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Silke Burmester
"Wenn Ihr einen von uns einsperrt..."

Journalismus ist kein Beruf wie jeder andere, findet unsere Kolumnistin und versteht nicht, warum Journalisten die Werte ihres Berufes und damit der Demokratie nicht mehr verteidigen. Jenseits der Berichterstattung müsste mehr passieren.

Von Silke Burmester | 25.05.2017
    Porträt von Silke Burmester
    Beim Autokorso in Hamburg kurz nach der Verhaftung von Deniz Yücel waren nicht mehr als eine Handvoll Journalisten (imago / Sven Simon)
    So, meine lieben Hörerinnen und Hörer, da bin ich wieder! Inmitten einer Sendung über Lokaljournalismus, zu dem mir wenig einfällt, außer dem aberwitzigen Umstand, dass, wenn es so weiter geht, bald mehr deutsche Journalisten in türkischen Gefängnissen sitzen als es Chefredakteurinnen bei Lokalzeitungen gibt. Deutsche Journalisten im Türkenknast gibt es aktuell zwei. Frauen, die eine der 102 Lokalzeitungen leiten, fünf.
    Jetzt möchte ich offen lassen, was schlimmer ist und mich dem einen Schlimmen widmen. Dem der in der Türkei inhaftierten Kolleginnen und Kollegen, egal welcher Herkunft.
    Gestern war der 100. Tag, an dem der Korrespondent der Welt, Deniz Yücel, in der Türkei im Gefängnis sitzt.
    Anlässlich dieses skandalösen Jubiläums gab es viel Berichterstattung über Deniz Yücel, aber auch über die sich täglich verschlimmernde Situation und die Verfolgung von Journalisten in der Türkei. Das ist gut. Das ist toll. Das ist lobenswert. Aber das muss auch selbstverständlich sein. Genau so, wie es selbstverständlich ist, über die Verfolgung von Oppositionellen in China oder einen Dammbruch zu berichten. Das ist der Job von Journalisten. Das ist die Kernaufgabe des Berufsstandes.
    Der Versuch, alle mundtot zu machen
    Nun aber komme ich mit meinem Unverständnis. Ein Unverständnis, das ich an Sie weitergeben möchte in der Hoffnung, dass Sie sich der darin innewohnenden Kritik anschließen.
    Ich frage mich nämlich, wie das sein kann, dass jenseits der Berichterstattung vom Schreibtisch aus so wenig passiert? Ich frage mich, wo meine Kolleginnen und Kollegen sind, wenn es darum geht, als Berufsstand Unmut zu artikulieren, Verärgerung, Wut. Wenn es darum geht, deutlich zu machen: Wenn Ihr einen von uns angreift, dann greift Ihr uns alle an.
    Wenn es darum geht, deutlich zu machen: Wenn Ihr einen von uns einsperrt, dann steht die Inhaftierung stellvertretend für den Versuch, uns alle mundtot zu machen.
    Es ist ein Unterschied, ob ein Staat Journalisten verhaftet oder Taxifahrer. Journalisten schweben nicht im kontextfreien Raum. Die Absicht, sie in ihrer Arbeit einzuschränken oder unschädlich zu machen, ist immer auch die Absicht, die Pressefreiheit einzuschränken.
    "... sich so verhalten, als gingen einen die Geschehnisse nichts an"
    Dass ich meine Kolleginnen und Kollegen nicht verstehen könnte, ahnte ich, als ich nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo auf der Kundgebung in Hamburg gerade mal drei Kollegen traf. Als kurz nach der Verhaftung von Deniz Yücel ein Autokorso organisiert wurde, waren es vielleicht fünf. Bei einer Kundgebung vor ein paar Wochen ungefähr zehn. Die großen Verlagshäuser Gruner & Jahr, Bauer, Die Zeit und der Spiegel waren in Sichtweite.
    Ich würde das gern verstehen. Ich würde gern verstehen, wie man Journalist oder Journalistin sein kann und sich so verhalten, als gingen einen die Geschehnisse nichts an. Als wäre ein Angriff auf ein Satiremagazin - Inbegriff der Presse- und Meinungsfreiheit - nicht auch ein Angriff auf mich, den Journalisten, die Journalistin.
    Wann will man die existenziellen Werte unseres Berufes und damit der Demokratie verteidigen, wenn nicht in dieser Situation?
    Eine für Journalisten nötige Trennung?
    Einige argumentieren, sie unterschieden zwischen Berufs- und Privatperson. Und das nicht zu tun, bedeutet, eine für den Beruf nötige Trennung aufzuheben. Ich habe mich gefragt, ob ich das nicht auch tun müsste. Ob es nicht ein Fehler ist, privat Empfundenes in den beruflichen Kontext hineinzutragen. Ob das nicht missbräuchlich ist?
    Aber ich weiß gar nicht, wie eine solche Trennung aussehen sollte. Wie soll ich das Menschsein vom Journalismus trennen? Wie es ab- oder herauslösen? Ich bin doch als Mensch Journalistin geworden und nicht als Schlauchboot oder Wandschrank. Und: Ich bin Journalistin geworden, weil ich das Gefühl habe, diese Gesellschaft geht mich etwas an. Wäre sie mir egal, könnte ich auch Metzger sein oder Schmuck verkaufen.
    Nein, Journalismus ist kein Beruf wie jeder andere. Es ist keiner, den man donnerstags ausübt und sonntags nicht. Der um 17 Uhr endet, oder dann, wenn es unbequem wird. Journalist oder Journalistin ist man, weil man nicht anders kann. Weil man brennt und weil Journalist zu sein, das Verständnis vom eigenen Selbst ausmacht.
    Wer doch anders kann, sei aufgefordert, den Presseausweis abzugeben. Gruner & Jahr und der Bauer-Verlag haben für diese Leute viele hübsche Arbeitsplätze, bei denen man Wohnzeitschriften betexten kann. Kochmagazine oder den Thermomix.