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Vom Schulleiter zum Manager

Lehrer sein ist gar nicht so leicht, Schulleiter sein erst recht nicht. Sie müssen nicht nur eine Klasse leiten, sondern auch zunehmend Managementfunktionen wie Personauswahl und Qualitätssicherung übernehmen. Doch in der Lehrerausbildung spielen solche Fähigkeiten kaum eine Rolle. In Nordrhein-Westfalen erlernen Schulleiter die notwendigen Kompetenzen in sogenannten Tandems mit Senior-Experten, die in der Wirtschaft Karriere als Manager gemacht haben. Einer dieser Experten ist der ehemalige Manager Jürgen Ernst:

Von Britta Mersch | 29.03.2008
    "Wir haben in der Wirtschaft genau das gleiche Problem in den Führungsetagen wie im Schulsystem. Wir haben die Gauß’sche Normalverteilung: ein Drittel Gute, ein Drittel Durchschnitt, ein Drittel Schwache. Ein Schwacher wird sich erst mal nicht melden, der wird den Kopf einziehen und sagen: Vielleicht geht es doch über mich hinweg. Und dann haben wir vielleicht auch eine neue Regierung, und dann ist das vielleicht gar nicht so schlimm. Aber so läuft es in der Wirtschaft auch bei den ganzen Umstrukturierungen. Dann habe ich davon gehört, wurde geschult, fand das Thema spannend, weil ich bin sowieso ein Mensch, der muss mit Menschen zusammenarbeiten, sonst ist das sowieso ganz langweilig."

    Vor einem Jahr wurde Ute Birkefeld Schulleiterin an der Georgschule in Essen. Die Leitung der Grundschule ist anstrengend: Neben ihrer Tätigkeit als Klassenlehrerin ist sie für die komplette Organisation und Entwicklung der Grundschule verantwortlich: Finanzen, Personalauswahl und die Planung von Schulfeiern fallen in ihren Bereich. Viel Arbeit für eine einzige Person, sagt Ute Birkefeld.

    "Bei mir ist die Situation an einer kleinen Schule: Dadurch, dass ich weniger als 180 Kinder habe, bin ich alleine als Schulleiterin da. Ich habe also keine Konrektorin. Mein Wunsch war es auch: Ich habe erst vor einem Jahr die Schule übernommen, völlig neu in dieses Thema eingestiegen und habe mir gewünscht, jemanden an der Hand zu haben, der in ganz vielen kleinen Dingen Tipps geben kann und sagen: Man muss sich besser organisieren."

    Einen solchen Coach hat Ute Birkefeld nun gefunden. Die Stiftung "Partner für Schule NRW" hat ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem Schulleiter Unterstützung von Managern aus der Wirtschaft bekommen. Die Unternehmer stellen ihr Wissen ehrenamtlich zur Verfügung. Einer von ihnen ist der Geschäftsmann Jürgen Ernst, der über vierzig Jahre Controller bei der Deutschen Bank war und heute in Pension ist:

    "Und der Controller ist ja, wenn man das Wort richtig übersetzt aus dem Englischen, auch ein Coach. Denn er soll eigentlich der Geschäftsleitung etwas beibringen - oder nicht beibringen, sondern ihr helfen, etwas so zu tun, dass es für das Unternehmen sehr gut ist. Insofern, als ich von diesem Projekt hörte, habe ich das gerne gemacht und habe mich als Koordinator für den Bereich Essen, Mülheim, Oberhausen zur Verfügung gestellt."

    Jürgen Ernst berät nicht nur die Schulleiterin Ute Birkefeld, sondern er sucht auch Wirtschaftsexperten, die sich an dem Projekt beteiligen. Es handelt sich überwiegend um Führungskräfte aus der Industrie, auch einige selbstständige Unternehmer sind dabei. Das Überraschende für beide Seiten: Egal, ob man eine Schule leitet oder ein Unternehmen, es gibt viele Parallelen, sagt Jürgen Ernst.

    "Man muss ja, wenn man ein Projekt managt, ist ja die Frage: Muss ich Schulleiter immer der Leiter dieses Projektes sein, oder kann ich nicht mal, um mich selbst nicht zu überfordern mit meinen ganzen anderen Tätigkeiten, etwas auch mal übertragen, wohl wissend, dass diese Person vielleicht auch gewisse Problematiken mit sich bringt. Aber früher als Manager habe ich auch immer gesagt, ich kann nicht alles selbst machen, auch gar nicht alles selbst leiten."

    Ein guter Manager kennt seine Mitarbeiter, ihre Stärken und Schwächen, und weiß, wer für welche Aufgabe gut geeignet ist. Im optimalen Fall liefern sie das gewünschte Ergebnis ab, ohne dass sich der Chef noch einmal mit der Angelegenheit beschäftigen muss. Schulleiterin Ute Birkefeld muss umdenken, um diese Haltung zu entwickeln. Sie lernt zurzeit, dass sie nicht selbst für alles verantwortlich sein muss. Wie zuletzt bei der Organisation eines Bücherbasars, den sie an der Schule organisiert hat.

    "Das ist jetzt ein ganz kleines Projekt, eine ganz kleine Aktion, aber man braucht unheimlich viel Organisationstalent, um zu sagen: Wie binde ich alle ein? Wie organisiere ich? Was halte ich mir fest für das nächste Jahr, dass ich nicht immer bei null anfange? Und das war für mich so der Wunsch, ein Konzept für sich zu erstellen, also grobe Schwerpunkte, die man immer wieder im Kopf haben muss, um etwas zu organisieren."

    Das Projekt in Nordrhein-Westfalen startete mit 16 Schulleitern und 20 Lehrern. Mittlerweile gibt es 170 Tandems aus Lehrern und Managern, immer mehr Städte und Landkreise nehmen teil. Finanziert wird die Initiative durch Spenden. Ein ähnliches Projekt bietet die Stiftung der Deutschen Wirtschaft in Berlin an. Im Rahmen des Programms "Profis" erlernen Schulleiter in Workshops oder Einzelcoachings Managementtechniken. Der Bedarf an solchen Initiativen ist da: Mit der Reform der Schulgesetze in verschiedenen Ländern bekommen Schulleiter immer mehr Entscheidungskompetenzen - ohne dass sie im Studium darauf vorbereitet werden. Ute Birkefeld:

    "Die Kerndinge, die man lernt dadurch, durch Gespräche auch, diese Kleinigkeiten. Man muss seine Schule heute mit Marketing anders darstellen als noch vor ein oder zwei Jahren. Das ist so eine Kernaussage. Man muss moderner sein, man muss Dinge sich einfallen lassen, um nicht nur Schule als Schule darzustellen, sondern Schule auch als eine gewisse Marke. (...) Man muss sehr sparsam sein mit den Wünschen, die man äußert, und mit den Dingen, die man vorstellt. Man darf das Umfeld nicht überfordern, wenn man ganz viele tolle Ideen hat, sondern muss auch immer Stück für Stück ein Projekt planen und nicht hundert Projekte auf einmal. Das sind ganz viele Detailfragen, die schon in ganz vielen kleinen Dingen herumgekommen sind, lernen am Beispiel."

    Eine Arbeitsweise, die Ute Birkefeld zusammen mit dem Manager Jürgen Ernst erlernt. Schulleiterin und Coach treffen sich ganz nach Bedarf. Manchmal sind es Kleinigkeiten, oft organisatorische Fragen. Das nächste große Projekt gehen sie schon jetzt an: 2009 feiert die Georgschule ihr 111-jähriges Bestehen.