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Tagung in Bamberg
Widerstand - eine vernachlässigte Bildungsaufgabe?

Von Carlo Schindhelm | 25.03.2015
    "Diese Fähigkeit des Neinsagens, des Widerstandleistens, des nicht Mitmachens - diese Fähigkeit, die fällt nicht vom Himmel, sondern die muss erworben werden und da sehe ich nirgendwo Ansätze, weder in der Unterrichtspraxis, in der Bildungspraxis noch in der Bildungstheorie, wo dieser Prozess des Erwerbens von Widerständigkeit oder Widerstandskompetenz wo der gefordert und beschrieben werden würde."
    Stattdessen würden Schüler vor allem befähigt, sich anzupassen. Flexibel auf Herausforderungen zu reagieren, zu funktionieren. Der Alltag fordere vom Schüler zu erspüren, was der Lehrer will, damit er gute Noten bekommt. Handlungsmuster, die den jungen Menschen davon wegführen, ein selbstbestimmtes Handeln zu erlernen, sagt der Didaktik Professor Fritz Reheis:
    "Das ist nicht verträglich mit einem aufklärerischen Menschenbild, weil dieses Menschenbild ja davon ausgeht, dass der Mensch zum mündigen Menschen erzogen werden soll und ein mündiger Mensch müsste sich eigentlich dadurch charakterisieren, dass er selbst entscheidet, wann er sich anpasst, wann er mitmacht und wann er nein sagt, wann er Widerstand leistet."
    Der Professor stellt die These auf, dass die Fähigkeit zum Widerstand eine vernachlässigte Bildungsaufgabe ist. Fragt man an einer Bamberger Schule nach, löst der Begriff Widerstand beim Rektor erst einmal negative Assoziationen aus. Er denkt an Schüler, die sich Widersetzen oder sich nicht unterordnen wollen. Der Schulleiter des Franz-Ludwig-Gymnasiums, Martin Rohde, ersetzt den Begriff Widerstand daher lieber mit den Begriffen Zivilcourage oder Streitkultur:
    "Der Begriff Widerstand gefällt mir für die Schule nicht, weil das eine Konfrontation suggeriert. Wir lösen die Probleme eigentlich gemeinsam."
    Damit eine Institution wie Schule funktioniert, wird von allen Beteiligten auch eine große Portion Anpassung verlangt. Doch für unterschiedliche und abweichende Meinungen sei durchaus Raum, sagt Martin Rohde. Schüler würden ermutigt, ihre Meinung kundzutun, auch wenn sie von der Mehrheitsmeinung abweicht. Die Schüler können mit dem Begriff Widerstand offenbar mehr anfangen. Jakob ist zweiter Schülersprecher und erinnert sich an ein ganz konkretes Beispiel. Bei 40 Grad Hitze im Sommer protestierten rund 100 Schüler vor dem Lehrerzimmer mit einer Sitzblockade für Hitzefrei am Nachmittag:
    "Und das war so eine Errungenschaft der Schüler, durch Widerstand, der aber eigentlich illegal ist. Sie haben ja quasi Unterrichtszeit verpasst. Die Lehrer hätten sie sanktionieren können, haben sie nicht gemacht, weil es so eine breite Masse war und die Schüler haben ihr Ziel erreicht dadurch."
    Jakob ist der Meinung, dass auch in der Schule Widerstand stattfinden kann - ein sich widersetzen, mitbestimmen und mitgestalten. Aber natürlich gibt es auch Grenzen:
    "Wenn ein Schüler sagt, passen Sie auf, ich will das nicht, ich sehe das nicht ein, dass Sie mich so bestrafen, dann könnte die Lehrkraft weitere Schritte gehen, bis hin zu einem Direktoratsverweis. Dann nach dem Direktoratsverweis kann das zu einem Schulausschluss führen bei der nächsten Kleinigkeit, die der Schüler oder die Schülerin sich erlaubt."
    Der Schüler Patrick glaubt, dass das Klima an der Schule durchaus Widerstand zu lasse:
    "Aber ich glaube, an sich ist es zumindest unter den Lehrern und den Schulleitern schon gewünscht, dass man Widerstand übt."
    Jakob und Patrick sind Schülersprecher und bringen offenbar von sich aus eine große Bereitschaft zur Mitgestaltung mit. Der Didaktik-Professor Fritz Reheis ist sich sicher, das die Fähigkeit zum Widerstand irgendwann erst einmal erlernt werden muss. Und das passiere seiner Meinung nach über Teilhabe:
    "Man bräuchte halt eine demokratisierte Schule. Das heißt, Schüler müssten die Möglichkeit haben bei der Entscheidung für Inhalte des Lernens, bei der Entscheidung für Inhalte des Lernen bei der Entscheidung für Formen des Lernens sehr viel mehr Einfluss zu nehmen, gefragt zu werden - partizipieren zu können."
    Fritz Reheis verweist etwa auf die Montessori-Schule, wo solch eine Teilhabe verstärkt praktiziert wird. An den staatlichen Schulen wünscht er sich mehr davon.