Montag, 13. Mai 2024

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Stolz auf unser Land. Die amerikanische Linke und der Patriotismus

Der Philosoph Richard Rorty, 1931 in New York geboren, ist so etwas wie das Paradox eines hochangesehenen "enfant terrible" der amerikanischen Philosophie. Er hat als Kenner der sprachanalytischen Philosophie begonnen, als Herausgeber des Sammelbandes "The Linguistic Turn", "Die Linguistische Wende", in dieser Hinsicht Epoche gemacht - und ist bald auf Distanz zu dieser lange Zeit akademisch dominierenden Richtung gegangen. Er hat den Wiederanschluß an die kontinentaleuropäishe Philosophie gesucht - und sich doch als Kritiker ihrer Metaphysik profiliert. Er stellt "Kontingenz" und "Ironie", Zufälligkeit und Distanznahme in den Mittelpunkt seines Denkens - und fordert zugleich, ganz unironisch, Solidarität ein. Nach deutschen Analogien könnte man ihn als sporrige Synthese von Jürgen Habemas' Fortschreibung und Konkretisierung der kritischen Frankfurter Vernunft und Odo Marquards "Abschied vom Prinzipiellen" verstehen. Und jetzt zeigt er in seinem jüngsten Buch, wie das alles ohne Einbuße ohne an gesellschaftspolitischen Engagement zusammengeht.

Ludger Lüdtkehaus | 01.01.1980
    "Achieving our Country: Leftist Thought in 20th-Century America", ist es überschrieben. In der deutschen Übersetzung lautet der befremdliche Titel: "Stolz auf unser Land. Die amerikanische Linke und der Patriotismus". Doch das ist nicht nur eine irreführende Formulierung, die das krasse Mißverständnis fördern könnte, Rorty sei ein nationalkonservativer Geist. Es macht vor allem aus der Formulierung einer zukunftsorientierten Aufgabe - "Achieving" - die stolze Identifikation mit etwas schon Vorhandenem, Hergebrachtem.

    Richtig ist daran nur soviel, daß Rorty von einem nationalen Masochismus, wie er auf der amerkanischen Linken seit dem Vietnam-Debakel im Schwange ist, nichts hält. Er versucht vielmehr, den amerikanischen Patriotismus, dessen Pathos für deutsche Ohren oft übertrieben genug klingt, beim Wort seiner humanen und demokratischenVerheißungen als verfassungspatriotische Bürgerreligion zu nehmen, die Selbstachtung als Bedingung der Selbstvervollkommnung. Rorty weigert sich, gebannt auf den Völkemord an den Indianern, die Sklaverei, die Entrechtung der Afro-Amerikaner, Hispanics, Asiaten, die Verbrechen in Vietnam - die er allesamt nicht dementiert - zu starren und sich nach dem Sündenfall angeekelt auf die reine Theorie, die Zuschauerrolle zurückzuziehen. Er will die obligatorische Selbstkritik als Impuls für eine andere, bessere Theorie nutzen. Die Kronzeugen für die patriotische Bürgerreligion sind der Dichter Walt Whitman und der in Europa weit unterschätzte Philosoph John Dewey.

    Die bevorzugte Zielscheibe der Kritik ist eine linke Bewegung, die sich nach der Verabschiedung der gewerkschaftlich orientierten reformistischen Linken aufs Altenteil einer bloß kulturellen Linken zurückgezogen hat. An den Universitäten feiert sie ihre verbalradikalen postmodernistischen, diskurskritischen und dekonstruktivistischen Etüden. Rorty will eine neoreformistische Linke mit konkreter Politik. Von marxistischer "Systemkritik" hält er nichts, um so mehr, ohne es zu sagen, von Marx´ elfter These über Feuerbach: daß es darauf ankomme, die Welt nicht bloß verschieden zu interpretieren, sondern sie zu verändern.

    Das alles wird brillant, mit Witz und Schärfe, gelegentlich polternd vorgetragen - so wie es einem rechtschaffenen deutschen Philosophieprofessor auch beim besten Willen nicht gelingt: Man weiß das von Habermaß. Gelegentlich könnte Rorty den Beifall der falschen Seite erhalten, die patriotisch für Vergangenheitsentsorgung plädiert: Ende der Auschwitz, Ende der Vietnam-Debatte!

    Aber das wäre völlig an diesem lesenswerten Buch vorbei. Gemeint ist mit der Kritik an einer in Melancholie und Theorie verfallenen Linken zuerst und zuletzt eine die Reform einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die auf zwei Säulen ruht: einem unverhohlenen Egoismus ohne jeden egalitären Impuls und dem Sadismus der Diskriminierung - Anlaß für einen weiß Gott nur bedingten "Stolz auf unser Land".