Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv

Tatihou
Kleine, feine Insel vor der normannischen Küste

Die Insel Tatihou hat schon als Kriegsschauplatz, Quarantäneinsel und Standort für Meeresforschung fungiert. Außerdem ist sie für ihre Austernbänke und ihr Vogelschutzgebiet bekannt. Ein Besuch auf der 29-Hektar-Insel, die man in einer Stunde komplett umrunden kann.

Von Peter Kaiser | 07.01.2018
    Tatihou ist nur wenige Dutzend Hektar groß, hat aber ein Meermuseum hat es
    Tatihou ist nur wenige Dutzend Hektar groß, hat aber ein Meermuseum (AFP / Jean-Paul Barbier)
    Steht man am Quai Vauban im kleinen normannischen Küsten-städtchen Saint-Vaast-la-Hougue hat man die Wahl: entweder die Insel Tatihou, die genau gegenüber des Quais liegt, per Fuß zu erreichen, dann sollte man bis zur Ebbe mit dem etwa 45-minütigen Spaziergang warten. Will man aber Tatihou, das vor der Ostküste der Halbinsel Cotentin liegt, bei Flut betreten, dann muss man das Amphibienfahrzeug nehmen, das sich im Wasser wie ein gewöhnlicher Kutter präsentiert.
    Flut also … und die Fahrt zur Wikingerinsel Tatihou – das Wort setzt sich aus dem bretonischen Hou, von Wasser umgebenes Land, und dem Eigennamen Tati zusammen – dauert nur knappe 20 Minuten.
    "So, Sie sind herzlich willkommen auf der Insel Tatihou. Ich bin Führerin hier, mein Name ist Manuella."
    Seit mehr als zwei Jahrzehnten führt Manuella Bernhard Besucher über die Insel. Manuella ist eine von 25 Mitarbeitern, die den exotischen, den maritimen und den zeitgenössischen Garten, das See-Museum, das berühmte Fort, das Naturschutzgebiet, sowie das Restaurant mit angeschlossenem Neun-Zimmer-Hotel zeigen und managen. Doch abends, wenn die maximal 500 Tagesbesucher die Insel wieder verlassen haben, viele dann zu Fuß, geht auch sie an den Austerntischen in der Bucht vorbei zum Küstenstädtchen Saint-Vaast-la-Hougue. Keiner lebt auf Tatihou, was auch mit der Größe der Insel zusammenhängt, die sich über eine Fläche von 27 Hektar erstreckt, 700 Meter lang und 400 Meter breit ist, und noch ein Schutzgebiet für Vögel hat.
    "Es gibt viele Austernbänke hier überall, es ist sehr wichtig für die Stadt Saint-Vaast. Saint-Vaast ist sehr berühmt für seine Austern. Diese Austern haben einen speziellen Geschmack, man sagt, dass sie einen Haselnussgeschmack haben."
    Wofür sie bis nach Paris in den Feinschmeckerrestaurants hochgelobt und heißbegehrt sind, betont Manuella in ihrem etwas drolligen Deutsch. Die Führerin lächelt, und weist den Weg.
    Militärstützpunkt, Quarantäneinsel, Meeresforschungsanstalt
    Tatihou – ist zu erfahren – habe eine wechselvolle dreihundertjährige Geschichte. Erst war die Insel ein militärischer Stützpunkt. Im Jahr 1692 tobte hier in der "Bataille von la Hougue" eine Schlacht um das strategisch wichtige Seegebiet hier …
    "Es war eine starke Schlacht zwischen den Franzosen und einer englisch-holländischen Koalition."
    Auswirkungen dieser Seeschlacht sind bis heute noch sicht- und spürbar, auch Hintergründe …
    "300 Jahre nach der Schlacht sind Archäologen zu den Schiffwracks getaucht, und sie haben sie haben viele Objekte gefunden, mehr als 600 Gegenstände. Diese Objekte sind im Museum."
    Zwei Jahre nach der Schlacht baute der Festungsbaumeister des Sonnenkönigs Louis XIV., Sébastien Le Prestre de Vauban, hier ein Fort, um den Hafen von Saint-Vaast künftig gegen englische Übergriffe zu schützen. Dieses Fort mit dem sehenswerten Turm steht unter dem Schutz des UNESCO-Weltkulturerbes. 1992 eröffnete das Museum auf Tatihou, um Fundstücke der Schlacht den Besuchern zu präsentieren. Doch die Insel war mehr als nur Ort eines Gemetzels, sie war auch eine Quarantäneinsel:
    "Zuerst war es für die Pest von Marseille, man hatte andere Epidemien später, wie Gelbfieber und auch Cholera."
    Aus dem kleinen Krankenhaus für die Pestbefallenen wurde später eine Meeresforschungsanstalt der besonderen Art. Das ist sprachlich für Manuella dann doch etwas "difficile", darum hilft Sawina, die mit nach Tatihou gekommen ist:
    "Plankton ist hier um Tatihou sehr wichtig, einfach weil die Gezeitenströmung sehr stark ist, man hat hier einen sehr großen Tidenunterschied zwischen Ebbe und Flut, und man kann deshalb hier hervorragend Austern züchten, und es gibt hier viel Plankton, es ist eine reiche Gegend an Plankton, und man kann hier gut den Plankton beobachten."
    "Die Forscher haben ein spezielles Gebäude errichtet, ein Salzwasserschloss. Es erlaubte Meereswasser zu pumpen, und das Salzwasser sollte verschiedene Aquarien füllen. Das Salzwasserschloss ist noch benutzt für unsere Meereslabor heutzutage."
    Was muss man tun, um diese Insel zu kaufen?
    Eigentlich bewegt man im Gehen über Tatihou einen einzigen Gedanken permanent im Kopf herum: Was muss ich tun, um diese Insel, die dazu noch im milden Golfstromklima liegt, kaufen zu können? Und schwingt diese Begehrlichkeit wie eine Art leise Hintergrundmusik beim Besuch mit, so wird spätestens dann daraus ein symphonischer Satz, wenn man den exotischen, den maritimen, und darauf den zeitgenössischen Garten hier betritt:
    "Es gibt hier Lazarettpflanzen. Einen thematischen Garten. Man nützte spezielle Pflanzen, wie Thymian, Salbei, Rosmarin, und andere Pflanzen, die alte Pflanzen sind. Zum Beispiel Larue, es ist nicht bekannt."
    Die Gärten, dazu eine Werkstatt, in der Oldtimer-Sportboote restauriert werden, die Wehrtürme von Vauban, dazu das Meer drumherum, wer hier ist, will hier bleiben. Und manchmal gelingt das sogar, für einige Zeit:
    "Das letzte Schiff nach Saint-Vaast fährt um 18 Uhr, und einige Leute bleiben hier um zu übernachten. Es ist sehr ruhig, so, petit déjeuner im Restaurant gegenüber. Es ist Minimum Halbpension.
    Man muss nur vorsichtig sein, die Vögel sind nicht nur in der Luft, sie sind auch am Boden, und besser nicht zu überhören und vor allem nicht zu übersehen.
    "Vorsicht, das ist eine Seemöwe, sie hat ihr Nest hier am Boden mit Eier … "
    Dann geht es wieder zurück nach Drüben, nach Saint-Vaast-la-Hougue, dieses Mal zu Fuß, weil Ebbe ist. Und wieder ist da die ernsthafte Überlegung, was so ein Inselchen für einen allein kosten würde? Dabei war das Land mit dem Wasser darum, Tatihou, bis 1992 isoliert, es gab nur ein Erziehungsheim für schwer erzieh-bare Jugendliche, die hier eine Ausbildung bekamen, um das Leben meistern zu können.
    "Bist du nicht artig, wirst du nach Tatihou geschickt"
    "Die Leute von Saint Vaast erinnern sich noch an diese Epoche, und sie sagen, dass als sie jung waren, ihre Eltern sagten, wenn du nicht artig bist, wirst du nach Tatihou geschickt. Und heute sagt man, wenn du artig bist, dann wirst du nach Tatihou gehen."
    Die Küste kommt näher, Schritt für Schritt, und natürlich lockt es mächtig, mal an den nassen berühmten Austernsäcken zu rütteln, die jetzt in der prallen Sonne auf Tischen liegen. Bald wird das Meer wiederkommen, und die Tische überspülen.
    Es ist wie eine Art Déja-Vu, wenn plötzlich, mitten im Schlick, nahe an den Austerntischen vorbei, der Kutter vom Hinweg jetzt vorbeirattert. Nun auf Rädern.
    Man dreht sich noch einmal nach Tatihou um, einmal mindestens. Denn da ist die Ahnung, womöglich ein Stück vom Paradies auf Erden gesehen zu haben.