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Sprengmeister
Eine Firma mit Knalleffekt

Die Arbeit im Abbruch gilt als gefährlich. Die Mitarbeiter müssen mit Schadstoffen wie Asbest umgehen. Und immer besteht die Gefahr, dass Trümmer herunterfallen. Jede Sprengung ist für Abbruchfirmen wie AWR aus Weißenthurm eine Herausforderung - nicht nur logistisch.

Von Ines Burckhardt | 28.03.2014
    "Drei, zwei, eins – Sprengung!"
    Der AfE-Turm in Frankfurt ist mit 116 Metern das höchste Gebäude in Europa, das jemals gesprengt wurde. Am 2. Februar wird die naheliegende U-Bahn gesperrt, Busse dürfen nicht mehr fahren. Es steigt eine riesige Staubwolke auf, als das 50.000 Tonnen schwere ehemalige Universitätsgebäude in nur zehn Sekunden in sich zusammenfällt. 30.000 Menschen schauen vor Ort zu. Die Firma AWR Abbruch plante die Sprengung vier Monate lang.
    "Als ich das erste Mal hier auf der Baustelle war und oben auf dem Turm stand, hab ich gedacht: Oh Mann, das ist schon sehr eng",
    sagt Bauleiter Jörg Völkel, der jetzt die Aufräumarbeiten organisiert. Tatsächlich stand der Turm inmitten mehrerer Universitätsgebäude, direkt neben Büros und auch einem Hotel. Und tatsächlich bekamen nur zwei Fensterscheiben etwas ab.
    "Das ist auch schon repariert. Ansonsten kann man sagen: Keine größeren Kollateralschäden. Das ist tatsächlich eine Bilderbuchsprengung gewesen."
    Für diese Bilderbuchsprengung braucht die Firma am entscheidenden Tag 1000 Helfer. Allein 500 von ihnen kommen vom Technischen Hilfswerk.
    In der Abbruchbranche wird knapp kalkuliert. AWR musste mit spitzem Bleistift rechnen. Am Ende konnte das Unternehmen sieben Konkurrenten aus dem Rennen schlagen.
    Im Oktober beginnen die ersten Berechnungen. Abbruchexperten erstellen Gutachten. Im Januar, einem Monat vor der Sprengung, werden sechs Meter hohe Wälle aus Kiessand aufgeschüttet. Sie sollen die umliegenden Gebäude während der Sprengung vor herabfallenden Teilen und vor dem Lärm schützen.
    Den Staub halten die Wälle nicht ab. Auf der Baustelle, die noch vier Monate lang nach der Sprengung bestehen bleibt, ist der Staub auch jetzt noch ein Problem.
    Deswegen steht ein Bauarbeiter mit einem Wasserschlauch hoch oben auf den Trümmern, während vier Bagger die großen Teile zerkleinern. Wo früher der Turm stand, liegen nach der Sprengung 50.000 Tonnen Bauschutt – teilweise auch unter der Erde, denn der Turm hatte zwei Kelleretagen. Die Trümmer müssen zerkleinert und weggeschafft werden. Pulverisieren nennt der Bauleiter diese Arbeit mit den Abbruchzangen.
    "Alles, was wir hier an Abfällen produzieren, das ist im Prinzip nichts anderes als im privaten Haushalt, wo ja auch Müll getrennt wird, das gleiche machen wir auch, nur im wesentlich größeren Maßstab."
    Stahl und Metalle gehen zum Beispiel in die Verschrottung. Der Schutt wird genutzt, um Baugruben zu füllen. Alles, was wiederverwertet werden kann, ist bares Geld wert.
    Dass Schutt, Abbruch und Müll Potenzial haben, hat Ilmi Viqa vor 20 Jahren erkannt, als er AWR gründete. AWR, das steht für Abbruch, Wiederverwertung und Recycling.
    Ursprünglich kommt der 42-jährige vierfache Familienvater aus dem Kosovo. Mit Anfang 20 floh er nach Deutschland. Zuerst war er Facharbeiter im Tiefbau, dann kam die Selbstständigkeit. Dieses Jahr wird die Firma des Flüchtlings von damals 20 Jahre alt.
    "Abbruch ist ja generell schwierig und auch der schwierigste Job überhaupt in der Baubranche. Aber mit viel Fleiß und Herzblut ist das Unternehmen von ganz klein schon gewachsen."
    Die Arbeit im Abbruch gilt als gefährlich. Die Mitarbeiter müssen mit Schadstoffen wie Asbest umgehen. Und immer besteht die Gefahr, dass Trümmer herunterfallen. Mittlerweile übernehmen Maschinen aber immer mehr der Abbruch- und Aufräumarbeiten. Die Arbeiter könnten meist im Bagger sitzen bleiben und müssten nicht mehr selbst Hand anlegen auf der Baustelle. Einen Unfall habe es bei ihm noch nicht gegeben, versichert Ilmi Viqa.
    Trotzdem sei es für ihn nicht leicht, Fachkräfte zu gewinnen - generell ein Problem in der Baubranche.
    Aber Viqa ließ sich nicht abschrecken. Weder von den Gefahren bei der Arbeit noch von der Fülle an Auflagen für den Umgang mit Schrott und Schadstoffen. Auch, dass er anfangs kaum deutsch sprach, konnte ihn stoppen:
    "Wenn man das Leben leben will und wenn auch mit Menschen zu tun haben will, dann muss man einfach auf die Leute zugehen, auch bereit sein, Freunde zu akzeptieren. Und ich sag ganz einfach: Da, wo du lebst, da musst du auch die Sprache sprechen".
    Mittlerweile ist er der Chef von 120 Mitarbeitern. Sie arbeiten in der Zentrale in Weißenthurm bei Koblenz, an den kleineren Standorten Frankfurt und Stuttgart und natürlich auf den Baustellen. Parallel laufen immer 15 bis 20 Aufträge, erzählt Viqa. Bei Industrieanlagen, Flughäfen oder Banken. Die wenigsten Gebäude können gesprengt werden – die meisten werden abgetragen, Etage für Etage.
    "In den letzten vier Jahren hat das schon zugenommen, weil wir auch in den verschiedenen Bundesländern arbeiten. Wir sind ja sehr viel in Baden-Württemberg, in Hessen, Rheinland-Pfalz und NRW. Also daher hat das in den letzten vier Jahren schon zugenommen."
    Die Aufträge bringen laut Viqa einen Jahresumsatz in zweistelliger Millionenhöhe.
    Für Ilmi Viqa ist jedes Gebäude eine Herausforderung. Denn immer ist etwas anders: Unterschiedliche Schadstoffe müssen entsorgt, umliegende Gebäude geschützt werden.
    Im Firmensitz in Weißenthurm hängen Fotos von Baggern, die gerade ein Gebäude zerstören. Auf einem Tisch stehen kleine gelbe Laster aus Plastik. Der frühere Kosovoflüchtling weiß, wie furchtbar Zerstörung sein kann. Als Abbruchunternehmer hat er aber ganz eigene Träume. Und in denen kann der Frankfurter Uni-Turm noch übertroffen werden.
    "Wenn man von Hochhäusern spricht, hätte ich gesagt, Burj Khalifa in Dubai, aber das ist noch zu früh. Steht noch eine Weile. Aber das wäre so ein Traum."