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Verbotener Blick in italienische Ausweisungslager

Wer sich der Mauer nähert, ist verdächtig. Das Tor geht auf, wenn man als Journalist davor steht und ein Foto machen will. Papiere werden verlangt, Einschüchterungen folgen, Verbote und Drohungen, man solle sich verziehen. Italien will seine Ausweisungspolitik offenbar geheim halten.

Von Karl Hoffmann | 20.06.2011
    In dem unscharfen Video sind etwa zwei Dutzend Menschen zu erkennen. Die kleine Kamera des Handys bewegt sich auf Zäune zu, dahinter stehen Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken. Das Handyvideo wurde in einem Ausweisungslager in Süditalien gedreht, weit abgelegen in der tiefsten Provinz. Es wurde heimlich produziert, denn Filmen ist im Lager mit der doppelten Zaunreihe verboten. Vor dem Eingangstor ist ein grellgelbes Hinweisschild für Autofahrer angebracht: Langsam fahren - Hilfseinrichtung für Immigranten. Ein Witz findet Signor Giovanni, der in einem kleinen Hotel am Ort arbeitet.

    "Meiner Meinung nach ähnelt das viel mehr einem Gefängnis als einem Aufnahmelager für Immigranten. Es ist gemacht wie ein Kerker mit vier Metern hohen Betonwänden und Panzertüren. Man kann nicht hineinsehen. Dabei hätte man ein echtes Zentrum zur Aufnahme für Fremde machen können, aber wann macht man in Italien schon mal sinnvolle Sachen."

    Nicht nur die Bürger von Palazzo San Gervasio in der süditalienischen Region Basilikata sind entsetzt, was der Staat ohne ihr Wissen in den letzten Monaten aus dem früheren offenen Camp für Erntearbeiter nur zwei Kilometer vor den Toren ihres kleinen Städtchens gemacht hat.

    "Gestern haben wir unseren Stadtheiligen gefeiert und in seiner Predigt hat sogar der Bischof gesagt wir müssten schämen für dieses Lager, das da aus dem Nichts entstanden ist. Wir haben keine Ahnung, wie es dort drinnen aussieht, denn sie eine riesige Mauer davor gebaut."
    Wer sich der Mauer nähert, ist verdächtig. Das Tor geht auf, wenn man als Journalist davor steht und ein Foto machen will. Papiere werden verlangt, Einschüchterungen folgen, Verbote und Drohungen, man solle sich verziehen. Das Lager von Palazzo San Gervasio mit schätzungsweise 200 Tunesiern, die sich verzweifelt gegen die Rückführung in ihr Heimatland wehren, ist Off limits, ein Staatsgeheimnis. Und das gilt nicht nur für Palazzo San Gervasio. Das italienische Innenministerium verteilt die neu ankommenden Migranten auf sämtliche italienische Regionen, je nach ihrer Herkunft. Tunesier landen hinter Gittern, wer dagegen Anrecht auf humanitäre Hilfe hat – das sind alle Flüchtlinge aus Libyen – wird in Lagern, Hotels und öffentlichen Gebäuden untergebracht. 40.000 Menschen kamen nach Süditalien seit Anfang des Jahres – für die humanitären Organisationen mit ihrem knappen Personal sind es zu viele, die zudem überall in Italien verteilt leben. Selbst die Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars haben den Überblick verloren. Die gewaltsame Rückführung, etwa von Tunesiern, findet im Verborgenen statt. Unbekannt ist aber auch, wie viele reguläre Flüchtlinge die italienischen Regionen noch nehmen können.

    In der Zeltstadt von Manduria in der Region Apulien auf dem Stiefelabsatz werden all jene Menschen aufgenommen, die aus Libyen über Lampedusa geflohen sind und nicht zwangsweise zurückgeschickt werden können. Unruhe gibt es nur, wenn der Weitertransport stockt und die Lagerbewohner Angst haben, sie müssten zu lange in den stickig heißen Zelten ausharren.

    Manduria dient als Zwischenstation, um Lampedusa kontinuierlich zu entlasten. Etwa 13000 Menschen aus 32 verschiedenen Ländern haben Libyen in den letzten Wochen fluchtartig verlassen. Francois ist 30 und stammt aus der Republik Kongo:

    "Würden sie wieder zurückgehen nach Libyen, wenn der Krieg dort aufhört? - Libyen ist nicht mein Heimatland, ich stamme aus dem Kongo. Also würden sie nach Kongo zurückgehen? In die Republik Kongo? Nie im Leben, auch in meinem eigenen Land habe ich nur schlimme Erfahrungen gemacht."

    Francois wartet am Lagerausgang geduldig auf den Bus, der ihn vielleicht in die Toskana oder auch nach Rom bringt. Eine neue Heimat wird das nicht sein Sobald sich die Lage in Nordafrika wieder beruhig, wird die Gastfreundschaft in Italien für ihn und die anderen Tausenden von Kriegsflüchtlingen ein Ende haben.