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Störaktionen gegen ein Gefechtsübungszentrum

In Letzlingen, Sachsen-Anhalt, protestieren etwa 50 Personen gegen den möglichen Ausbau des Gefechtsübungszentrums Altmark. Im Dorf stößt das Engagement auf geteiltes Echo.

Von Günter Rohleder | 13.09.2012
    Letzlingen in Sachsen-Anhalt. Ein 1500-Seelen-Dorf an der Nordwestecke der Colbitz-Letzlinger Heide, der größten zusammenhängenden Heidefläche Europas. Ein Schloss, die Hauptstraße, der Marktplatz. Im alten Konsum ist jetzt Edeka, der alte Wochenmarkt ist abgeschafft. Seit Wochenbeginn herrscht ungewohnter Betrieb auf dem Dorfplatz.

    Zelte, Bauwagen, Transparente. 'War starts here' - 'Hier beginnt der Krieg' - steht ist in weißen Lettern verschiedener Sprachen auf ein rotes Laken gemalt. Um die 50 junge Frauen und Männer sind auf dem Markplatz zu einer Mahnwache zusammen gekommen. Gegen Militär, Waffenproduktion, Krieg. Sie sind im mittleren Alter bis jung. Sie kommen aus der Region, aus Südeuropa oder dem benachbarten Wendland. Sie unterhalten sich, telefonieren, sitzen vor großen Waschzubern und schnibbeln Möhren, Fenchel und Kartoffeln. Später wird es Suppe geben. An den Ecken des Platzes sind Polizeimannschaftswagen postiert, immer wieder fahren Feldjäger der Bundeswehr vorbei.

    Weite Teile der riesigen Heidefläche ringsherum sind als militärisches Sperrgebiet ausgewiesen. Hier üben deutsche Soldaten und ausländische Nato-Einheiten den Ernstfall. Jan, Nickelbrille und Dreitagebart, ist aus Neuss, Tania, kurzes blondes Haar, Lederjacke, aus Hannover angereist. Den Grund ihres Kommens beschreibt Tania auf der Rückbank eines ausrangierten Feuerwehrautos so:

    "Was in diesem Land ja tatsächlich mal so was wie zumindest ein gesprochener Konsens war, war so was wie: nie wieder Krieg. Inzwischen gehört Deutschland zu den kriegsführenden Nationen, Deutschland führt Krieg und es regt sich in unseren Augen echt wenig Widerstand dagegen."

    Das wollen sie ändern. Hier in der Letzlinger Heide steht die Kommandozentrale des Gefechtsübungszentrums Altmark. Hier sitzen IT-Ingenieure an großen Monitoren und überwachen das Kampfgeschehen im Wildwuchs der Heide. Hier rasen Panzer durch Buschwerk, trainieren Soldaten den nahenden Einsatz in Afghanistan und proben Spezialkommandos Aufstandsbekämpfung in verfallenen Häusern. Über 70 Jahre Militärgeschichte in der Colbitz-Letzlinger Heide: Die Wehrmacht war hier, nach dem Zweiten Weltkrieg die Sowjetarmee und nach dem Mauerfall kam die Bundeswehr. Ab 2013 plant die Bundeswehr, das Truppenübungsgelände massiv auszubauen. "Schnöggersburg" soll hier neu entstehen: eine große Übungsstadt, mit Einkaufscenter und U-Bahn-Schacht. Bis zu 100 Millionen Euro sollen in den kommenden Jahren investiert werden. Krieg falle nicht einfach so vom Himmel, sagt Jan. Und Krieg werde nicht, wie immer wieder behauptet, aus humanitären Gründen geführt:

    "Krieg dient dazu, Rohstoffe, Rohstoffwege zu sichern, die Machtverhältnisse der Welt zu sichern. In unseren Augen ist das unnötig und gehört sich nicht."

    Tania und Jan verstehen sich als antimilitaristische Aktivisten. Hier auf dem Marktplatz von Letzlingen wollen sie eine Debatte anstoßen über den Zweck von Militär und Krieg.

    Bei den Dorfbewohnern lösen die Demonstranten gemischte Gefühle aus. Christina Konrad betreibt ein Café und am Platz und dazu eine kleine Unterkunft. Da haben sich zwei Soldaten vom GÜZ eingemietet. Das Café läuft zurzeit nur mäßig.
    Wenn die Soldaten nicht kämen, müsste ich schließen, sagt die Mittfünzigerin.

    "Die Bundeswehr ist eigentlich nötig für diese Region. Es leben viele Leute davon. Viele."

    Die Leiterin der Dorfsparkasse empört sich kommentarlos. Sie schaut auf den fremdbelebten Marktplatz und winkt verächtlich ab. Ja, Anfeindungen von Dorfbewohner gebe es, berichtet Tania. Aber ein älteres Paar habe ihnen selbstgebackenen Kuchen vorbei gebracht. Jan und Tania und ihre Mitstreiter wollen es nicht bei Debatten bewenden lassen. Sie haben in der Nähe von Letzlingen ein zweites Camp organisiert und für Samstag zu einem Aktionstag aufgerufen. Geplant sind aufsehenerregende Aktionen gegen das Gefechtsübungszentrum GÜZ. 'Auf zum GÜZ' heißt es auf einem Flugblatt. 'Widerstand lässt sich nicht verbieten. GÜZ entern, lahmlegen, umgestalten.' Regina Lessing, eine resolute Frau und Bürgermeisterin von Letzlingen, kommt gerade von einem Interviewtermin. In der Hand drei Pappen mit Aktionsaufrufen der Aktivisten:

    "Aktionen, Mahnwache, alles in Ordnung, soll so sein. Das ist auch ein Zeichen der Demokratie, dass jeder seine Möglichkeiten hat, sich entsprechend verbal darzustellen. Aber das, was jetzt eventuell für Samstag geplant ist: Diese größeren Aktionen, wo man den Übungsplatz entern will, findet bei uns hier bei niemandem Zustimmung."

    Wir sind eine strukturschwache Region, sagt die Bürgermeisterin. Und das Militärgelände sei wirtschaftlich notwendig. Jeder im Dorf freue sich über die drei Euro Umsatz, die er mache. Das GÜZ könne man nicht infrage stellen. Kriegsvorbereitung sei keine kommunale Angelegenheit, hält Jan entgegen und zieht eine erste Bilanz des Protestcamps:

    "Wir haben schon ein Teilziel erreicht. Das Gefechtsübungszentrum Altmark ist ein Thema in Region. Das war vorher nicht so."