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Sprachlos in Brüssel

Übersetzer und Dolmetscher für demnächst 24 Sprachen brauchen die europäischen Institutionen: Nur so können alle EU-Mitgliedsländer und auch Journalisten mit den nötigen Informationen versorgt werden. Doch es fehlt zunehmend an geeigneten Bewerbern.

Von Wolfgang Landmesser | 27.09.2012
    Mittwochmittag im Pressesaal des Berlaymont. EU-Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde begrüßt die Journalisten.

    Auf der anderen Seite der Scheibe sitzt Dolmetscherin Barbara Block in der deutschen Kabine. Es beginnt mit einer Presskonferenz der bulgarischen Kommissarin Kristalina Georgieva über den EU-Freiwilligendienst in Krisenregionen – und mit einem Video.

    "Ich möchte Ihnen ganz schnell noch ein Video zeigen. Das ist sehr schön macht das mal, ach, die wird jetzt auch wieder runterrattern."

    Normalerweise müssen die Journalisten mit Übersetzungen ins Englische und Französische auskommen. Aber mittwochs, nach der wöchentlichen Sittung der EU-Kommission, kann jeder die Pressekonferenz in seiner Muttersprache verfolgen.

    Barbara Block übersetzt aus dem Englischen, Französischen, Spanischen und Italienischen in ihre Muttersprache deutsch. Wenn jemand im Saal eine der anderen 18 Amtsprachen spricht, funktioniert die Übersetzung über einen Umweg. Beispiel Slowenisch:

    "Kucke ich, wer kann Slowenisch, übersetzt in eine Sprache, die ich verstehe, meistens über große Kabinen wie Englisch und Französisch, stellt sich das ein und übersetzt dann ins Deutsche."

    Dolmetschen erfordert großes Sprachtalent, hohe Konzentration – und Fachwissen. Die Kandidatensuche ist schwierig, sagt Ian Andersen, Sprecher des Dolmetscher-Service bei der EU-Kommission.

    "Ein idealer Kandidat ist für uns jemand, der auf ganz natürliche Weise Sprachen gelernt hat, etwa indem er in anderen Ländern gelebt hat. Aber dabei seine Muttersprache immer noch perfekt beherrscht. Außerdem ist ein Abschluss in Jura, Wirtschafts- oder Naturwissenschaften Voraussetzung. Als intellektueller Hintergrund, um zu verstehen, was bei solchen Treffen passiert."

    Gerade bei den großen EU-Sprachen sind die Bewerber knapp geworden – in Englisch, Französisch und Deutsch. Das liegt am Generationswechsel: In den 70er- und frühen 80er-Jahren hat die EU sehr viele Dolmetscher eingestellt, die jetzt nach und nach in Rente gehen. Die Gründe, warum so schwer Nachwuchs zu finden ist, unterscheiden sich aber auch von Land zu Land.

    "In Deutschland ist der Arbeitsmarkt für Dolmetscher sehr gut. Es gibt viele Jobs bei der Regierung oder in der Industrie. In Frankreich kann es schwierig sein, die Bewerber mit dem richtigen Kaliber zu finden – trotz guter Dolmetscherschulen. Und in Großbritannien ist schwierig, die Leute überhaupt zum Sprachenlernen zu motivieren."

    Mit einer Kampagne hat die EU in den letzten Jahren gezielt für den Dolmetscherjob Werbung gemacht. Danach hat die Zahl der Bewerber tatsächlich zugenommen.

    Solche erfahrenen Leute nach Brüssel zu locken, sei gar nicht so einfach, sagt Andrea Dahmen, die selbst als Übersetzerin angefangen hat. Gehalt und Privilegien eines EU-Beamten sind zwar nicht schlecht. Aber für viele dann doch nicht attraktiv genug.

    Dolmetscherin Barbara Block ist nach über 30 Jahren im Job immer noch zufrieden mit ihrer Berufswahl. Auch wenn sich in der EU seit damals vieles verändert hat.

    "Durch Sprachenvielfalt und technische Hilfsmittel ganz anders. Das Persönliche ist nicht mehr so da. Kennt nicht mehr die Delegierten, hat selten noch Blickkontakt, aber die Vielfalt der Themen, das Umfeld stimmt noch."

    Abwechselnd mit einer jüngeren Kollegin hat sie knapp eine Stunde lang alle Beiträge im Saal gedolmetscht. Dann hat sie das letzte Wort – und Pause.