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Ungeklärte Entsorgung

US-Präsident Barack Obama gilt nicht als Gegner der Atomwirtschaft – sein Energieminister ist ein ausgewiesener Kernkraftbefürworter. Blind vertrauen will man in den USA der Atomwirtschaft jedoch nicht. Vor dem Bau neuer Meiler soll jetzt erst die Entsorgung des radioaktiven Mülls geklärt werden.

Von Heike Wipperfürth | 03.09.2012
    Die US-Atomaufsicht hat den Energiekonzernen des Landes eine schwer überwindbare Hürde für den weiteren Ausbau der Kernenergie aufgestellt. Die Nuclear Regulatory Commission, kurz NRC, stoppte die Lizenzvergabe für Laufzeitverlängerungen und neue Atommeiler, bis sie die Auswirkungen des gefährlichen Atommülls auf die Umwelt besser versteht. Ein Endlager ist derweil nicht in Sicht. Von dem Vergabestopp sind mindestens 19 Atommeiler betroffen – ihre Zukunftspläne liegen derzeit brach. Für viele ist das ein Sieg der Umweltschützer über die mächtige Atomlobby. Denn 24 Umweltorganisationen hatten der NRC anlässlich der Nuklearkatastrophe in Japan eine mangelhafte Überprüfung der Atommüllrisiken vorgeworfen. Sie waren hocherfreut, als sich ein Gericht im District of Columbia vor zwei Monaten auf ihre Seite stellte und entschied, dass die NRC gegen den National Environmental Policy Act verstoßen habe, als sie die Aufbewahrung von Atommüll in Zwischenlagern für sicher erklärte. Das Gesetz fordert die sorgfältige Prüfung der Umweltrisiken von Großprojekten. Deshalb wird die NRC erst nach einer solchen Prüfung wieder Lizenzen vergeben, sagt Michael Gerrard, ein Juraprofessor an der Columbia Universität in New York.
    "Diese Entscheidung ist von großer Bedeutung. Sie bremst den Bau neuer Meiler, bis Amerika eine Lösung für das Problem mit dem Atommüll findet. Noch gibt es keine. Die Verhandlungen und Studien gehen weiter, aber eine Zeitlang kann nichts Neues gebaut werden."

    Jetzt will die NRC so schnell wie möglich zeigen, wie die 70.000 Tonnen strahlenden Mülls, die sich in unmittelbarer Nähe der 104 Reaktoren in 31 US-Bundesstaaten angesammelt haben, sicher gelagert werden können. Auch wenn kein Endlager in Sicht ist, seit Präsident Barack Obama die Vorarbeiten dafür in Yucca Mountain in Nevada gestoppt hat. Doch Allison Macfarlane, die neue Leiterin der Nuklearbehörde, gibt sich betont zuversichtlich.
    "Wir wissen, wie dringlich das ist. Zur Zeit schauen wir uns verschiedene Möglichkeiten an. Wir werden so schnell wie möglich unsere Pläne vorstellen."

    Große Sorge bereitet Experten auch etwas anderes: Die Nähe vieler amerikanischer Atommeiler und des in ihrer Nähe gelagerten Atommülls zum Meer. Kein sicherer Platz für die strahlende Materie, wie schon die Nuklearkatastrophe in Japan klar gemacht hat. Hinzu kommt ein weiteres immens gefährliches Problem, sagt der Juraprofessor Michael Gerrard.

    "Erdbebenrisiken machen uns große Sorgen. Atommeiler wie Indian Point in New York sind nicht weit von Störungszonen entfernt. Sie sind nicht sehr aktiv, können aber großen Schaden anrichten."

    Eine Weiterführung der Vorbereitungen für ein Endlager in Yucca Mountain ist nicht auszuschließen – trotz geologischer Bedenken und politischen Widerstands. Ein Gericht wird Ende des Jahres entscheiden, ob die NRC gegen das Gesetz verstieß, als sie der Obama Regierung erlaubte, den Weiterbau des Endlagers zu stoppen. Wenn ja, könnte die Atomlobby das umstrittene Projekt wieder aufleben lassen. Ein republikanischer Präsident würde sich sicher darüber freuen. Michael Gerrard:

    "Es kann sein, dass es zu einer Wiederbelebung des Projektes kommt. Es hängt von der Gerichtsklage und der Präsidentschaftswahl im November ab."

    Tatsächlich wird über die Zukunft des strahlenden Mülls in Washington entschieden. Demokratische und republikanische Politiker haben im August einen Gesetzentwurf zur Gründung einer neuen Organisation vorgelegt, die sich mit der Entsorgung von Atommüll befassen soll. Selbst wenn er verabschiedet wird, bleiben viele Fragen offen. Denn schon jetzt ist der Atommüllberg größer als die bisher zugelassene Kapazität von Yucca Mountain. Und jährlich fallen weitere Tausende Tonnen Müll an, die höchst gefährlich sind. Wohin damit, weiß keiner so genau.