Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Wenn Harry wieder den Wagen holt

Fernsehserien muss man entweder lieben oder hassen. An der Exzellenz Universität Göttingen unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft jetzt den Schwerpunkt "Ästhetik und Praxis populärer Serialität" mit 1,85 Millionen Euro - nicht schlecht etwas, das lange als trivial galt.

Von Ulrike Burgwinkel | 13.01.2011
    "Serien interessieren uns unter zwei Gesichtspunkten","

    sagt Professor Frank Kelleter, Initiator und Sprecher des Forschungsprojektes.

    ""Einmal als eine besondere Erzählform, die sich unterscheidet von abgeschlossenen Werken, und zum anderen Serien und Serienerzählungen als etwas, das den Alltag in westlichen Gesellschaften in einer Art und Weise durchdringt, die nicht umfassend untersucht ist."

    Seit dem 19.Jahrhundert hat sich dieser Erzähltypus zu einem auffälligen Kulturmerkmal entwickelt: Fortsetzungsgeschichten mit festen Figuren, die mit kommerzieller Absicht für ein Massenpublikum hergestellt werden.

    "Insgesamt interessiert uns das Ineinandergreifen von Erzählformen und Alltagsstrukturierung. Wie bestimmte Erzählformen in den Alltag eingreifen und wie auch bestimmte Alltagsstrukturen bestimmte Erzählformen generieren oder herausfordern."

    Ein Roman oder ein Film sind fertige Produkte; sie werden konsumiert. Die Fortsetzungsromane oder Fernsehserien dagegen kennzeichnet ein permanentes Überlappen von Produktion und Rezeption. Folge 3 wird gerade ausgestrahlt, gedreht wird an Folge 5. Leserbriefe konnten in der Frühzeit der Fortsetzungsromane den weiteren Verlauf der Handlung entscheidend mitbeeinflussen. Auch heute sind es nicht nur die Verkaufszahlen, sprich Einschaltquoten.

    "So ist die Geschichte seriellen Erzählens sehr reich an Beispielen dafür, wie diese Interaktion zwischen Autoren und Lesern immer stärker wird und heute sogar die Unterscheidung zwischen Autor und Leser wird ja immer schwieriger zu treffen mit Medien wie dem Internet."

    "Bei der Online-Rezeption reden wir über Blogs, eben auch über Facebook-Seiten, wo die Menschen fortlaufend reinkommentieren können","

    sagt Professor Regina Bendix, am Projekt beteiligte Kulturanthropologin der Uni Göttingen,

    ""auch während eine Serie gerade läuft, und also meistens wird auch angekündigt: Heute kommt dann Blah die Serie, Staffel sowieso, Nummer X und da freuen sich die Leute, die tippen schon rein, bevor es läuft und sagen: Ich freu mich heute Abend, noch vier Stunden, noch drei Stunden , noch eine Stunde, dann läuft es und wenn's eine halbe Stunde gelaufen ist: Langweilig! Gähn! Also Einzeiler und dann kommen aber auch einige: Endlich ist es mal wieder spannend."

    In nicht wenigen deutschen Haushalten gibt die besonders erfolgreiche ARD- Produktion "Tatort" den Takt für die Sonntagabendgestaltung vor. Der "Tatort" ist laut Definition der Forscher keine Serie, sondern eine "serialisierte Reihe", gleichzeitig ein Konkurrenzformat der zuliefernden Sendeanstalten, mit jeweils unterschiedlichen Protagonisten. Seit 40 Jahren ausgestrahlt, scheint sie ein Spiegel zeitgeistiger Befindlichkeiten zu sein, mit geringer Halbwertzeit. Regina Bendix:

    "Die Tatort-Reihe bemüht sich ja geradezu, manchmal angestrengter als in anderen Folgen, gewisse Wirklichkeiten zu erfassen."

    Christiane Hämmerling, wissenschaftliche Projektmitarbeiterin ergänzt:

    "Sie werben ja auch selber damit. Dabei geht es zum einen darum, dass in der Tat natürlich aktuelle Themen, Kindesmisshandlung, Drogen, Migrationsproblematiken aufgegriffen werden und dann aber auch verwoben werden mit dieser Form 'Krimi', mit diesem Genre und auch verwoben werden mit dem, was man an Seriellem dabei haben muss. Das heißt, es kommt immer was Neues, aber andererseits ist es wichtig für die Zuschauer, dass auch etwas konstant dabei bleibt. Dass man also nicht jeden Sonntag völlig neu überrascht werden möchte."

    "Dieser Balanceakt zwischen einerseits Wiederholung, Redundanz und andererseits Innovation und Variation ist etwas, was eigentlich eins der schwierigsten Probleme des Erzählens überhaupt ist und was von Serien immer wieder neu geleistet wird."

    Praktisch wird dieses von Frank Kelleter skizzierte Problem gelöst, in dem es immer einen neuen Fall zu lösen gibt und das personelle Inventar zwar gleich bleibt, sich aber weiterentwickelt. Man hat Familie, trennt sich von der Freundin, zeigt Persönlichkeit oder sogar Charakterschwächen, bringt Probleme mit in den Ermittlungsalltag. Diese menschelnde Komponente hat sich allerdings erst in den letzten Jahren durchgesetzt. Regina Bendix:

    "Muss man gleichzeitig auch sagen, dass manche Zuschauer das überhaupt nicht mögen. Also gerade wenn Sie die Rezeption angucken, gibt's manche Zuschauer, die völlig erleichtert sind, wenn mal wieder richtig ermittelt wird und nicht immer dieses Grübeln! Es ist sehr interessant, wie die Macher halt damit auch arbeiten."

    Ein weiter Weg vom "Taxi nach Leipzig" bis zur "Blutsbande"; manche neuere Teams seien noch eher "nackt" bezüglich ihres personellen Hintergrunds, meint Bendix, da ließen sich aktuelle User-Bewertungen und Fan-Sites gut ausschlachten: was wünscht der Zuschauer, resp. wie erhöht man die Quote. Informationen für die Macher gibt es kostenfrei im Internet, von Bloggern, Chat-Freunden, Fans, die ihr Urteil abgeben.

    "Parallel zum Gucken performieren sie selbst. Ich, der Rezipient, performiere die Art und Weise, wie mich das gerade anrührt und das finde ich ausgesprochen spannend; es ist jung, und da probieren sich ja Rezipienten auch aus erst: wie ist das eigentlich? Genauso wie sie sich ja auch in Facebook und Myspace auch ausprobieren, sich darstellen. Aber die Art und Weise der Darstellung, die ist so frisch."

    Ein Schritt zum Interaktiven Fernsehen? Ein direkteres Feedback kann es für die Macher der Serien jedenfalls nicht geben. Christine Hämmerling weist auf ein anderes Phänomen und somit Untersuchungsobjekt hin: Fan-Sites.

    "Es gibt Leute, die im Internet Texte schreiben, wo sie sich vorstellen, wie diese Serie weiterlaufen könnte, wie sie alternativ hätte laufen können, wie sich diese Charaktere, die im Tatort oder auch in einer anderen Serie vorgestellt werde, weiter entwickeln könnten. Das geht häufig ins Absurde, Schwulsein ist ein häufiges Thema dabei. Das ist auch interessant und vor allem ist es eine Praxis, in der man sieht, dass Rezipienten höchst aktiv sein können."

    Die Untersuchungsmethodik der Göttinger Forscher ist klassisch. Sie setzen auf teilnehmende Beobachtung, Befragung, sprachliche Text- und Bildanalysen. Rezipienten und Produzenten werden auf diese Weise einbezogen. Zwei weitere wesentliche Gesichtspunkte spielen darüber hinaus eine Rolle bei der Erforschung von Fortsetzungsromanen und Fernsehserien oder wie der Titel des wissenschaftlichen Projektes lautet, der Untersuchung von "Ästhetik und Praxis populärer Serialität". Die individualisierte Rezeption, sprich TV-Konsum in Echtzeit, nach vorheriger Aufnahme mit Recorder, im Internet oder per DVD: wer konsumiert wie. Eine besondere Rolle spielen der Konsum und die Rezeption amerikanischer Serien, in den USA als "Quality-TV" geadelt. Die werden in Deutschland in erster Linie auf DVD geschaut und vollkommen anders rezipiert als in ihrem Herkunftsland. Diesbezüglich kann die Unterscheidung nach Milieus spannende Ergebnisse zutage fördern, beziehungsweise hat das schon getan. Frank Kelleter:

    "Diese Spartenbildung ist wichtig und da ist natürlich auch Serialität eine Erzählform, die sich ganz hervorragend für so was anbietet, weil die Serie immer auf Lücke geht, weil sie sich als Konkurrenzformate immer weiter ausdifferenzieren. In Amerika spricht man ja schon nicht mehr von 'broadcasting', sondern vom 'narrowcasting', dass man auf bestimmte Zielgruppen hin sendet."