Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


Stipendien zum Thema DDR zu vergeben

Patrick Honecker: Man kann sich wissenschaftlich mit der untergegangen DDR beschäftigen, und man kann dafür auch noch Geld bekommen. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vergibt Doktoranden und Habilitationsstipendien. Zur Zeit läuft das Stipendiatenkolloquium in Berlin und dort bin ich mit Dr. Ulrich Mählert verbunden, wissenschaftlicher Referent der Stiftung. Herr Mählert, erst einmal ganz grundsätzlich, welche Arbeiten werden von Ihrer Stiftung gefördert.

Moderation: Patrick Honecker | 27.02.2004
    Ulrich Mählert: Prinzipiell fördern wir alle Promotionsthemen, die sich entweder ursächlich mit der DDR-Geschichte beschäftigen oder deutsch-deutsche Vergleichsperspektiven einnehmen. Es ist aber auch vorstellbar, die Geschichte der kommunistischen Herrschaft in Mittelosteuropa in den Blick zu nehmen. Unser Kernthema ist die Auseinandersetzung mit der zweiten Diktatur in Deutschland, beziehungsweise mit den kommunistischen Diktaturen in Mittelosteuropa.

    Honecker: Und das sind nicht nur Studierende oder Wissenschaftler aus dem ehemaligen DDR-Gebiet?

    Mählert: Nein, das ist eine bunte Mischung. Es dominieren allerdings Doktoranden aus Ostdeutschland. Statistisch gesehen sind sie überrepräsentiert, aber nicht massiv. Es dürfte so Hälfte-Hälfte sein.

    Honecker: Die Disziplinen, denen die Wissenschaftler angehören, zählen zum Kreis der Geisteswissenschaften, viele Historiker, Politologen auch Kunsthistoriker. Gibt es denn auch angehörige von nicht so retrospektiven Wissenschaften?

    Mählert: Ja, wir haben zum Beispiel eine Juristin, die sich konkret mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz beschäftigt. Wir haben eine Bauhistorikerin, eine Ingenieurin, die die Architektur der MfS-Untersuchungshaftanstalten thematisiert. Es ist interdisziplinär angelegt. Sie können sich prinzipiell aus allen Fachbereichen um ein Promotionsstipendium bewerben. Es muss natürlich irgendwo eine Zeithistorische Dimension haben. Eine rein physikalische Arbeit würde wahrscheinlich aufgrund unserer Intention nicht gefördert werden.

    Honecker: Dass heißt also, als Naturwissenschaftler habe ich keine Schnitte bei Ihnen?

    Mählert: Nun ja, wenn es darum geht, beispielsweise historische Themen aufzugreifen, zum Beispiel Fragen wie, "Wie ist die anwendungsbezogene Physik in der DDR organisiert gewesen?", "Was waren Verhandlungsspielräume?", "Wie waren Vorgaben von der Partei?", "Wie wurden die Forschungsergebnisse umgesetzt?", so was könnte auch von einem Physiker, der historische Kompetenzen hat, bearbeitet werden.

    Honecker: Das würde dann in den Bereich Wissenschaftsgeschichte hineinreichen?

    Mählert: Wissenschaftsgeschichte, aber auch Geschichte des Transfers von Wissenschaft in die Praxis.

    Honecker: Was bringt das eigentlich, sich mit der DDR zu beschäftigen, jetzt mal nur bezogen auf die eigene Karriere? Ist es denn nicht für einen Kunsthistoriker sinnvoller, ein Gebiet zu wählen, in dem man auf eine entsprechend große Gemeinde, sprich auf eine große Zahl von potentiellen Förderern schauen kann?

    Mählert: Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Natürlich mag es in bestimmten Disziplinen Diskurse geben zu anderen Zeiten oder Themen, die anerkannter sind. Die DDR-Forschung hat nicht selten ein bisschen Nischenstatus. Die Großhistoriker beispielsweise beschäftigen sich vielleicht eher mit dem Nationalsozialismus, mit dem 19. Jahrhundert oder mit der Weimarer Republik. Aber die DDR-Forschung ist sehr, sehr breit gespannt und in ihrer Interdisziplinarität fast mit keinem anderen Forschungsfeld vergleichbar. Wer sich für so ein Thema entscheidet, hat die Möglichkeit, eine exzellente Quellenlage zu nutzen, einen guten Forschungsstand vorzufinden und auch ein Netzwerk von Personen und Institutionen, die sich damit beschäftigen, sodass es vergleichsweise einfacher sein dürfte, in dem Bereich zu promovieren, als in anderen Bereichen.

    Honecker: Aber noch einmal auf die wissenschaftliche Karriere bezogen, sie haben gesagt, die Doktoranden oder die Habilitanden, die sie fördern, kommen überwiegend aus Ostdeutschland. Dass heißt, wenn ich international Wissenschaftskarriere machen will, ist es dann sinnvoll, über die DDR zu promovieren, zu habilitieren?

    Mählert: Es kommt natürlich darauf an, wie das Thema gestrickt ist. Es gibt ja modernere Fragestellungen, die auf den Vergleich orientiert sind. Da bietet die DDR einen guten Ausgangspunkt, weil man ja eine Parallelgesellschaft in Westdeutschland hatte. Es kommt also immer darauf an, ist die Fragestellung innovativ, dann kann das Thema DDR in keiner Hinsicht ein Malus unter Karrieregesichtspunkten sein, denn wenn Sie eine innovative Promotion mit einem Vergleichsthema DDR-Bundesrepublik oder vielleicht gar einem Vergleich DDR-Bundesrepublik-Drittes Reich machen, dann haben Sie doch eine tolle Ausgangssituation, um in der späteren Habilitation, in weiteren Projekten andere Themen zu bearbeiten und können immer darauf verweisen, dass Sie innovativ zu diesem Thema schon mal gearbeitet haben.

    Honcker: Das war Ulrich Mählert von der Stiftung Aufarbeitung. Bis zum 1. Januar des kommenden Jahres vergibt die Stiftung wieder sechs Promotions- und ein Habilitationsstipendium.