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Spanisches Kino im Rampenlicht

Das Filmfestival im baskischen San Sebastián ist vorbei. Wieder einmal hat es seinen erstklassigen Rang behauptet, meint der Filmjournalist Rüdiger Suchsland. Welche Stars dort waren, welche Filme beeindruckt haben - eine Bilanz.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Dina Netz | 29.09.2012
    Dina Netz: Das baskische San Sebastián ist ein idyllischer Kurort, im Sommer verbrachte früher das reiche Madrid dort seine Ferien. Seit 1953 hat San Sebastián außer guter Luft und hübscher Bucht auch ein Filmfestival. Schon zwei Jahre später wurden wegen des großen Erfolges die ersten Preise verliehen, die "conchas", die "Muscheln", und seit 1957 gehört San Sebastián zu den A-Festivals und hat sich als wichtigstes Forum für den spanischsprachigen Film etabliert. Während das Festival anfangs unter dem Einfluss der Katholischen Kirche und der Zensur litt, hat es heute vor allem mit Einsparungen im Kultursektor zu kämpfen. Trotzdem, man feiert in diesem Jahr die 60. Ausgabe, und ich habe Rüdiger Suchsland gefragt: San Sebastián betont ja gern seine Bedeutung als kleines, aber eben doch A-Festival. Hat es seinen Rang unter den großen mit dieser Ausgabe gesichert?

    Rüdiger Suchsland: Ja unbedingt! Ich glaube, dass man das sowieso in Deutschland etwas anders einschätzt als zum Beispiel in Frankreich oder auch in den USA, denn es kommen sehr viele Journalisten aus diesen Ländern hierher, während doch die deutsche Presse ein bisschen weniger vertreten ist, zum Beispiel als in Locarno. Locarno ist ein schönes Nachwuchsfestival, ist auch ein gutes A-Festival, aber man kann es mit San Sebastián nicht vergleichen, wenn man auf allein diesen Jahrgang jetzt schaut.

    Wir haben eine ganze Menge amerikanische Stars, Richard Gere, Susan Sarandon, Dustin Hoffman kommen hierher, auch ein Regisseur wie Oliver Stone. Wir haben aber auch europäische Stars. Im Wettbewerb zum Beispiel läuft der neue Film von Costa Gavras, der neue Film des Franzosen François Ozon, des anderen Franzosen Laurent Cantet, der die Goldene Palme von Cannes gewonnen hat mit seinem letzten Film. Also es sind hier erstrangige Leute da und die Filme taugen auch was und ich denke, es lohnt sich sehr, hier auf San Sebastián etwas mehr zu achten.

    Netz: Welches sind denn Ihre Favoriten, um mal konkrete Beispiele zu nennen, auf die "Goldene Muschel", die ja heute Abend vergeben wird?

    Suchsland: Ja! Ich habe zum Beispiel etwas sehr gemocht, das ist ein spanischer Film. Der heißt "Blancanieves", also "Schneewittchen". Das ist tatsächlich auch die Geschichte der Gebrüder Grimm, übertragen auf das Torero- und Stierkamp-Milieu Spaniens des 20. Jahrhunderts. Das ist ein nostalgischer Film, der sehr stark an "The Artist", den Oscar-Sieger, den Stummfilm erinnert, denn es ist auch ein Stummfilm, auch in Schwarz-Weiß, ein bisschen anders trotzdem in der Art gemacht. Er spielt sehr mit folkloristischen Elementen und mit historischen Versatzstücken der spanischen Kultur. Mich hat gewundert, wie gut der hier in Spanien ankam, denn man darf ja nicht vergessen: San Sebastián liegt im Baskenland und hier ist der baskische Nationalismus sehr stark, man guckt ein bisschen misstrauisch und skeptisch auf das Castilische, und das ist ein Film, der feiert die castilische Folklore, eben Stierkampf. Das macht aber nichts und der Film ist wirklich sehr gut, sehr anregend, der hat mir gut gefallen.

    Ein anderer Film heißt "Die Lebenden", der ist von Barbara Albert, einer Österreicherin, aber hauptsächlich doch in Deutschland gedreht - Anna Fischer großartig als die Hauptfigur. Das ist eine junge Frau, die entdeckt, dass in ihrer Familie mindestens ein dunkles Geheimnis vorhanden ist, nämlich der Großvater, der geliebte Großvater, war in der Waffen-SS. Das kommt heraus und sie beginnt dann nachzuforschen, und da tun sich Abgründe auf und man kann sich da sehr gut hineinversetzen. Ich glaube, jeder kann das nachempfinden, wie es wäre, wenn man plötzlich die Familie, die eigene, mit anderen Augen sieht.

    Netz: Herr Suchsland, einen Film haben Sie erwähnt. Aber wie hat sich insgesamt das spanische Kino im eigenen Land präsentiert? Spanien ist ja schwer von der Finanzkrise gebeutelt. Hat sich das in den Filmen oder in der Filmen oder in der Festivalgestaltung irgendwie niedergeschlagen?

    Suchsland: Es hat sich zum einen niedergeschlagen in den Gesprächen. Wenn man hier mit spanischen Produzenten, mit Filmemachern spricht - es gab dazu auch öffentliche Veranstaltungen -, dann merkt man, wie sehr diese ganz rigide Sparpolitik der Regierung auch die Filmbranche tangiert. Es gibt sehr hohe Steuern, die neu sind, auf die die Produzenten noch nicht vorbereitet waren. Es gibt weniger öffentliche Gelder, auch das Festival hat unter Sparpolitik zu leiden. Es gab zudem diese Woche auch den Generalstreik hier in Spanien, der galt auch für das Festival, es ist ein ganzer Tag ausgefallen. Das bedeutet natürlich auch Einnahmeverlust, das bedeutet Verlust der Möglichkeiten, diese Filme zu zeigen, das musste dann geballt werden auf die anderen Tage, da geht dann schon was verloren.

    In den Filmen selber ist das bei den spanischen Filmen bisher eigentlich nicht das Thema. Das spanische Kino ist immer ein sehr sozial engagiertes gewesen, das kommt auch hier wieder heraus, sogar in so einem Film wie dem erwähnten "Blancanieves". Gleichzeitig kann man schon sagen, dass die spanischen Filme in den beiden Hauptwettbewerben schon Geschichten erzählen, die unabhängig sind von der Krise, während wir von anderen Filmemachern, etwa Costa Gavras, dem Altmeister, der in Paris lebt, griechischer Abstammung ist, einen Film gesehen haben, "Le Capital", der im französischen Finanzmilieu spielt und eigentlich so einen Aufsteiger zeigt, einen Homo novus, der zufällig eher zum CIO eines börsenorientierten Unternehmens wird und der dann in eine Geschichte mit Insiderhandel und mit allen möglichen Bestechungsversuchen verwickelt wird, also ein richtiger Politthriller im Stil von Costa Gavras "Z".

    Und das, was früher die Diktaturen waren, die politischen Diktaturen in Lateinamerika zum Beispiel, das ist in diesem Film eindeutig die Diktatur der Shareholder. Das wird auch so genannt: die Diktatur der Aktienbesitzer und dieser Boards, die auch einen großen Manager eines solchen Unternehmens einfach feuern können von einen Tag auf den anderen. Genau so etwas passiert, also ein dramatischer Film, spannender, sehr gut gemachter Film.

    Netz: Die Bilanz von Rüdiger Suchsland nach dem 60. Filmfestival von San Sebastián.

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