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Kulissenbau im Film
Stoffe, aus denen Kunst gemacht wird

Filme entführen uns in andere Welten. Welten, die es in der Realität vielleicht gar nicht gibt, die erst am Computer entstehen – Green Screen sei Dank. Und doch setzen viele Filmemacher trotz der schier endlosen Möglichkeiten noch immer auf richtige Kulissen. Da gehen Handwerk und Computerkunst Hand in Hand.

Von Bernd Sobolla | 19.04.2017
    Autos stehen am 30.03.2017 in Potsdam (Brandenburg) bei Dreharbeiten zum Film "Das schweigende Klassenzimmer" am Filmset in den Filmstudios Babelsberg. Der Film soll im Frühjahr 2018 in die Kinos kommen.
    Filmset in den Filmstudios Babelsberg (dpa / picture alliance / Bernd Settnik)
    Wie Regisseure in der Gesellschaft nach Geschichten suchen, kann man auch in Daten nach Geschichten suchen. Dieser Aufgabe widmet sich unter anderem der neu gegründete Fachbereich "Audio-Visual Application Design" der Filmuniversität. Er befindet sich nicht auf dem Campus, sondern auf dem gegenüberliegenden Studiogelände. Professorin Lena Gieseke hat dort gerade ihr Büro bezogen, das nüchtern eingerichtet ist. Sie möchte zum Beispiel eine Form schaffen, Bildende Kunst neu wahrzunehmen.
    "Ich habe mal eine Arbeit gemacht, da ist man in Picassos Guernica, konnte in das Bild reingehen und dann dieses Bild explorieren. War durchaus kontrovers, dass Kunstliebhaber gesagt haben: 'Damit wird das Bild verschandelt.' Aber eigentlich positives Feedback hat dominiert. Weil man da plötzlich einen ganz anderen Zugang zu der Kunst findet. Was ich mir da zum Beispiel toll vorstellen würde, ist: Ein Spaziergang durch Monets Gärten, die er gemalt hat."
    Geschichten erzählen in 360 Grad
    (Autorenfrage) "Zum Filmmaterial: Heutzutage ist eine Digitalkamera eine Digitalkamera. Da reden wir über verschiedene Auflösungen, aber letztendlich sind es Einsen und Nullen, da hat sich nichts verändert in den letzten Jahren, oder?"
    "Doch, doch! Zum Beispiel kommt jetzt ganz groß raus die 360 Grad Aufnahme. Also wo man eine ganze Halbkugel mit einer Vielzahl an Kameras aufnimmt. Und die man dann zum Beispiel mit einer VR-Brille, wo man sich umgucken kann. Und das ist ein ganz anderes, sage ich mal, footage, ein ganz anderes Datenmaterial. Die Cinematographen bei uns im Haus haben einige Forschungsprojekte: Wie kann ich mit so einem Material Geschichten erzählen? Wie steuert man die Aufmerksamkeit des Publikums, dass sie dahin gucken, wo was passiert? Das ist ganz anderes Material. Allein die Datenmengen, die da zustande kommen."
    Green Screen ersetzt den Kulissenbau nicht
    Nur 300 Meter Luftlinie entfernt von Lena Gieseke sitzt Eike Wolf im Studio-Babelsberg. Trotz aller technischen Neuerungen macht der Pressesprecher immer wieder die Erfahrung, dass hochwertiger Kulissen- und Dekobau gefragt ist.
    "Vor zehn Jahren waren ja einige Stimmen auf dem Gelände, die dachten: 'Oje, oje, Kulissenbau brauchen wir nicht mehr in der Zukunft. Die Schauspieler werden nur noch in Greenscreen oder Bluescreen Hohlkehlen oder Boxen stehen und alles, die ganz Umwelt herum, wird dann digital von Digital-Artists konstruiert." Es wurde wiederlegt. Weil immer mehr Wert darauf gelegt wird auf die Qualität der Kulissen. Weil die Regisseure doch wollen, dass die Schauspieler in realen Umgebungen stehen."
    Leben ins Bild bringen durch "künstlerisch Unregelmäßiges"
    Wobei die "realen" Umgebungen oft auch mit der Hilfe von Kulissenbauern erschaffen werden. Einer der Großen seiner Zunft ist Simon Weisse. Er hat sein Atelier in Berlin-Neukölln. Dort baute er das "Grand Budapest Hotel" für Wes Anderson oder das Flugzeugcockpit für Steven Spielbergs "Bridges of Spies".
    "Das ist eine Wahl des Regisseurs, der dieses bestimmte Bild haben will durch Beleuchtung. Weil im Computer ist es halt doch immer ziemlich perfekt. Und hier hat man halt das künstlerische Unregelmäßige, was Leben in das ganze Bild bringt."
    Ein Schrottplatz aus Silikon-Autos
    Autorenfrage: "Was gibt es an Materialien neu, die im Kulissenbau heute Anwendung finden, die vor zehn Jahren noch gar nicht so verfügbar waren?"
    Simon Weisse: "Es wird so oft gesagt: Naja, der 3-D-Drucker wird alles ersetzen, und alles wird in 3-D gemacht. Puh, ich bin so da: Ja, es ist ein guter Apparat, es ist eine nützliche Maschine, aber es ist nur eine Maschine, einfach nur ein gutes neues Werkzeug. Aber man kann nicht alles damit machen. Es dauert lange, bis man zu einem guten Resultat kommt."
    Gute Resultate bringen Modelle, die aus Silikon gefertigt werden, das heute in vielen verschiedenen Härtegraden existiert und farblich bearbeitet werden kann. Schließlich stehen wir vor Automodellen aus durchsichtigem Plastik, die etwa 40 Zentimeter groß und hohl sind. Wie Kaffeebecher sind circa 50 Autos ineinander gestapelt.
    "Davon haben wir ein Original gebaut. Das ist Plexi oder Polyethylen oder Polystyrol. Das wird tiefgezogen, also heiß gemacht, und dann durch Vakuum auf die Form gezogen. Und dadurch kann man innerhalb von kürzester Zeit zigweise Modelle haben."
    "Aber warum haben Sie denn gleich 50 Stück davon?"
    "Weil wir ein Bild haben, wo 50 solche Autos da rumstehen."
    "Autos? Fensterscheiben. Da sitzen ja normalerweise Leute drin, oder?"
    "Nein, nein, das ist ein Schrottplatz. Da kommen die ganzen Fenster raus, die werden alle rostig gemalt. Das ist nur für eine Traumsequenz."
    "Ein riesiger Schrottplatz mit Hunderten Autos auf einen Quadratmeter verdichtet?"
    "Genau."
    Zwar ist mit digitalem Einsatz fast alles möglich. Aber der Aufwand ist oft unverhältnismäßig. Zudem wirken Modelle weniger steril und dadurch lebendiger.