Richtig ist daran nur soviel, daß Rorty von einem nationalen Masochismus, wie er auf der amerkanischen Linken seit dem Vietnam-Debakel im Schwange ist, nichts hält. Er versucht vielmehr, den amerikanischen Patriotismus, dessen Pathos für deutsche Ohren oft übertrieben genug klingt, beim Wort seiner humanen und demokratischenVerheißungen als verfassungspatriotische Bürgerreligion zu nehmen, die Selbstachtung als Bedingung der Selbstvervollkommnung. Rorty weigert sich, gebannt auf den Völkemord an den Indianern, die Sklaverei, die Entrechtung der Afro-Amerikaner, Hispanics, Asiaten, die Verbrechen in Vietnam - die er allesamt nicht dementiert - zu starren und sich nach dem Sündenfall angeekelt auf die reine Theorie, die Zuschauerrolle zurückzuziehen. Er will die obligatorische Selbstkritik als Impuls für eine andere, bessere Theorie nutzen. Die Kronzeugen für die patriotische Bürgerreligion sind der Dichter Walt Whitman und der in Europa weit unterschätzte Philosoph John Dewey.
Die bevorzugte Zielscheibe der Kritik ist eine linke Bewegung, die sich nach der Verabschiedung der gewerkschaftlich orientierten reformistischen Linken aufs Altenteil einer bloß kulturellen Linken zurückgezogen hat. An den Universitäten feiert sie ihre verbalradikalen postmodernistischen, diskurskritischen und dekonstruktivistischen Etüden. Rorty will eine neoreformistische Linke mit konkreter Politik. Von marxistischer "Systemkritik" hält er nichts, um so mehr, ohne es zu sagen, von Marx´ elfter These über Feuerbach: daß es darauf ankomme, die Welt nicht bloß verschieden zu interpretieren, sondern sie zu verändern.
Das alles wird brillant, mit Witz und Schärfe, gelegentlich polternd vorgetragen - so wie es einem rechtschaffenen deutschen Philosophieprofessor auch beim besten Willen nicht gelingt: Man weiß das von Habermaß. Gelegentlich könnte Rorty den Beifall der falschen Seite erhalten, die patriotisch für Vergangenheitsentsorgung plädiert: Ende der Auschwitz, Ende der Vietnam-Debatte!
Aber das wäre völlig an diesem lesenswerten Buch vorbei. Gemeint ist mit der Kritik an einer in Melancholie und Theorie verfallenen Linken zuerst und zuletzt eine die Reform einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die auf zwei Säulen ruht: einem unverhohlenen Egoismus ohne jeden egalitären Impuls und dem Sadismus der Diskriminierung - Anlaß für einen weiß Gott nur bedingten "Stolz auf unser Land".