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Vogelzug und Vogelgrippe

Vogelgrippe. - In wenigen Tagen werden riesige Schwärme von Zugvögeln nach Deutschland kommen, doch in diesem Jahr wird sich die Begeisterung für das Naturschauspiel in Grenzen halten. Seit sich die Vogelgrippe in der Welt verbreitet, stehen wilde Vögel unter Generalverdacht. Ob sie aber tatsächlich die tragende Rolle bei der Verbreitung der Krankheit spielen, ist unter Experten umstritten.

Von Monika Seynsche | 09.03.2006
    Auch wenn in den vergangenen Wochen durch fast jede Nachrichtensendung Bilder von toten Vögeln geisterten - insgesamt sind in diesem Winter trotz H5N1 nicht mehr Wildvögel in Deutschland gestorben, als in vergleichbar strengen Wintern.

    "Dieses Virus scheint sich in Wildvögeln weit weniger aggressiv zu zeigen, also weniger pathogen zu sein, deswegen haben wir es auch nicht früher entdeckt, sondern entdecken es jetzt um diese Jahreszeit. Am Ende eines Winter - erst recht wenn der Winter so streng ist wie der momentan noch anhaltende - gibt es natürlicherweise eben Todesfälle unter diesen Vögeln, gerade eben Wasservögel. "

    Franz Bairlein, Direktor des Instituts für Vogelforschung "Vogelwarte Helgoland" in Wilhelmshaven ist davon überzeugt, dass H5N1 schon länger, wahrscheinlich schon seit dem letztem Herbst in Europa ist. Um beweisen zu können, dass sich das Virus so lange in Wildvogelbeständen halten kann, bräuchte er einen gesunden und trotzdem mit H5N1 infizierten Wildvogel. Bisher hatte man allerdings nur tote infizierte Vögel gefunden. Aber vor wenigen Wochen haben chinesische Forscher im Fachblatt "Proceedings of the National Acadamy of Sciences" berichtet, dass sie H5N1 aus Wildenten isoliert haben, die keine Krankheitssymptome zeigten. Zwar waren von 13.000 Tieren nur sechs positiv, so dass man daraus noch keine Schlüsse ziehen kann, meint der Leiter der Vogelwarte Radolfzell am Max-Planck-Institut für Ornithologie, Wolfgang Fiedler. Aber wenn sich diese Ergebnisse bestätigen sollten, sieht er darin einen Anlass für Zuversicht:

    " Wenn vor einem halben Jahr oder vielleicht noch früher das Virus angekommen ist, und keiner hat's gemerkt, dann bedeutet das ja: Es ist eben nicht so, dass jedes Mal, wenn irgendwo ein Virenträger hinkommt wie auch immer, dass dort sofort das Massensterben einsetzt. Und das wäre natürlich erst einmal eine gute Nachricht."

    Wenn sich das Virus wirklich in gesunden Wildvogelbeständen halten kann, hätte das andererseits natürlich Konsequenzen für die Freilandhaltung von Geflügel. Um klären zu können, wie weit die Vogelgrippe schon unter Wildvögeln verbreitet ist, müssen nach Ansicht von Franz Bairlein und Wolfgang Fiedler viel mehr lebende Wildvögel untersucht werden und zwar vor allem Wasservogelarten, denn unter denen scheint sich H5N1 besonders gut ausbreiten zu können. Man sollte sich auf Höckerschwan, Stockente, Blesshuhn und Lachmöwe konzentrieren, so Wolfgang Fiedler. Er vermutet, dass sich die Vogelgrippe unter Wildvögeln in den nächsten Wochen noch weiter verbreiten wird.

    " Denn es kommt jetzt sehr viel Bewegung in die Vogelwelt. Die Vögel, die an der Küste überwintert haben, fliegen vielleicht ins Binnenland, um dort zu brüten, einer der vielleicht im Tal war geht ins Gebirge hoch, viele, viele kleine Wanderungen vom Land in die Städte oder umgekehrt. Also da ist insgesamt sehr, sehr viel Bewegung drin und das bedeutet sicher auch, dass sich die Virenträger mitbewegen."

    Besonders mit Wasservögeln. Die Gefahr, dass die in den nächsten Wochen aus Afrika zurückkehrenden Zugvögel das Virus noch weiter in Europa verbreiten könnten, ist nach Meinung beider Wissenschaftler gegeben, jedoch gering. Denn zum einen sind aus Afrika bisher noch keine Vogelgrippefälle unter Wildvögeln bekannt und zum anderen sind die meisten heimkehrenden Zugvögel Singvögel und keine Wasservögel. Im Labor lässt sich zwar fast jede Vogelart mit H5N1 infizieren:

    "Aber im Freiland ist ja immer die Frage, wie kommen die Wildvögel überhaupt an das Virus dran, um sich zu infizieren. Das muss ja auf irgendeine Schleimhaut draufgeraten und da kann ich mir jetzt nicht richtig vorstellen, wenn jetzt in einem Teich eine infizierte Ente sein sollte und oben drüber fängt eine Rauchschwalbe eine Mücke, wie die sich dann infizieren soll an diesem Virus. "

    Noch unwahrscheinlicher ist es, dass sich ein Mensch bei wilden Vögeln mit der Vogelgrippe anstecken könnte. Alle bisher erkrankten Personen hatten einen extrem engen Kontakt mit infiziertem Hausgeflügel. Aber wer kuschelt schon mit einem wilden Schwan?