Freitag, 10. Mai 2024

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Vorläufer von menschlichen Ei- und Samenzellen
Urkeimzellen aus der Retorte

Was wäre, wenn man einfache Hautzellen von Menschen in funktionstüchtige Eizellen oder Spermien verwandeln könnte? Unfruchtbare Patienten könnten genetisch eigene Kinder bekommen. Und die biologische Uhr von Frauen würde noch langsamer ticken - dank immer neuer Eizellen aus dem Labor. Im Moment ist das alles noch Zukunftsmusik. Doch einem britisch-israelischen Forscherteam ist jetzt womöglich ein erster wichtiger Schritt in die Richtung gelungen: Sie haben im Labor sogenannte Urkeimzellen kreiert, ihre Studie erschien vor Kurzem im Fachmagazin "Cell".

Von Marieke Degen | 01.04.2015
    Die Verwandlung dauerte nur wenige Tage. Am Anfang waren da einfache menschliche Hautzellen, die die Forscher im Labor in Stammzellen zurückverwandelten. Aus diesen Stammzellen haben sie dann - ebenfalls im Labor - so genannte Urkeimzellen herangezogen. Im Körper werden solche Urkeimzellen ganz früh gebildet, noch im Mutterleib; es sind die Zellen, aus denen später einmal Eizellen und Spermien hervorgehen.
    "Woran die Leute jetzt zuerst denken ist die Möglichkeit, diese Urkeimzellen im Labor weiter zu entwickeln, daraus funktionstüchtige Ei- und Samenzellen zu machen", sagt Azim Surani vom Gurdon Institute an der Universität Cambridge, der an der Studie beteiligt war. "Im Moment ist das noch nicht möglich, aber theoretisch ist es machbar."
    Hautzellen über Umwege in Urkeimzellen zu verwandeln - das ist nicht neu. 2012 hat ein japanisches Forscherteam genau das getan - mit den Hautzellen von Mäusen. Die Japaner sind damals aber noch etliche Schritte weitergegangen: Sie haben die Urkeimzellen tatsächlich zu Eizellen und Spermien heranreifen lassen, und sogar Mäusenachwuchs damit gezeugt. Die Arbeit gilt als Durchbruch auf dem Gebiet. Das Team um Azim Surani hat die Studie der Japaner jetzt praktisch wiederholt.
    "Sie sind die ersten, denen das Experiment mit menschlichen Zellen gelungen ist. Das ist eine große Leistung. Die Stammzellen von Mäusen und Menschen sind nämlich sehr unterschiedlich", sagt Susana Chuva de Sousa Lopes von der Uniklinik in Leiden, die ebenfalls an künstlichen Keimzellen forscht. Allerdings:
    "Azim Surani und seine Kollegen haben sich nur auf den aller-, aller-, allerersten Schritt konzentriert. Sie haben sehr frühe menschliche Urkeimzellen geschaffen. Das ist ein wichtiger Schritt, weil er darauf hindeutet, dass der japanische Ansatz möglicherweise auch mit menschlichen Zellen funktioniert. Mich würde jetzt interessieren, wie sich die Zellen weiter entwickeln würden."
    Man könnte also versuchen, die menschlichen Urkeimzellen ebenfalls weiter zu Spermien und Eizellen heranzuziehen - doch genau hier liegt das Problem: Der Prozess ist extrem kompliziert, im Moment weiß niemand, wie er in der Petrischale gelingen kann. Damals, bei der Mausstudie, haben die japanischen Forscher einen Trick angewandt: Sie haben die Urkeimzellen zurück in lebendige Mäuse gepflanzt, in die Hoden und in die Eierstöcke. Dort, in ihrer natürlichen Umgebung, haben sich die Zellen tatsächlich zu funktionstüchtigen Samen- und Eizellen entwickelt. Theoretisch sei so ein Versuch auch mit Menschen möglich, sagt Azim Surani. Aber noch ist es dafür viel zu früh.
    "Wir stehen mit unserer Forschung noch ganz am Anfang. Wir müssen die Urkeimzellen erst einmal gründlich untersuchen, um zu sehen, ob sie wirklich alle Eigenschaften einer natürlichen Urkeimzelle besitzen - und um sicherzugehen, dass sie keine abweichenden Informationen in sich tragen, die zu unerwünschten Folgen führen könnten. Da müssen wir also sehr vorsichtig sein."
    Und dann sind da noch die ethischen Hürden. Die Urkeimzellen müssten in die Hoden und in die Eierstöcke von Versuchspersonen eingepflanzt werden. Ob die Wissenschaftler dafür eine Erlaubnis bekämen, ist fraglich.
    "Wir werden solche Experimente so bald nicht in Angriff nehmen. Wenn überhaupt, dann würden wir eher versuchen, die Urkeimzellen in der Petrischale weiter zu entwickeln. Und schauen, bis zu welchen Stadien sie heranreifen können."
    Überhaupt, sagt Azim Surani: es gehe bei seiner Forschung nicht nur darum, irgendwann Ei- und Samenzellen im Labor herzustellen. Es geht ihm darum, die einzelnen frühen Entwicklungsschritte genau zu verstehen. Vielleicht erfahren die Forscher dann mehr darüber, wie Unfruchtbarkeit entsteht. Oder wie es zu sogenannten Keimzelltumoren bei Männern und Frauen kommt.
    "Wir können eine Menge dabei lernen - auch ohne künstliche Ei- und Samenzellen herzustellen."