Donnerstag, 09. Mai 2024

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W. A. Mozart - Die Zauberflöte

Am Mikrofon Frank Kämpfer. In der heutigen Sendung beginnt es kräftig zu rauschen, die Streicher jaulen, und die Stimmen sind durch Trichter und grobe Membranen getrübt. Unser Gegenstand werden also historische Aufnahmen sein. Ich stelle Ihnen drei neue CDs mit Theater-Dokumenten von Arturo Toscanini und Bruno Walter vor. * Musikbeispiel: W. A. Mozart - "Marsch der Priester" aus: Die Zauberflöte Beredt ist die Schlichtheit, aus der das Abgründige spricht. Gestus, Tempo und Klang - hier sind sie (gebrochen durch Historie und unvollkommene Technologie ) dem Existenziellen ganz nah. Beanspruchte eine dirigentische Leistung, wahrhaftig zu sein - in dem Sinne etwa, sie realisierte ein Stück in wirklich nicht zu überbietender Weise - so könnte es diese hier sein. Denn was Arturo Toscanini den Wiener Philharmonikern hier beim 'Marsch der Priester' entlockt, das sucht in der Platten-Geschichte wohl vergeblich ein Äquivalent. Die ungewöhnliche Darbietung von Mozarts 'Zauberflöte' ist auf den Juli 1937 datiert. Dirigent Toscanini, zum letzten Mal vor Hitlers Einmarsch in Salzburg zu Gast, hatte Publikum und Kritik in Mozarts Geburtsstadt dabei mit mancherlei Eigenwilligkeit überrascht. * Musikbeispiel: W. A. Mozart - "Zu Hilfe! Zu Hilfe!" aus: Die Zauberflöte Bereits die Introduktion strotzt vor Dramatik, das Tempo zieht rigoros an, heftig zufahrende Gesten reißen das Werk aus dem Gleis gewohnter Harmlosigkeit. Ob der extrem schnellen und extrem langsamen Tempi, ob der unüberhörbaren Spannung des theatralischen Spiels, ob des unverstellt Existenziellen - diese Darbietung reibt sich am Üblichen, greift emotional, dürfte in der Plattengeschichte eine der streitbarsten sein. Wohl fehlen ihr fast alle gesprochenen Szenen, wohl erschreckt ihre technische Qualität - was sie jedoch dafür enthüllt, dürfte beispiellos sein. Nicht leere Virtuosität wird zelebriert, im Zentrum steht die theatralische Botschaft. Der musikalische Zugriff, der Mozart kompromißlos als Dramatiker sieht, scheint seiner Zeit weit voraus. Stimmen, besser Sänger-Persönlichkeiten wie Helge Roswaenge, Jarmila Nowotna, Willi Domgraf-Fassbaender und Alexander Kipnis in den Hauptpartien haben ihren Anteil daran. Aber auch Chor und Orchester fügen sich ein in Theaterkonzept, das kein argloses Singspiel, nicht biedere Romantik, sondern bereits eine Art Gesamtkunstwerk realisiert. Daß das historische Dokument heute noch einmal anhörbar wird, verdankt der Schallplattenmarkt der neuen historischen Reihe des Labels NAXOS. Die Salzburger 'Zauberflöte' ist hier Teil einer inzwischen recht umfassenden Toscanini-Edition, die sich - digital bearbeitet - auf meist sinfonische Dokumente der 30er und 40er Jahre und zumeist mit dem NBC Symphony Orchestra konzentriert.

Frank Kämpfer | 19.03.2000