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Sensationsfund in Buenos Aires

Rund 30 Minuten von Fritz Langs Meisterwerk "Metropolis" haben bislang als verschollen gegolten. Nun sind sie in Südamerika wieder aufgetaucht. Der Direktor der Deutschen Cinemathek in Berlin, Rainer Rother, konnte die Langfassung des Films bereits sehen und war begeistert. Er verstehe erst jetzt das ganze Ausmaß dessen, dass diesem Film nach der Uraufführung angetan wurde, erläuterte Rother.

Moderation: Stefan Koldehoff | 02.07.2008
    Stefan Koldehoff: Berühmte Musik aus einem berühmten Kinoereignis. Die Verhältnisse waren noch ganz klar in Fritz Langs Stummfilm "Metropolis", der 1927 in die Kinos kam. Oben wohnten und verlustierten sich die Reichen und unter der Erde schufteten die Arbeiter, die den Reichtum der Oberschicht erst möglich machten. Einer von oben verliebt sich in eine von unten und Schicksal und Revolution nehmen ihren Lauf. Kommerziell war der Film, der damals unerhöhte sechs Millionen Reichsmark gekostet und die UFA zeitweise ruiniert hatte, ein Flop. Zum Kultklassiker wurde er erst Jahrzehnte später in einer radikal gekürzten Fassung allerdings, die vor allem den US-Produzenten für ihren Markt erfolgversprechender schien. Rund 30 Minuten "Metropolis" galten seither als verschollen und sind nun wieder aufgetaucht in Südamerika. Rainer Rother, der Direktor der Deutschen Cinemathek in Berlin hat die Langfassung schon gesehen und spricht von einer Sensation. Warum, Herr Rothe?

    Rainer Rother: Nun, es gibt ja kaum einen Film, auf den solche intellektuellen Anstrengungen und solche Energie verwendet worden ist, um eine Restaurierung möglich zu machen wie "Metropolis", insbesondere Enno Patalas hat das über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte getan. Und 2001 hat er zusammen mit Martin Koerber eine Fassung hergestellt, die alle bis dahin bekannten Materialien in bester Bildqualität versammelt. Da fehlten noch 30 Minuten. Dass diese 30 Minuten zu, ich schätze mal, 95 Prozent noch einmal auftauchen in einer anderen Überlieferung, in einer anderen Kopie, das hat, glaube ich, von allen Beteiligten kaum noch jemand zu hoffen gewagt.

    Koldehoff: Es ist die erste Schnittfassung oder die Fassung, die Fritz Lang tatsächlich in den Kinos sehen wollte, ja?

    Rother: Es sind die Szenen, die nach der Uraufführung, der ist ja nur ein paar Tage gelaufen, 15.000 Menschen haben ihn gesehen, diese herausgeschnittenen Szenen, die sind wieder zum ganz großen Teil vorhanden, nicht alle, aber zu über 90 Prozent auf jeden Fall.

    Koldehoff: Und dann müssen Sie uns jetzt natürlich erzählen, wie so etwas denn überhaupt sein kann, wo sind sie wieder gefunden worden und wie sind sie dorthin gekommen, wo man sie jetzt gefunden hat.

    Rother: Das können wir im Moment nur vermuten. Es geht zurück auf eine Kopie, die in Buenos Aires ganz oft gespielt wurde, das sieht man dem Material an. Wie diese Kopie nach Buenos Aires kam, die mit der Uraufführungsfassung identisch zu sein scheint, das haben wir bisher nicht rausgefunden, das haben auch die Kollegen in Buenos Aires noch nicht rausgefunden. Das ist noch sicher eine Recherche, die wir anstellen müssen.

    Koldehoff: Die Kopie befindet sich dort jetzt in einem Filmmuseum. Stimmt denn die schöne Anekdote, dass dem Ehemann der Direktorin dieses Museums die Länge dieses Films so ungewöhnlich vorgekommen ist und man dadurch dann erst gemerkt hat, dass das ganz andere Fassung ist?

    Rother: Das kann ich so genau nicht bestätigen. Paula Félix-Didier, die diesen Fund dann ja an uns gebracht hat, hat uns erzählt, dass tatsächlich offenbar innerhalb des Museums die Existenz bekannt war. Das Material ist aber ganz offensichtlich nicht in dem tatsächlichen Wert erkannt worden. Es ist auch nicht so, dass die Fassung jetzt 150 Minuten lang ist, weil in dieser Fassung wiederum Verluste zu beklagen sind, die aber durch andere Überlieferungen gedeckt werden. Insofern, der Film ist dort zwei Stunden lang und das ist nicht exorbitant viel länger als die restaurierte Fassung. Insofern kann man sich vielleicht auch vorstellen, warum das längere Zeit unerkannt blieb.

    Koldehoff: Wir Deutschen schreiben ja Geschichte gerne schon mal neu. Muss jetzt die Geschichte von "Metropolis" neu geschrieben werden?

    Rother: Das glaube ich nicht. Sie muss nicht neu geschrieben werden. Was ganz entscheidend an diesem Fund ist, ist allerdings, dass man den Film anders sehen wird. Dadurch, dass er vollständiger wird, hat er auch eine andere emotionale Dichte. Bisher ist "Metropolis" ja oft bewundert worden, aber so richtig Zugang im Sinne, das ist ein Film, den ich liebe, haben nur wenige gefunden. Das wird jetzt durch die neuen Szenen sehr viel einfacher.

    Koldehoff: Was ändert sich, was ist anders?

    Rother: Es gibt Figuren, die plötzlich ein neues Leben bekommen. Das ist vor allem die Figur des Georgi, das ist der, mit dem Freder die Position tauscht, als er in die Arbeiterstadt geht. Man sieht nun seine Exkursionen in die Oberwelt. Man sieht die Intrige, die gegen ihn gesponnen wird vom "Schmalen". Man versteht auch, die Rolle Josaphats, der von dem Vater Freders entlassen wird, besser. Das ist ein völlig neuer Handlungsstrang, der da entstanden ist. Es gibt andere Szenen, die einfach durch Vollständigkeit gewinnen, etwa die immer schon spektakuläre Szene der Flucht der Kinder vor dem eindringenden Wasser. Da gibt es jetzt neue Einstellungen, die das Ganze noch mal ungeheuer dramatisieren.

    Koldehoff: Nachdem Sie jetzt das Privileg genossen haben, die lange Fassung schon gesehen zu haben, muss Fritz Lang nicht fürchterlich gelitten haben unter kastrierten Version?

    Rother: Ja, das kann man jetzt wirklich nachvollziehen. Man versteht erst jetzt das ganze Ausmaß dessen, dass diesem Film nach der Uraufführung angetan wurde.

    Koldehoff: Rainer Rother war das, vielen Dank, der Direktor der Deutschen Cinemathek in Berlin über die wiederaufgefundenen Minuten des Stummfilms "Metropolis".