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"Unsere Wirtschaft ist einfach zu schwach"

In Portugal beträgt der Durchschnittslohn nur 750 Euro, die Arbeitslosenquote liegt bei 10,8 Prozent und jeder fünfte Einwohner lebt in Armut. Angesichts der Schuldenkrise droht nun auch noch ein hartes Sparprogramm. Viele Menschen fürchten um ihre Existenz.

Von Tilo Wagner | 15.07.2010
    Auf Lissabons Hauptplatz Rossio haben sich ein paar Hundert Demonstranten versammelt, unter ihnen auch João Isqueiro, der ein Schild mit dem Konterfei von Premierminister José Sócrates hochhält. Darunter steht: "Pump doch deine Tante um Geld an!" João Isqueiro demonstriert gegen das Sparpaket der portugiesischen Regierung, mit dem sie die öffentlichen Finanzen in Ordnung bringen will. Geplant sind Steuererhöhungen, Einschnitte bei den Sozialleistungen sowie Privatisierungen. Der 31-jährige Angestellte fürchtet nun um seinen Job bei der Post.
    "Ich verstehe nicht, warum die Regierung nun staatliche Unternehmen verkaufen will, die höchst lukrativ sind. Die Post hat in den vergangenen vier Jahren rund 250 Millionen Euro Gewinn gemacht!"

    Die Geschichte der Privatisierungen in Portugal scheint sich zu wiederholen. So sieht es zumindest aus, wenn man auf den Lebenslauf von Fernando Pedroso schaut, der seit ein paar Monaten arbeitslos ist. In den 80er-Jahren begann er seine Tätigkeit in der staatlich kontrollierten Glasfabrik Covina, die der portugiesische Staat wenige Jahre später an den multinationalen Glasfabrikanten Saint-Gobain verkaufte. Schließlich erwischte die Finanzkrise den Großkonzern.

    "Die Aktionäre von Saint-Gobain haben in der Finanzkrise viel Geld verloren und sprachen sich gegen eine Investition in Portugal aus. Für die Reparatur des Hochofens waren 20 Millionen Euro veranschlagt. Jetzt haben sie den einzigen Hochofen Portugals geschlossen. Unsere Wirtschaft ist einfach zu schwach. Schuld hat aber vor allem die Regierung, die unsere Interessen nicht vehement verteidigt hat."

    In den 1980er-Jahren galt Portugal als das Land mit den niedrigsten Arbeitslöhnen in der Europäischen Gemeinschaft. Internationale Unternehmen investierten, doch Ende der 1990er-Jahre begann ein Prozess, den die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise nun noch beschleunigt hat. Immer mehr Firmen schließen ihre Standorte im Südwesten Europas. Entweder wegen Insolvenz, wie im Falle des deutschen Schuhfabrikanten Rohde, der im Mai knapp 1000 Arbeiter entlassen hat. Oder wie Fernandos ehemaliger Arbeitgeber Saint-Gobain, der in neue Anlagen in Rumänien, Indien und China investiert hat, weil er dort noch billiger produzieren kann. Fernando Pedroso fühlt sich betrogen, denn in Portugal hatte man lange Zeit die Glasarbeiten gemacht, die wegen ihres risikoreichen Produktionsprozesses sonst niemand erledigen wollte:

    "Dieses Unternehmen hat sehr viel Geld. Vor allem mit unserer Fabrik haben sie jahrelang Profit gemacht. Und plötzlich schließen sie den Hochofen und setzen uns auf die Straße. Erst war es eine kurzfristige Arbeitsunterbrechung, und jetzt sind wir arbeitslos. Das haben wir nicht verdient. Nicht nach all dem, was wir für die Firma getan haben."

    Von 2002 bis 2009 hat die portugiesische Industrie mehr als 300.000 – also fast 20 Prozent – ihrer Arbeitsplätze verloren. Stattdessen entstanden neue im Dienstleistungssektor, in Dutzenden neuen, hochmodernen Einkaufszentren. Doch krisensicher sind diese Jobs nicht, denn die sozialistische Regierung hat gerade erst die Mehrwertsteuer, die Einkommens- und die Kapitalsteuer erhöht und erwartet als Folge Einbrüche im Konsum. Auch im Baugewerbe sieht es nicht besser aus, nachdem große Investitionsprojekte wie die Hochgeschwindigkeitszugtrasse vorerst aufs Eis gelegt wurden. Kein Wunder also, dass die OECD auch im kommenden Jahr keine deutliche Verbesserung auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt erwartet. Fernando Pedroso, der seit neun Monaten arbeitslos ist, hat die Hoffnung aufgegeben, noch einmal einen Job zu finden:

    "In der Industrie gibt es kaum Stellenangebote. Ich bewerbe mich auf drei bis vier Anzeigen pro Monat. Bis jetzt hat sich niemand gemeldet, nicht einmal einen einzigen Anruf habe ich bekommen. Ich habe viel Arbeitserfahrung gesammelt und könnte für die Industrie noch wirklich hilfreich sein. Aber kein Unternehmer interessiert sich für mich. Ich bin jetzt 55 Jahre alt und war in Firmen angestellt, deren Belegschaft immer politisch stark organisiert war. So jemanden will doch kein Unternehmer heutzutage. Die wollen Arbeitskräfte, die sich formen lassen und die sie ausnutzen können."