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Vom Spickzettel zum Katechismus für Historiker

Der Ploetz - längst ist der Name auf der Umschlagseite von der Autorenangabe in den Titel gerutscht. Der Große Ploetz, der Kleine Ploetz, der illustrierte Ploetz, der Weltkriegs-Ploetz, eine ganze Produktfamilie ist unter dem Namen von Karl Ploetz entstanden, geschrieben von zahlreichen namhaften Historikern. Vor 125 Jahren starb Karl Ploetz in Görlitz.

Von Karl-Heinz Heinemann | 06.02.2006
    "Beteiligt ist man am Ploetz in unterschiedlicher Weise, zunächst mal als Bewunderer eines solchen Werkes, und da erinnere ich mich, dass ich schon in Studienzeiten diesen dicken Ploetz bewundert habe und als Student dachte, mein Gott, wenn man sich nur all diese Daten merken könnte, dann wäre man glücklich."

    Der Historiker Hermann Schäfer ist Präsident des Hauses der Geschichte in Bonn und hat selbst an den letzten Auflagen des Ploetz mitgearbeitet. Wie war das mit Alexander dem Großen? Wie endete Cäsar? Aber auch die Geschichte des Iraks, der Turmbau zu Babel – für alles findet man eine Antwort: Auf den über 2000 Seiten des Großen Ploetz, wenn man es genau wissen will, oder auf den über 600 Seiten des Kleinen Ploetz, wenn Namen und Daten reichen. Autor des Ur-Ploetz war der Französisch- und Geschichtslehrer Karl Ploetz. Er starb am 6. Februar 1881 im Alter von 61 Jahren in Görlitz.

    Alle Daten sind im Ploetz wohl geordnet nach Epochen, Ländern und zeitlicher Abfolge.

    "Das Ploetz-Prinzip von den Ursprüngen ist nach meiner Kenntnis entstanden aus dem Wunsch eines Lehrers, seinen Schülern einen Leitfaden für Geschichte an die Hand zu geben und diesen Leitfaden chronologisch zu ordnen, insofern ist das chronologische Prinzip von Anfang an das Ploetz-Prinzip."

    In der Tat: Der Gymnasiallehrer Karl Ploetz gab 1855 ein 32-seitiges Heftchen heraus, "Les principales dates de l’histoire universelle", eine Art Spickzettel für den Geschichtsunterricht, den er auf Französisch erteilte. 1863 waren es dann in der ersten deutschen Ausgabe schon 92 Seiten. Es enthielt alles, was damals wichtig war: Das Deutsche Reich, Herrscher, Verträge und Kriege, Haupt- und Staatsaktionen.

    "Man kanonisiert Wissen, und ob man das Wissen so kanonisieren kann, ist für einen kritischen Historiker zunehmend fragwürdig. Man braucht das schon mal die Schlacht von XY, aber wenn die Schlacht von Z nicht drin steht, war die dann weniger wichtig?"

    meint Jost Dülffer, Historiker an der Universität Köln. Wem haben wir dieses Werk zu verdanken?

    Karl Ploetz wurde am 8. Juli 1819 in Berlin als Sohn eines einfachen preußischen Wachtmeisters geboren. Er musste sich schon sehr ins Zeug legen, um seinen Weg zum Abitur zu machen. Sein Studium in Berlin brach er schon im ersten Jahr ab, es fehlte das Geld. Mit schlecht bezahltem Sprachunterricht schlug er sich drei Jahre in Paris durch. Zurück in Berlin verdient er sein Geld als Hauslehrer, promoviert schon nach sechs Semestern, macht sein Oberlehrerexamen und fängt als Hilfslehrer am Französischen Gymnasium an. Am renommierten Katharineum in Lübeck bekommt er eine Stelle als Französischlehrer. Dort, im republikanischen Lübeck, resümiert er seine Berliner Erfahrungen als Erzieher in Berliner Adelsfamilien. Sie hätten

    ""den heilsamen Einfluss gehabt, mich von jeglichem Streben nach höherer Stellung für immer zu heilen, weil ich die Überzeugung gewonnen habe, dass in jenen Regionen das wahre Glück viel seltener zu suchen und auch viel schwerer zu erringen ist als in der anspruchslosen Lage bescheidener Berufstätigkeit und Häuslichkeit"."

    In Lübeck begann er, seine "anspruchslose Lage" als Autor von Französisch-Lehrbüchern zu verbessern. Und als solcher machte er sich einen Namen. Ploetz gilt als Vertreter eines modernen Sprachunterrichts, der nicht von der Grammatik ausgeht, sondern vom Sprachgebrauch.
    Nach drei Lübecker Jahren bekam er endlich die ersehnte Stelle am Berliner Französischen Gymnasium, bald wurde er "erster ordentlicher Lehrer", mit Professorentitel. Nun hatte der Wachtmeistersohn es zu etwas gebracht. Ein Haus in Charlottenburg, dann eines in Paris, die Sommerfrische in Südengland, die vier Kinder auf teuren Internaten. Doch dann nimmt er Querelen im Kollegium zum Anlass für seine Kündigung, und ab 1860 lebt er nur noch von seinen Einkünften als Autor von insgesamt 28 Lehrbüchern.

    Sein Sohn Alfred Georg gründete den Ploetz-Verlag und machte aus dem Vermächtnis des Vaters eine kontinuierlich wachsende Sammlung. Die renommiertesten Historiker schrieben Artikel für den Ploetz, der zum Katechismus für Historiker avancierte. 1972 kaufte Herder den Verlag, 1995 löste Herder den Ploetz-Verlag auf, und stellte bald darauf die Arbeit am Ploetz ein. Heute kann man ihn für sagenhafte 39 Euro im Ramsch kaufen. Inzwischen hat der Herder-Verlag die Rechte zurückbekommen. Ob er aber noch einmal viel Geld in eine Neuedition investieren will – dazu gibt der Verlag keine Auskunft.