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Weltberühmte Regionalspeise
700 Jahre Nürnberger Bratwurst

Von Franz Lerchenmüller | 07.12.2014
    In Nürnberg geht es jeden Tag um die Wurst und das seit über 700 Jahren. Denn im 14. Jahrhundert wurde sie zum ersten Mal schriftlich erwähnt, sagt Brigitte Korn, die Chefin des Stadtmuseums Fembohaus. Sie hat die aktuelle Ausstellung "9 cm Nürnberg" organisiert.
    "1313/15 erlässt der Rat: "Alle sweynen lendpraten soll man in die wurste hacken. Swer sie anders verkouft, der gibt zwey schilling" - Strafe. Der Lendbraten ist wohl der Hinterschinken - wenn eine Wurst gemacht wird, muss dieser Hinterschinken drin sein."
    Jahrhundertelang war sie in aller Munde - der der Grafen und der Bürger, der Bauern und der schönen Fräulein. Selbst die zum Tode Verurteilten hatten ein Letztes, auf das sie sich ein wenig freuen konnten: die Henkersmahlzeit mit Lokalkolorit.
    "Drei Tage lang wurde der Häftling mit dem Besten versorgt, was die Stadt herzugeben hatte, und da waren bei der ersten Mahlzeit und bei der letzten Mahlzeit die Bratwurst - und zwar sechs große, dicke waren da auf dem Speiseplan."
    Der Name Bratwurst freilich trügt. Nürnberger Würste werden gegrillt - und zwar auf Buchenholz, wenn es ganz stilecht sein soll. Pratwurst, mit P, hießen sie früher. Prat oder Brät, das war nichts anderes als kleingehacktes Fleisch. So richtig Karriere aber machte die Wurst erst viel, viel später - in der Romantik.
    "Im 19. Jahrhundert wird Nürnberg - es hat eine fast geschlossene spätmittelalterliche Architektur - von Künstlern und Gelehrten als wunderbare Stadt entdeckt. Das löst richtig einen Reiseboom aus und es kommen die Reisenden und wollen das typische Nürnberg finden. Und sie finden das in der Architektur in der Lorenzkirche, in der Sebalduskirche, aber auch in einem aberwitzig kleinen Lokal, das sich leider nicht erhalten hat, es ist am 3. Oktober 1944 zerstört worden: das Bratwurstglöcklein."
    Dieses Bratwurstglöcklein entwickelte sich zu einer solchen Sehenswürdigkeit, dass es gleichberechtigt neben der Kaiserburg auf vielen Postkarten auftauchte. Einer seiner Besitzer habe sich um die Wurst besonders verdient gemacht, behauptet Stadtführerin Melitta Vogel mit einem kleinen Augenzwinkern.
    "Der Wirt hat ob der Kleinheit seines Etablissements wenig Umsatz gemacht. Dann hat der sich gedacht: Vielleicht kann ich dann noch was verkaufen, wenn ich außerhalb der Ladenschlusszeiten meine Bratwürste durchs Schlüsselloch verkaufe. Und das ging so: Wenn die Leute durch das Schlüsselloch Geld eingeworfen haben, hat der so viele Bratwürste zurückgesteckt, wie Geld eingeworfen wurde. Und zu dem Zwecke mussten die Nürnberger Bratwürste klein und dünn werden, dass sie durch das Schlüsselloch gepasst haben."
    Kleine Würste aus Geldgründen
    Die Wirklichkeit ist viel profaner. Als die Nürnberger im 16. Jahrhundert aufgrund einer Teuerung nicht mehr das Geld für große Würste hatten, stopften die Metzger einfach kleinere und billigere. Davon verkauften sie mehr - und machten am Ende den gleichen Profit.
    Heute sind sie neben den Lebkuchen die wichtigsten kulinarischen Botschafter der Stadt: Fast eineinhalb Milliarden Stück werden jedes Jahr produziert. Das einzige Bratwurstrestaurant, das seine Würste noch selbst herstellt, ist das Bratwurst-Häusle. In der Wurstküche im Keller läuft gerade der Kutter. Besitzer Kai Behringer ist mit Würsten groß geworden und kennt sich aus.
    "In die Nürnberger Bratwurst gehört pures Schweinefleisch. Dann gehört als Würzung Salz, Pfeffer und, ganz wichtig, Majoran hinein. Majoran ist das Gewürz, das die Nürnberger Bratwurst ausmacht. Was in eine Nürnberger Bratwurst nicht hineingehört, sind andere Fleischsorten, eine sogenannte Schüttung - das heißt, dass man Eis unter die Masse kuttert -, und meines Dafürhaltens gehört Geschmacksverstärker da nicht hinein."
    Genaue EU-Vorschriften
    Die Vorschriften der EU über dieses Produkt mit geschützter geografischer Herkunft sind aber noch viel genauer:
    "Die EU-Richtlinie sagt aus, dass die Nürnberger Bratwurst in Nürnberg hergestellt werden muss, also innerhalb der Stadtgrenzen der Stadt Nürnberg. Dann steht die Größe: sieben bis neun Zentimeter, 20 bis 25 Gramm, ein Maximalfettgehalt von 35 Prozent, und auch der Befe-Gehalt, das ist das bindegewebsfreie Eiweiß, sprich die Fleischqualität ist vorgeschrieben, auf einem hohen Niveau. In einem Schafs- oder Ziegensaitling ist die Bratwurst abzufüllen, auch das ist vorgeschrieben."
    Dann wird serviert - und auch da gelten in Nürnberg bestimmte Regeln.
    "Das Klassischste von allen sind sechs auf Kraut, mit Meerrettich, wird bei uns Kren genannt, mit Brot. Das kann man dann natürlich vergrößern: sechs, acht, zehn, zwölf auf Kraut, man kann sie mit Kartoffelsalat servieren. Und es gibt natürlich die Blauen Zipfel. Das sind die Bratwürste, die im Essigsud zubereitet werden, mit Zwiebeln."
    Es kann dann allerdings auch, gerade im Umgang mit ausländischen Mitbürgern, die des Fränkischen nicht so ganz mächtig sind, hin und wieder zu leichten Irritationen kommen.
    "Es war ein Novembertag, ich hatte eine kleine Gruppe, schauen Sie sich im Gastraum um: Fast niemand da, bloß da hinten in der Ecke sitzen immer ein paar Nürnberger. Und dann hat der eine Nürnberger quer über'n Gastraum geschrien: 'Ich kriech fei sex auf Kraut!' Meine amerikanischen Gäste haben nur Sex gehört, Sex on crowd, und dann waren sie: Oh shocking, what's that? Dann konnt ich sie beruhigen und hab gesagt, das ist nichts Schlimmes, das sind nur sechs Nürnberger Bratwürste auf Sauerkraut."