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Von Friedrich bis Beckmann

Die Ausstellung "De l'Allemagne, 1800-1939. De Friedrich à Beckmann" zeigt, wie vielfältig und unterschiedlich die Wege und Visionen der deutschen Kunst im 19. Jahrhundert waren. Zu sehen sind Werke von Caspar David Friedrich, Paul Klee und Otto Dix. Dreh- und Angelpunkt aber ist Goethe.

Von Kathrin Hondl | 28.03.2013
    "Also die Franzosen kennen gut die deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts, das ist viel bekannter als das 19. Jahrhundert. Und die Franzosen glauben auch, dass das 19. Jahrhundert das Jahrhundert der französischen Malerei ist und dass es nirgends so eine schöne Malerei gibt wie in Frankreich. Und da müssen sie ein bisschen lernen ..."

    Die Philosophin Danièle Cohn gehört zu den insgesamt fünf Kuratoren, die im Louvre jetzt den französischen Nachholbedarf decken wollen in Sachen deutscher Kunst des 19. Jahrhunderts. Und sie beginnen mit einem Bild, das die meisten Deutschen gut kennen, das in Frankreich aber noch nie zu sehen war: "Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, wo Goethe gewandet in eine antikisch anmutende Toga vor römischer Landschaft posiert. Eine Ikone der deutschen Klassik und ein Programmbild für die ganze Ausstellung, so Andreas Beyer, Direktor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris:

    "Da ist einmal der Rückgriff und der Bezug auf die Antike durch das Ensemble von Ruinen - eines zerborstenen Obelisken für das Ägyptische, eines Iphigenienreliefs für das Griechische, eines Kapitels für das Römische, also eine sozusagen geschichtsphilosophische Ausbreitung der Kunst und ihrer Geschichte und der Geschichte an sich in dieser römischen Landschaft. Und die Figur Goethes selbst, der durch seine Schriften, aber auch durch seine Sammlungspraxis, durch seine Theorie in Anführungszeichen die Bildende Kunst seiner Zeit extrem beeinflusst hat - in Aneignung und Abgrenzung."

    In Abgrenzung zu Goethes Ideen wären da zum Beispiel die Nazarener mit ihrer romantisch-religiösen Kunstauffassung und der stilistisch an der italienischen Renaissance und den altdeutschen Meistern orientierten Malerei. Ein Künstler wie Gottlieb Schick dagegen folgt dem ästhetischen Programm Goethes, die Kunst an antiken Vorbildern und Idealen zu schulen. Sein großformatiges Gemälde "Apoll unter den Hirten" hängt im Louvre jetzt gleich gegenüber einem Bild des Nazareners Julius Schnorr von Carolsfeld, auf dem der Heiligen Jungfrau ein Engel mit schwarz-rot-goldenen Flügeln erscheint. Ein Kontrastprogramm, das deutlich macht, wie vielfältig die Kunst im Deutschland des 19. Jahrhunderts war, in einem Deutschland, wo in den vielen Kleinstaaten, Fürstentümern und freien Städten die Suche nach einer kulturellen und nationalen Identität gerade erst begann. Ein besonders für Franzosen irritierender Selbstfindungsprozess:

    "Was bedeutet es, deutsch zu sein? Wie wird man deutsch? Diese Idee, dass ein Deutschtum nicht als Faktum existiert, sondern dass es ein dauerndes Werden ist, das ist für uns sehr faszinierend, weil wir fest überzeugt sind, dass Frankreich eine Nation ist. Und der Aufbau der Nation in Deutschland ist natürlich etwas anders."

    Deutsch-französische Unterschiede prägten auch die gemeinsamen Vorbereitungen zu dieser Ausstellung, obwohl sich Deutsche und Franzosen bei der Auswahl der Werke schnell einig waren, so der Initiator und Ko-Kurator der Schau Andreas Beyer:

    "In der Opposition zwischen der klassizistischen Tendenz Goethes und der romantischen Bewegung und den Nazarenern haben wir versucht, einen der Kunst inhärenten Diskurs zu beleuchten. Und unsere französischen Kollegen haben aber eben eine Geschichte nicht der deutschen Kunst, sondern der vornationalen Staatsbildung in Deutschland versucht zu beschreiben, teleologisch auf diese dramatische Jahreszahl 1933 oder 1939 hin."

    So kann man sich zum Beispiel am Ende der Ausstellung fragen, ob Leni Riefenstahls Propagandafilm "Olympia" in pervertierter Form mit der Griechenvorliebe der Goethe-Zeit zu tun hat. Vor allem aber zeigt die Ausstellung, wie vielfältig und unterschiedlich die Wege und Visionen der deutschen Kunst im 19. Jahrhundert waren. Von den wild sinnlichen Meerjungfrauen in der Malerei von Arnold Böcklin bis zu den gotischen Kathedralen bei Capar David Friedrich, von dem auch ein großartiges Ensemble von Landschaftsbildern zu sehen ist.

    Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung aber bleibt Goethe, dessen Einfluss bis in die Moderne sichtbar wird. Seine Farbenlehre – da sind einige sehr schöne Blätter zu sehen - prägte die Bauhauskünstler, und Paul Klee ließ sich von Goethes Pflanzenstudien inspirieren. Am Ende ist es dann der "Faust", der gewissermaßen den Subtext liefert, wenn die Ausstellung von Adolph Menzels riesigem "Eisenwalzwerk"-Bild über Dix und Corinth schließlich zum finalen Bild führt: Max Beckmanns Allegorie auf die Brutalität Nazideutschlands, die "Hölle der Vögel" von 1938.

    Die Ausstellung im Pariser Louvre ist vom 28. März bis zum 24. Juni 2013 zu sehen.