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Warum die Nudel bricht

Physik. – Wenn ungekochte Spaghetti brechen, zerfallen sie direkt in ganz viele Stücke. Die Physiker hat diese Küchenerfahrung schon seit geraumer Zeit frappiert. Französische Wissenschaftler warten jetzt mit einer Lösung auf.

Von Volker Mrasek | 18.08.2005
    Der Franzose Basile Audoly ist Mathematiker und theoretischer Physiker. Als solcher ringt er mit einem der letzten großen Geheimnisse, die unsere Welt noch birgt - motiviert durch Berühmtheiten seines Faches:

    "Der erste war der französische Nobelpreisträger Pierre-Gilles de Gennes. Er sagte, man solle der Sache doch einmal nachgehen. Sie schien ihm sehr interessant."

    Auch ein anderer Nobelpreis-gekürter Physiker soll sich so seine Gedanken gemacht haben: der US-Amerikaner Richard Feynman. Audoly:

    "Ich weiß nicht, ob es wirklich wahr ist. Aber sein Biograph schreibt, Feynman habe einst mit ihm zusammen gekocht. Und dabei soll auch er auf dieses kulinarisch-physikalische Problem aufmerksam geworden sein."

    Vermutlich taten de Gennes und Feynman etwas, was einem italienischen Physiker niemals in den Sinn kommen würde: Sie brachen Spaghetti-Nudeln vor dem Kochen in Stücke. Nicht im Labor, sondern sicher zuhause, am eigenen Herd. Doch im Nu geriet die Sache zu einem Fall für die Wissenschaft. Denn wie so mancher Hobby-Koch auch wunderten sich die Forscher. Audoly:

    "Warum brechen Spaghetti nie entzwei, sondern fast immer in drei oder noch mehr Stücke?"

    Verblüffend, aber wahr: Dieses Rätsel aus Küchenkreisen war bisher nicht zufriedenstellend gelöst. Doch das ist Audoly jetzt gelungen, wie er sagt - gemeinsam mit seinem Kollegen Sébastian Neukirch, auch er Physiker. Beide forschen in Paris, an der Universität Pierre et Marie Curie. Ihre Erklärung für den multiplen Pasta-Bruch wird ein angesehenes Fachjournal in Kürze veröffentlichen, die "Physical Review Letters". Und was tischen uns die französischen Forscher da auf? Audoly:

    "Wenn ein Material bricht, dann entspannt es sich normalerweise danach gleich wieder. Bei Spaghetti ist das nach unseren Beobachtungen ganz anders. Die Nudeln zerbrechen ein erstes Mal, doch die Fragmente entspannen sich nicht. Stattdessen kommt es zu weiteren Brüchen."

    Audoly sagt selbst, das sei nur schwer nachvollziehbar. Doch tapfer versucht er, das wundersame Verhalten des Hartweizens fassbarer zu machen:

    "Wenn die Biegespannung zu hoch wird und die Nudel bricht, schnellen die entstehenden zwei Fragmente abrupt wieder in den geraden Zustand zurück. Vielleicht innerhalb einer Tausendstelsekunde. Das geht so schnell, das setzt die Reststücke erneut großem Stress aus. Es entstehen Wellen, die sich in den Spaghetti-Fragmenten ausbreiten und sie abermals überbiegen, über ihre Toleranzschwelle hinaus. So kommt es zu einer Kaskade von Folgebrüchen."

    In bis zu zehn, zwölf Fragmente könne eine Spaghetti-Nudel auf diese Weise zerbröckeln, sagen die Franzosen, die das Ganze nicht nur gefilmt haben, sondern nun auch mit mathematischen Gleichungen beschreiben können. Die seien nicht nur für Spaghetti gültig, sondern ganz allgemein für dünne und spröde, einigermaßen elastische Stäbe. Glasfaserkabel und menschliche Knochen müssten eigentlich ähnlich brechen wie die italienischen Hartweizen-Nudeln, meinen die Physiker. Vielleicht auch Stabhochsprung-Stäbe. Überprüft haben sie das aber noch nicht. Vorerst ging es ihnen nur darum, das Spaghetti-Paradoxon aufzulösen. Einen praktischen Rat hat Sébastian Neukirch aber doch parat:

    "Wenn Sie Spaghetti unbedingt vor dem Kochen halbieren wollen, dann umklammern Sie sie ganz fest in der Mitte. Sie kriegen dann nur zwei Stücke. Denn in Ihren Händen können sie sich nicht weiter verbiegen!"