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Stabil in der Minderheit

Eine Stimme fehlt der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW zur absoluten Mehrheit. Auf die Stimmen der Linkspartei ist sie nicht direkt angewiesen, jedoch auf deren Enthaltungen, um den umstrittenen Nachtragshaushalt durchs Parlament zu bekommen.

Von Barbara Schmidt-Mattern und Friederike Schulz | 15.12.2010
    Montagabend, kurz vor acht. Im Veranstaltungsraum in der Kreis-Geschäftsstelle der Grünen in Bonn wird es langsam voll. Das erste Treffen des neu gegründeten Arbeitskreises Bildung steht an. 15 Parteimitglieder sind gekommen. Der Altersdurchschnitt liegt bei knapp unter 30. Fast jeden Abend trifft sich hier in der umfunktionierten Altbauwohnung in der Bonner Innenstadt irgendein Arbeitskreis oder eine Diskussionsrunde. Die Veranstaltungen sind gut besucht, der Raum ist meist voll. Die grüne Basis in Nordrhein-Westfalen ist im Moment so motiviert wie schon lange nicht mehr, erzählt Eike Block, BWL-Student und einst Bonner Landtagskandidat.

    "Das ist ein unglaubliches Jahr für die Grünen, zum einen mit dieser Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, wo wir wirklich ein Wahlergebnis bekommen haben, von dem wir vorher eigentlich nicht geträumt haben. Und diese Wahl jetzt gefolgt von diesen unglaublichen Umfragewerten, von diesem unglaublichen Zuspruch zu grüner Politik. Es war ein unglaublich anstrengendes Jahr, aber ein sehr erfolgreiches Jahr."

    Dass er selbst bei der Wahl am 9. Mai den Einzug ins Parlament um 0,1 Prozentpunkte verfehlt hat, scheint Eike Block deswegen auch kaum zu betrüben. Genauso wenig stören ihn und seine Bonner Parteifreunde, dass SPD und Grüne im Düsseldorfer Landtag keine eigene Mehrheit haben. Schließlich sei es längst nicht immer nur die Linkspartei, die für die nötige Zahl an Stimmen sorge, sondern immer wieder auch CDU oder FDP. Die Grünen denken pragmatisch: Hauptsache, so heißt es, die eigenen Inhalte werden umgesetzt. Beispiele sind die Abschaffung der Studiengebühren und die Einführung einer Gemeinschaftsschule bis zur sechsten Klasse - die großen Projekte für das kommende Jahr.

    ""Vier Monate sind natürlich nicht viel Zeit, alle Projekte, die man sich vorgenommen hat, durchzusetzen. Aber ich denke mal, man ist auf einem guten Weg, wenn man mal bedenkt, wie pessimistisch Minderheitsregierungen in Deutschland häufig gesehen werden, finde ich, dass das bisher schon ganz gut angelaufen ist","

    sagt Martin Heyer, der Vorsitzende des Bonner Ortsvereins. Das Stimmungsbild ist seiner Einschätzung nach eindeutig: Die Basis sei der Ansicht, die machen das gut in Düsseldorf.

    " "Es wird sicher immer wieder Schwierigkeiten geben, aber ich glaube eigentlich, dass das eine Chance für die Demokratie in Deutschland ist, zu sehen, wir können auch Minderheitsregierungen machen, und die können auch eine Chance für die demokratische Kultur sein. Man muss ringen um die Zustimmung. Man hat nicht einfach eine Mehrheit, auf die man vertrauen kann, sondern man muss durch Überzeugungskraft und gute Argumente um politische Mehrheiten ringen, und das finde ich sehr positiv."

    Dass die neue Landesregierung morgen einen Nachtragshaushalt verabschieden will, der Rekordschulden in Höhe von 8,4 Milliarden Euro vorsieht, ist für die Bonner Grünen auch kein Problem. Dafür könnten SPD und Grüne nichts; Schuld sei die schwarz-gelbe Vorgängerregierung, so der Tenor. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Haushalt auch durchkommen - nicht zuletzt, weil die Linkspartei angekündigt hat, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Und so hat der Bonner Ortsvereinsvorsitzende keine Bange vor dem morgigen Termin.

    "Ich meine, die Linkspartei ist zum ersten Mal im nordrhein-westfälischen Landtag. Man muss jeder Partei einfach ein bisschen Zeit geben, sich zu finden, auch erst mal in parlamentarische Arbeitsformen hineinzufinden. Sicherlich ist man nicht in allen Bereichen einer Meinung, aber nichtsdestotrotz: Die Zusammenarbeit lässt sich ganz gut an, mal sehen, wie es sich entwickelt."


    Weihnachtsfeier der SPD:
    "Liebe Genossinnen und Genossen, ich möchte gar nicht lange mit großen politischen Reden aufhalten, und daher möchte ich euch ganz herzlich hier begrüßen. Ich finde, das ist ein sehr würdiger und schöner Ort."

    Zwei Tage später, 30 Kilometer von Bonn entfernt: Im Hinterzimmer eines Brauhauses findet die Weihnachtsfeier des SPD-Ortsvereins Köln-Bayenthal statt. An den Tischen haben 32 Genossen Platz genommen. Der Altersdurchschnitt: knapp über 60. Die Gespräche drehen sich um die jüngsten Entscheidungen in der Bezirksvertretung und den Kölner U-Bahnbau. Rot-Grün in der Landeshauptstadt ist an diesem Abend weit weg, zumal hier kaum einer richtig begeistert von der Minderheitsregierung ist, behauptet Schatzmeister Klaus Büttner:

    "Dass wir von einer Partei abhängig sind, in der noch sehr stark frühere SED-Mitglieder sind und in der die Ideologie der SED noch vertreten ist, in einem Maße, das meiner Meinung nach nicht einer Demokratie entspricht. Daher wäre es doch besser gewesen, wir hätten mit Rot-Grün eine solide Mehrheit gehabt. Eine Regierung muss eine Mehrheit haben nach meiner Meinung und kann nicht geduldet werden, in gewisser Weise von der Willkür einer kleinen Partei."

    Klaus Büttner hatte Hannelore Kraft nach der Wahl im Mai sogar einen Brief geschrieben und Neuwahlen gefordert. Ganz so kritisch sehen es allerdings nicht alle in der Runde. Elli Homann, die "Mutter der Kompanie", wie die Genossen sie scherzhaft nennen, schüttelt den Kopf. Die Rentnerin ist seit 30 Jahren in der SPD und kennt viele Mitglieder der Linkspartei von früher aus der Gewerkschaft. Die sind schon ganz vernünftig, meint sie. Außerdem sei es den Versuch wert, schließlich habe man mit Hannelore Kraft eine durchsetzungsfähige Ministerpräsidentin.

    "Ich finde, die Frau macht das sehr gut. Sie weiß, was sie will, sie hat Charme. Ich denke, auch die Frau Löhrmann ist auch ganz ausgezeichnet, ein ganz tolles Team."

    Elli Homann schließt in ihr Lob auch Sylvia Löhrmann, Krafts grüne Stellvertreterin, ein.

    Parteifreund Klaus Büttner guckt ein wenig skeptisch, bestellt sich noch ein Glas Kölsch. Damit ist das Thema an der SPD-Basis dann auch erst mal erledigt, schließlich müssen an diesem Abend noch die Jubilare geehrt und Parteibücher verteilt werden.


    Frühjahr 2010. Während des aufgeladenen Landtagswahlkampfes in Nordrhein-Westfalen vergeht kein Tag ohne das Mantra der Hannelore Kraft:

    "Die Linken bei uns, mit Verlaub, das weiß auch Herr Lafontaine, sind weder regierungs- noch koalitionsfähig."

    Kraftvoll soll das klingen, doch die Journalisten hören nicht auf zu bohren, zu knapp sind die Umfragen für Rot-Grün. Und so wird die damalige SPD-Spitzenkandidatin wieder und wieder auf ihr Verhältnis zur Linkspartei angesprochen. Bis Hannelore Kraft schließlich Nerven zeigt:

    "Ich stehe genauso in NRW unter Druck. Die CDU macht jeden Tag drei Presseerklärungen, die Kraft soll endlich erklären, dass sie mit den Linken niemals nie macht. Und ich sage, ich will in diese Falle nicht tappen, das werd' ich nicht tun. Ich will die nicht! Ich habe auch mit denen inhaltlich überhaupt nichts am Kopp, das ist nicht mein Punkt."

    In diesem Punkt bleibt sich Hannelore Kraft treu: keine Koalition mit der Linkspartei, auch keine Tolerierung - zumindest keine offizielle. Denn die rot-grünen Strategen stellten im Sommer eines schnell fest: Die elf Abgeordneten der Linkspartei müssen sich im Landtag einfach nur ihrer Stimmen enthalten, um der rot-grünen Minderheitsregierung zur Mehrheit zu verhelfen - gemeinsam haben SPD und Grüne 90 von 181 Stimmen. CDU und FDP kommen hingegen nur auf 80 Sitze. Die Rechnung ging schon einmal auf, wie Hannelore Krafts Feuertaufe Mitte Juli zeigte. Weil die Linke sich enthielt, gelang die Wahl der 49-Jährigen zur Ministerpräsidentin. Und weil die Linke sich auch morgen enthalten wird, dürfte die Minderheitsregierung ihre erste Nagelprobe seit Amtsantritt bestehen: die Verabschiedung des Nachtragshaushalts.

    Gerhard Papke, Fraktionschef der FDP, ist empört:

    "Ich meine, Frau Ministerpräsidentin, diese verdeckte Unterstützung der Linkspartei, ohne die Sie noch nicht mal ins Amt gekommen wären, ist der Gipfel der Heuchelei. Das hat mit offenen Entscheidungsprozessen im Landtag nichts zu tun - Applaus im Plenarsaal."

    Morgen werden solch empörte Töne wohl nicht zu hören sein. Jedenfalls nicht vonseiten der CDU. Denn zwei CDU-Abgeordnete fehlen: Eine ist schwer erkrankt, ein anderer weilt lieber in Rom: Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers will dort an einem Symposium der Konrad-Adenauer-Stiftung teilnehmen. Also die Abstimmung daheim im Düsseldorfer Landtag schwänzen. Peinlich für die CDU, die seit Wochen behauptet, dass Rot-Grün in NRW nur mithilfe der Linken überlebt. Weil zwei CDU-Abgeordnete abwesend sein werden, wird die Landesregierung morgen wohl gar nicht auf die Enthaltung der Linkspartei angewiesen sein.

    Tatsächlich war die Situation für die Minderheitsregierung in den ersten Monaten immer wieder brenzlig: Rot-grün will sich von Schwarz-Gelb absetzen, aber auch nicht zu nahe an die Linkspartei heranrücken - ein schwieriger Spagat, erst recht ohne eigene Mehrheit. So kursiert zwar weiter die Floskel von der "Koalition der Einladung", die sich an alle im Landtag vertretenen Fraktionen richtet, doch bis zur Verabschiedung der ersten drei Gesetze, die zudem relativ unbedeutend sind, dauerte es fast vier Monate. Erst heute steht die wichtige Schulreform im Parlament zur Abstimmung. Ansonsten ist bisher wenig passiert im Düsseldorfer Landtag: Es war ein Herbst ohne Entscheidungen. Beschlüsse, Anträge und Empfehlungen wanderten vom Plenum in die Ausschüsse und wieder zurück- derweil die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen alle Energien in die eine entscheidende Abstimmung investierten - die zum Nachtragshaushalt am morgigen Donnerstag.

    Allen Beteiligten ist klar: Scheitert der Etat, steht Nordrhein-Westfalen vor Neuwahlen. Doch die Linkspartei hat daran am wenigsten Interesse. Ihre elf Abgeordneten hatten am 9. Mai nur knapp die Fünfprozenthürde übersprungen. Erstmals sind sie im Landesparlament vertreten - ein Triumph, den die Linke nicht gefährden will.

    Tatsächlich herrscht zwischen Rot-Grün auf der einen und Schwarz-Gelb auf der anderen Seite ein Lagerdenken wie eh und je. Ob in der Schul-, Industrie- oder Haushaltspolitik - fast alle zentralen Vorhaben der Minderheitsregierung stoßen bei Christdemokraten und Liberalen auf Widerstand. Und dass manche Reform der schwarz-gelben Regierungsjahre rückgängig gemacht werden soll - exemplarisch die Abschaffung der Studiengebühren - wirkt auch nicht gerade Harmonie stiftend. Bleibt also die Linkspartei, die mit SPD und Grünen bei Weitem die größte inhaltliche Schnittmenge hat. Ihre Enthaltung beim Nachtragshaushalt ist das Ergebnis einer monatelangen rot-grünen Geheimdiplomatie. Lange wurden Gespräche mit der Linkspartei im Landtag nur im Verborgenen geführt, inzwischen sieht man Vertreter aller drei Fraktionen immer häufiger die Köpfe zusammenstecken. Mit Erfolg: Auf ihrem kleinen Parteitag Anfang Dezember in Bochum machte die Linkspartei den Weg frei für den Nachtragshaushalt. Begründung: So genannte "rote Haltelinien" seien nicht überschritten worden. Der Abgeordnete Michael Aggelidis:

    "Es gibt keinen Sozialabbau, es gibt keinen Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst und es gibt keine weiteren Privatisierungen. Von daher gibt es keinen zwingenden Grund, gegen diesen Nachtragshaushalt zu stimmen. Es gibt aber offensichtlich aufseiten der Minderheitsregierung keinerlei nennenswertes Entgegenkommen uns gegenüber, und deshalb haben wir auch keinen Grund, diesem Nachtragshaushalt zuzustimmen."

    Aggelidis vertrat in Bochum die pragmatische Haltung der Fraktion, die freilich bei der Parteibasis für Zähneknirschen sorgte. Draußen in der verschneiten Raucherecke ließen manche Delegierte Dampf ab. Jetzt brauche es eine außerparlamentarische Opposition, forderten sie: Die eigenen Abgeordneten sollten der Abstimmung zum Nachtragshaushalt fernbleiben und lieber vorm Landtag Glühwein trinken - ein entsprechender Antrag wurde auf dem Parteitag allerdings abgeschmettert. Fraktionsmitglied Gunhild Böth genervt und erleichtert zugleich:

    "Überlasst es uns doch jetzt einfach mal, was wir dann tun, und ich denke, Ihr solltet so viel Vertrauen haben, dass Ihr Euch darauf verlassen könnt, dass wir genau das machen, was Ihr Euch jetzt erträumt."

    Erst einmal ging Gunhild Böths Wunsch in Erfüllung - die Delegierten empfahlen der Fraktion, sich bei der Abstimmung zum Nachtragshaushalt zu enthalten. Es gab auf dem Bochumer Parteitag nicht eine einzige Gegenstimme - so viel Konsens war selten bei den NRW-Linken, die noch während des Wahlkampfes im Frühjahr als chronisch zerstritten und chaotisch gebrandmarkt worden war. Und noch immer wird die Partei zwischen Rhein und Weser vom Verfassungsschutz beobachtet - was der Linken zwar gewaltig stinkt, doch selbst bei diesem Punkt gelingt es Fraktionschef Wolfgang Zimmermann, Rot-Grün den Schwarzen Peter zuzuschieben:

    "Allerdings ist das natürlich sehr seltsam, wenn eine Minderheitsregierung mit einer Oppositionspartei hier und da zusammenarbeitet und sie gleichzeitig vom Verfassungsschutz beobachten lässt."

    Der Einzug in den Landtag hat die Linke nicht nur selbstbewusster gemacht, der parlamentarische Alltag hat sie auch - wie einst die Grünen - spürbar diszipliniert. Die Meinungsführerschaft innerhalb der Partei liegt jetzt in den Händen der Fraktion. Zumal auch der Basis nicht verborgen geblieben ist, dass die eigenen Parlamentarier über eine stille Macht in Düsseldorf verfügen. Wie gut die rot-grün-rote Zusammenarbeit inzwischen funktioniert, war vergangene Woche im Finanzausschuss des Landtags zu beobachten - wo der Nachtragshaushalt die vorletzte entscheidende Hürde nahm. Die Linke enthielt sich, machte damit den Weg frei und erhielt im Gegenzug die Zusage für 300 neue Steuerprüfer sowie die Aussicht auf Fördergelder für die Rosa-Luxemburg-Stiftung im kommenden Jahr.

    Eine Kooperation, die CDU und FDP die Zornesröte ins Gesicht treibt, zumal beide Fraktionen den Nachtragshaushalt selbst für sinnlose Schuldenmacherei halten. Denn mit 8,4 Milliarden Euro beschert er Nordrhein-Westfalen die höchste Neuverschuldung in der Geschichte des Landes. CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann ist fassungslos:

    "Sie haben den Rotstift in der Landesregierung abgeschafft. Sie haben das politische Ziel der Haushaltskonsolidierung aufgegeben, und Sie machen einen Haushalt auf Kosten unserer Kinder, obwohl Sie 400 Millionen Euro mehr Steuern einnehmen."

    SPD und Grüne bezeichnen den Nachtragshaushalt hingegen als Abschlussbilanz der schwarz-gelben Vorgängerregierung, denn die habe mehr offene Rechnungen hinterlassen als offiziell angegeben und zudem den notleidenden Kommunen Geld vorenthalten. Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der in den letzten Monaten keine Plenarsitzung ohne scharfe Angriffe von CDU und FDP überstand, schießt zurück:

    "Wenn ich das für bare Münze nähme, wenn ich es ernst nehmen würde, was Sie eben hier zum Besten gegeben haben, dann muss ich ganz klar sagen, dann müsste ich das für eine dreiste Verhohnepipelung der Menschen im Land halten. Ich habe aber eine ganz andere Vermutung: Die ist einfach die, dass Sie auf der eigenen Haushaltskosmetik ausgerutscht sind und die Grundrechenarten nicht beherrschen."

    Besonders umstritten sind die 1,3 Milliarden Euro, die der SPD-Finanzminister als Risikovorsorge für die faulen Wert-Papiere der West LB vorgesehen hat; es ist der größte Posten im Nachtragshaushalt. Diese Papiere sind ausgelagert in Deutschlands erster Bad Bank. Dennoch könnten nach wie vor Verluste aus diesen Papieren entstehen, für die das Land Nordrhein-Westfalen als einer der Eigentümer der West LB haften müsste - daher die Vorsorge im Nachtragshaushalt. Bis zum Jahr 2013 könnte die Haftung fällig werden. Doch keinesfalls schon bis Ende dieses Jahres, glaubt die Opposition und hält den Nachtragsetat des laufenden Jahres deshalb für verfassungswidrig. Finanzminister Walter-Borjans sei der neue "Griechenland-Beauftragte" der Landesregierung, spottet FDP-Fraktionschef Gerhard Papke:

    "Das ist unverantwortlich, Herr Finanzminister. Ein Privatmann, der so wirtschaften würde wie diese Landesregierung, hätte jeden Tag Besuch vom Gerichtsvollzieher."

    Die Landesregierung, so heißt es wörtlich aus der CDU, wolle sich nur einen "Winterspeck anfressen", um im nächsten Jahr Geld übrig zu haben, falls die Linkspartei Sonderwünsche habe.

    Doch Christdemokraten und Liberale ärgern sich nicht nur über die aus ihrer Sicht überflüssige Vorsorge für die WestLB. Die schwarz-gelben Bedenken sind grundsätzlicher Art, sie richten sich gegen den Etat in seiner Gesamtheit: In Zeiten des Aufschwungs und der sinkenden Arbeitslosigkeit könne nämlich von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht die Rede sein, nur in diesem Fall sei der Nachtragshaushalt aber verfassungsgemäß. Eine Einschätzung, die auch der Bund der Steuerzahler und einschlägige Wirtschaftsexperten teilen.

    Deshalb drohen CDU und FDP seit Monaten mit einer Klage vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster. Per einstweiliger Anordnung könnten sie in den kommenden Tagen gar dafür sorgen, dass der Nachtragshaushalt sofort wieder außer Kraft gesetzt wird, sobald er den Landtag passiert hat.

    Ein Albtraum für die Minderheits-Regierung, vor allem für die SPD, denn Neuwahlen wären unweigerlich die Folge. Das ist allerdings auch Christdemokraten und Liberalen klar, und so ist fraglich, ob sie bis zum Äußersten gehen. Der FDP steht das Wasser bis zum Hals in den Umfragen, und die CDU ist nach monatelanger Selbstbeschäftigung noch immer nicht zu alter Stärke zurückgekehrt. Einzig die Grünen müssen Neuwahlen nicht fürchten. So lässt der Fraktionschef der Grünen, Rainer Priggen, auch keine Gelegenheit aus, diese Botschaft an die Adresse der Linkspartei zu richten, denn selbst wenn der Nachtragshaushalt ohne Störfeuer der Opposition oder der Gerichte durchkommt, hat die Minderheitsregierung schon die nächste Hürde im Blick: die für das Frühjahr vorgesehene Verabschiedung des Haushalts 2011. Rainer Priggen:

    "Eine Regierung, die den Haushalt nicht durchkriegt, die muss auch Konsequenzen ziehen, und sagen, wenn das so ist, dann stehen wir vor der Frage, dass wir ein neues Votum einholen. Das ist keine Drohung, das ist eine ganz normale Beschreibung der Abläufe, das muss man dann auch klar sagen, damit niemand die Illusion hat, er könne hier pokern und ein paar Millionen rausholen, für Projekte, die ihm am Herzen liegen."

    So arbeitet sich die Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen von einer Klippe zur nächsten vor. Zwischen den beiden Haushalts-Abstimmungen in diesem und im kommenden Jahr liegen allerdings noch die Landtagswahlen, unter anderem in Hamburg und Baden-Württemberg. Sollten diese Wahlen für SPD und Grüne gut ausgehen, könnte auch in NRW die Karten neu gemischt werden - unabhängig vom Haushalt und der Linkspartei.