das Forschungsverbund-Projekt in Aachen noch nicht völlig abgeschlossen ist, wartet Detlef Bartsch noch auf die abschließende Bewertung. In jedem Fall aber, so unterstreicht er, müsse auch in Zukunft jede neue gentechnische Veränderung im Einzelfall bewertet werden: "Die Debatte über die Risiken durch gentechnisch veränderte Pflanzen muss weg kommen von einem pauschalen Ja oder Nein und hin zu einer differenzierten Betrachtung der Gentechnik." Zwar lägen sicher Risiken in der Technologie, doch besitze sie auch durchaus sinnvolle Aspekte. Eine solche Diskussion ist dringend nötig, denn die nächste Plage ist bereits auf dem Weg, der so genannte Maiswurzelbohrer. Das Insekt schaffte den Sprung aus den USA nach Ex-Jugoslawien und steht bereits vor den Toren Deutschlands. "Dann haben wir eigentlich nur noch die Wahl, den Maisanbau ganz aufzugeben, oder umfangreich Insektizide einzusetzen. Oder aber wir setzen eine neu entwickelte BT-Maissorte ein. Mehr Optionen bleiben nicht." Damit dürfte die Europäische Union allerdings kaum eine Ruhepause in Sachen Gen-Food erhalten.

    [Quelle: Grit Kienzlen]