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Wie Biomechaniker die Athleten optimieren

Ein Sportler ist auch nur eine Maschine - zumindest aus Sicht der Biomechanik. Für Höchstleistungen etwa im Sprint müssen Muskeln und Sehnen optimal zusammenspielen. In speziellen Diagnostik-Camps analysieren Sportwissenschaftler die Bewegungsabläufe, um Fehler zu entdecken - und zu beseitigen.

Von Jennifer Rieger | 31.03.2015
    Der jamaikanische Sprinter Usain Bolt (r.) schaut sich nach seinen Mitläufern um.
    Es muss alles stimmen, um Weltrekorde zu laufen. (picture alliance / dpa / Laurent Gillieron)
    "Ich bin Jan-Peter Goldmann, arbeite am Institut für Biomechanik und Orthopädie und am Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport an der Sporthochschule in Köln."
    Es ist kühl in der Leichtathletikhalle der Sporthochschule in Köln-Müngersdorf. Seit zehn Uhr herrscht hier geschäftiges Treiben.
    "Wir sehen hier 16 Infrarot-Hochgeschwindigkeitskameras, die Rotlicht senden, und dieses Rotlicht reflektiert auf Markern, die die Athleten auf die Haut geklebt bekommen und trifft dann zurück auf die Linse."
    Zwei Athletinnen aus dem B-Kader Hürdensprint laufen sich warm. Ihre Leistungen werden die Biomechaniker heute im Diagnostik-Camp analysieren. Sie messen, wie schnell die Sportlerinnen starten, wie lange ihre Füße mit dem Boden Kontakt haben, wie weit sie beim Absprung von der Hürde entfernt sind und so weiter.
    Mit Motion Capture zu mehr Leistung
    Die erste Hürdensprinterin wurde inzwischen mit 53 Reflektoren beklebt, kleine Kugeln aus dem gleichen Material wie die reflektierenden Streifen auf Jacken oder Signalwesten.
    "Über diese reflektierenden Marker bestimmen wir letzten Endes die Bewegung der Segmente des Körpers, also Unterschenkel, Oberschenkel, Hüfte, Wirbelsäule, Rumpf zueinander und analysieren damit die Bewegungen der Athleten."
    Sobald die Sportlerin den Kreis aus Kameras betritt, läuft sie als Wolke aus weißen Punkten über das Raster auf dem Bildschirm. Der Raum kann in drei Dimensionen gedreht werden, so können die Biomechaniker den gepunkteten Doppelgänger der Sprinterin von allen Seiten betrachten. Goldmann:
    "Die Kameras nehmen mit einer Frequenz von 250 Bildern pro Sekunde auf. Zusätzlich zu den Bewegungsinformationen erhalten wir Informationen über die Bodenreaktionskräfte mithilfe von in den Boden eingelassenen Kraftmessplatten, drei Stück an der Zahl."
    Die hellgrünen Messplatten heben sich gegen das Rot des Gummibelags in der Leichtathletikhalle ab. Darunter befinden sich Sensoren, die die Kräfte messen, mit denen die Füße der Sprinterin auftreffen.
    Die Athletin schießt aus dem Startblock. Hier geht es zuerst nur um den Start und die ersten drei Schritte.
    Sobald die Sportlerin die Kraftmessplatten betritt, erscheinen rote Pfeile auf dem Monitor. Sie zeigen an, in welche Richtung Kräfte auf die Platten einwirken.
    "Wir sehen sehr schön, wenn der Fuß aufsetzt, dass hier erst mal ein Bremsen stattfindet. Das heißt, sie fällt hier sehr passiv in den ersten Schritt rein und erzeugt dadurch ein deutliches Bremsen, was natürlich aus rein mechanischer Sicht beim Start unerwünscht ist."
    Schneller am Start
    Gleich nach dem zweiten Versuch hat Jan-Peter Goldmann Verbesserungsvorschläge für Sportlerin und Trainer.
    "Der Winkel zwischen Oberschenkel und Rumpf war im Grunde zu gering. Wenn der Muskel zu lang ist, in dem Fall der Hüftstrecker, zu langgezogen ist, kann er nicht optimal Kraft generieren, darum haben wir jetzt den vorderen Teil des Startblocks sieben Zentimeter nach hinten und den hinteren Teil des Startblocks zweieinhalb Zentimeter nach hinten verschoben."
    Und siehe da: Nach kurzem Eingewöhnen ist die Athletin tatsächlich ein paar Zentimeter pro Sekunde schneller. Im Leistungssport durchaus eine relevante Veränderung.
    Jan-Peter Goldmann arbeitet nach einem Gesamtkonzept für den Spitzensport. Er will wissen: "Wie entsteht eigentlich maximale Energieerzeugung am Körperschwerpunkt."
    Der Athlet als Maschine
    Denn der Körperschwerpunkt ist es, der beim Sprint nach vorne, oder auch beim Hochsprung nach oben bewegt werden muss. Um den Körperschwerpunkt in Bewegung zu setzen, braucht es vier Komponenten:
    "Zum einen von der Muskel-Sehnen-Einheit, die die Energie erzeugt, also die Kraft generiert, das ist im Grunde der Motor des Systems."
    Die Leistung des Motors hängt zum Beispiel vom Muskelvolumen ab, von der Länge der Muskelfasern, der Beschaffenheit der Sehnen.
    "Und das nächste ist das Benzin, das heißt, wie wird der Muskel oder der Motor eigentlich versorgt, biochemisch."
    Der dritte Punkt ist das Getriebe des Athleten, "nämlich das, was der Motor letzten Endes erzeugt oder generiert muss natürlich auch auf die Straße, auf die Bahn übertragen werden und das passiert durch das Übersetzungsverhältnis, das heißt, wie lang sind seine Beine, wie lang sind seine Füße."
    Die vierte Komponente: die Technik. Und da setzt Jan-Peter Goldmanns Arbeit an. Das Team der Kölner Sporthochschule verfolgt zwei Ziele: Kurzfristig wollen sie den Athleten und Trainern helfen, ihr Training zu optimieren.
    Langfristig wollen sie wissen, wie Bewegungsabläufe und das Zusammenspiel aus Muskeln und Sehnen funktionieren, erklärt Goldmann:
    "Das ist eine ganz spannende Aufgabe und in jedem Diagnostikcamp kommen neue Ideen auf, die der Optimierung dann dienen, fürs folgende Jahr."