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Schön und schnell

Die Geschwindigkeit und die flotte Form haben in Italien Geschichte gemacht: Die Vespas rasen heute noch laut durch die Altstädte, die Ferraris sind legendär. In Rom widmet seit gestern der Palazzo delle Esposizioni dem "Mito della Velocità” eine Ausstellung über Kunst, Motoren und Gesellschaft im 20. Jahrhundert.

Von Thomas Migge | 20.02.2008
    "Als ich vor einigen Jahren begann, mir Gedanken über diese Ausstellung machen, war mir klar, dass sie deutlich machen sollte, dass das Thema der Schnelligkeit bei uns in Italien immer etwas mit Kunst und Design zu tun hat. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts. Nehmen Sie nur Marinetti. Für dieses futuristische Allroundtalent war die Schnelligkeit die neue Muse schlechthin."

    Patrizia Pietrogrande hat eine Kunstausstellung organisiert, für die Römer seit gestern Schlange stehen. Die Architektin und Kunsthistorikerin führt uns im Palazzo delle Esposizioni durch riesige Säle, in denen Oldtimer und hypermoderne Entwürfe für Autos der Zukunft stehen, Produkte italienischer Unternehmen, Faxgeräte und Telefone von Designern wie Ettore Sottsass und Renzo Piano, Abendroben von Valentino und anderen Modemachern, Gemälde von Giacomo Balla und anderen futuristischen Malern, die Flugzeuge und Maschinen darstellen. Komplette Flugzeuge hängen von den hohen Decken der Säle und eine eigentümliche Maschine, entwickelt von dem Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia, leuchtet immer dann auf, wenn kosmische Strahlen mit Lichtgeschwindigkeit auf die Erde stoßen. Schnelligkeit in allen Formen und Varianten.
    Patrizia Pietrogrande:

    "Es ist vor allem das Design, die Kunstform Design, die seit Beginn des letzten Jahrhunderts unsere Maschinen, Autos und Haushaltsgeräte verschönert. Das Design verleiht der Schnelligkeit ein gewisses Sexappeal. Ihr Deutschen produziert tolle Autos, aber sie haben nicht das Sexappeal eines Alfa Romeo oder eines Ferrari."

    Die Kuratorin nennt ihre Ausstellung wegen der vielen unterschiedlichen Objekte auch Geschwindigkeits-Wunderkammer. Im 20. Jahrhundert, so ihre These, exisierte vor allem in Italien eine intensive Beziehungen zwischen der Schnelligkeit und allen Kunstformen, Design, Industrie und Wissenschaft inklusive. Alles, was mit Schnelligkeit zu tun hat, so Patrizia Pietrogrande, wurde durch den kreativen Geist der Italiener verschönert, ästhetisiert:

    "Eine Beziehung zwischen Kunst und Schnelligkeit findet sich auch in anderen Ländern, aber bei uns ist diese Verbindung besonders deutlich geworden."

    Eine These, die in sechs Ausstellungssektionen sinnfällig dargestellt erläutert wird. Ausgehend vom "Mythos der Schönheit der Schnelligkeit", ein Begriff aus der Sprache der Futuristen. Es war vor allem die futuristische Ästhetik, die alles, was schnell, was maschinell schnell ist, vergötterte und in Form von Literatur, Fotografie, Film und Malerei künstlerisch umsetzte. Futuristen schufen bunte Kleidung mit extravaganten Schnitten, die in keiner Weise der damaligen Mode entsprach, revolutionierten die Malerei mit abstrakten Darstellungen schnell arbeitender Maschinen, fliegender Kampfjäger und laufender Menschen. Die Ausstellung zeigt Werke von Balla, Depero und Boccioni, den Meistern dieser Kunstrichtung. Schade ist, dass die Beziehung Schnelligkeit und Faschismus nicht thematisiert wird - eine Beziehung, die eine der Grundideen des vielbeschworenen neuen faschistischen Menschen und der faschistischen Gesellschaft war. Dass das Regime des Benito Mussolini die ikonographischen Grundgedanken des Futurismus auf eine politische Weise umdeutete, wird nicht erläutert. Dass diese Umdeutung konkrete Realität war, zeigen aber die in der Ausstellung zu sehenden Plakate und Gemälde, die den Kampfgeist faschistischer Soldaten und Kampfflieger beschwören sollten.

    Das von den Futuristen vorgegebene und vom Faschismus propagierte Thema der Schnelligkeit hat die bildenden Künste Italiens auf Jahrzehnte hin beeinflußt. Das werde besonders deutlich, meint Patrizia Pietrogrande, in der Sektion 1930 bis 1950 unter dem Titel ³Die Schnelligkeit in der Form²:

    "Das Kino zum Beispiel. Da werden Mopeds und Autos italienischer Produktion hervorgehoben. Das schnelle Sich-bewegen wird im neorealistischen Film thematisiert. Und dann erst die avangardistischen Bewegungen in den bildenden Künsten: die abstrakten Expressionisten, Lucio Fontana und die sogenannten ŒSpazialisten¹. Alles beeinflußt vom Mythos der Schnelligkeit, der von der Technik vorangetrieben wird. Und dann erst die für Italien wichtigen Kinetiker."

    Eine eigene Sektion behandelt die kinetische Kunst von Grazia Varisco, Alberto Biasi und anderen, die sich in den 60er Jahren in Italien entwickelte. Bewegung, Geschwindigkeit und optische Täuschung gehen eine faszinierende Symbiose ein. Seit den 80er Jahren, so die Ausstellungsthese, interessieren sich die klassischen Künste weniger für das Thema Schnelligkeit. Dafür wird es im Bereich des Designs immer präsenter. Alltagsgegenstände sollen schnell und dynamisch wirken, haben glatte und runde Formen - wie die modernen Autos, die in der Ausstellung zu sehen sind.