Mittwoch, 08. Mai 2024

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Strahlendweißer Smogfresser

Materialwissenschaft. – Stadtluft macht heutzutage eher schmutzig als frei, was man an allen Bauwerken ablesen kann, deren jüngster Fassadenanstrich älter als ein oder zwei Jahre ist. Forscher eines italienischen Zementherstellers haben jetzt einen Beton entwickelt, der die schädlichen Bestandteile des Smogs in unschädliche umwandelt, und das Material an Roms jüngster architektonischer Sehenswürdigkeit erprobt: der Kirche "Dives Misericordia" des amerikanischen Architekten Richard Meier.

08.01.2004
    Gestalterisches Element der im Oktober geweihten Kirche am Stadtrand von Rom sind drei riesige weiße Betonsegel. Damit die auch weiß bleiben, hat die Baufirma "Italcementi" einen Beton entwickelt, der sich unter Lichteinwirkung selbst reinigt und nebenbei die Bestandteile des Smog zersetzt. Pepe Carmine vom Technik-Zentrum des Unternehmens ist einer der Entwickler: "Der Beton ist fotokatalytisch und bringt unter Lichteinwirkung Reaktionen in Gang, die verunreinigende Substanzen in der Luft abbauen – zum Beispiel Auto- und Fabrikabgase, Stickoxide, Schwefeloxide oder Russ, allesamt Partikel, die in der Atmosphäre vorkommen." Titandioxid, das man als weißes Farbpigment oder als physikalischen Sonnenschutzfaktor kennt, im Baumaterial katalysiert die Umwandlung von Stickoxiden in Stickstoff und Sauerstoff, von Ruß in Kohlendioxid.

    Titandioxid ist ein anorganischer Halbleiter. Ein Stoff also, der normalerweise keine Energie leitet, unter Einfluss von Wärme oder Licht aber sehr wohl. Und so funktioniert auch der Beton. Carmine: "Die Elektronen werden von den Photonen des UV-Lichtes mit Energie aufgeladen, die sie dann wieder an andere Verbindungen abgeben können. Der Vorgang ist im Prinzip eine Oxidation." Und dieser Vorgang stößt die Umwandlung der Abgase an. Labortests ergaben, dass das Material 90 Prozent des umgebenden Smogs abbauen kann, Berechnungen von "Italcementi" besagen, dass man die Umweltbelastung einer Stadt halbieren kann, wenn 15 Prozent ihrer Oberfläche aus dem neuen Beton bestehen. Überzeugender als diese Rechenexempel dürfte jedoch die ästhetische Qualität des Betons sein. Dank Titandioxid und ebenfalls beigemengtem Carraramarmor-Pulver ist er strahlend weiß und soll es dem Unternehmen zufolge auch bleiben.

    [Quelle: Gudrun Sailer]