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Widerstandskämpfer ohne Adelstitel

Nach 1945 hat es lange gedauert, bis der Hitler-Attentäter Georg Elser überhaupt Beachtung fand. 1999 erschien erstmals eine Biografie von Helmut G. Haasis, die Elser ausführlich würdigte. Zehn Jahre später hat der Autor jetzt eine neue, überarbeitete Ausgabe vorgelegt.

Von Otto Langels | 11.01.2010
    Adolf Hitler: "England will nicht den Frieden, wir haben das gestern wieder gehört. Ich habe schon in meiner Reichstagsrede erklärt, dass ich persönlich nichts mehr dazu zu sagen hätte. Das Weitere werden wir mit den Engländern in der Sprache reden, die sie wahrscheinlich schon verstehen werden."

    Knapp 15 Minuten, nachdem Adolf Hitler seine Rede im Bürgerbräukeller beendet hatte und auf dem Weg zum Münchener Hauptbahnhof war, explodierte eine Bombe. Die Decke des Festsaals stürzte ein, in dem - wie jedes Jahr am 8. November - die sogenannten "alten Kämpfer" der NSDAP saßen, um sich und den fehlgeschlagenen Putsch des Jahres 1923 zu feiern. Drei Menschen waren sofort tot, fünf weitere starben im Krankenhaus. Hitler entging dem Anschlag nur, weil er früher als sonst die Versammlung verlassen hatte. Der Attentäter Georg Elser wurde noch am selben Abend bei Konstanz verhaftet, als er heimlich die Schweizer Grenze überqueren wollte. Eine Postkarte vom Bürgerbräukeller in seiner Jackentasche machte ihn verdächtig. Nach schweren Folterungen durch die Münchener Gestapo gestand er die Tat.

    Der Autor Helmut G. Haasis hat in einem gut lesbaren und anregend geschriebenen Buch minutiös den Anschlag sowie den Lebensweg des Attentäters Georg Elser nachgezeichnet. Eine erste Fassung aus dem Jahr 1999 hat er noch einmal überarbeitet und wesentlich erweitert.

    "Ich fand sehr viele Quellen, die nicht benützt worden waren, mit Aussagen seiner Geschwister, die wurden von der Kripo in Stuttgart 1950 aufgenommen, die liegen in Ludwigsburg. Darüber hinaus fand ich Erinnerungen seines SS-Mannes in Dachau, des Franz Lechner."
    Helmut G. Haasis verarbeitet die Quellen nicht zu einer historiografischen, mit Fußnoten gesättigten, gelehrsamen Studie; er nimmt sich die Freiheit des Schriftstellers, Situationen auszuschmücken, mit Annahmen zu operieren, dramatische Momente aus der Sicht handelnder Personen zu schildern.

    "Zum Beispiel kam ich eigentlich durch das Hineinschlüpfen in Elsers Weg im Bürgerbräukeller darauf, dass er unmöglich – wie alle Filme bisher es darstellen – mit genagelten Stiefeln durch den Bürgerbräukeller geht, sondern er ging auf Gummisohlen. Von der Gestapo wurde er gefragt, wie gingen Sie denn nach einer Nacht aus dem Haus hinaus? Da interessiert sich ein normaler Historiker natürlich nicht. Für mich ist das wichtig. Das zeigt Elsers absolute Ruhe, dass er sagt, ich ging einfach geradeaus und bog vorne links ab, ohne mich umzuschauen, denn durch Umschauen wird man verdächtig."
    Überflüssig ist freilich an manchen Stellen der belehrende Ton, in dem der Autor die Leser zum Beispiel auf das verwerfliche Handeln der Nazis, das außergewöhnliche Verhalten Georg Elsers oder die Versäumnisse der Historiker nach 1945 hinweist.

    Georg Elser galt als Sonderling, als merkwürdiger Einzelgänger, dem niemand zutraute, allein ein Attentat auf Adolf Hitler durchzuführen. Schon die Gestapo wollte nicht glauben, dass er ohne fremde Hilfe gehandelt hatte, sie sah den englischen Geheimdienst als Drahtzieher hinter dem Anschlag. Später brachte dann lange Zeit eine Aussage des Pfarrers Martin Niemöller den schwäbischen Schreiner in Misskredit. Niemöller, ein Mann der Bekennenden Kirche, hatte als "persönlicher Gefangener" Hitlers neben Elser im KZ Sachsenhausen gesessen. Nach dem Krieg verbreitete er das Gerücht, Georg Elser sei als SS-Mann im Auftrag Himmlers und Hitlers aktiv gewesen. Die NS-Führung habe mit Elsers Hilfe den Anschlag inszeniert, um die Legende zu verbreiten, der Führer sei von der Vorsehung geschützt.

    Erst als die Historiker Lothar Gruchmann und Anton Hoch Ende der 60er-Jahre die Vernehmungsprotokolle der Gestapo veröffentlichten, wandelte sich das Elser-Bild allmählich. Klare Konturen gewinnt der Attentäter, der in keines der gängigen politischen Raster passt, durch die Biografie von Helmut G. Haasis.

    "Er war ein sehr kluger, gut beobachtender, in sich sehr gefestigter Mensch, der überall gerne teilnimmt an Gesellschaften usw., aber nicht im Vordergrund steht. Er ist ein stiller Zuschauer am Rande des Geschehens, ist niemals ein dominanter Mensch. Aber wenn es mal um technische Probleme geht des Handwerks oder dann seines Attentats, dann ist er ein so zuverlässiger Ingenieur, wie wir kaum noch jemand einen damals treffen können."
    Als gelernter Tischler schloss Georg Elser sich der Holzarbeitergewerkschaft an. Kurze Zeit war er Mitglied des Roten Frontkämpferbundes, einer paramilitärischen Schutztruppe der KPD, doch er war kein Parteikommunist. Er verließ die Gaststätte, wenn die Stimme Hitlers im Radio erklang, er weigerte sich, die Hakenkreuzfahne mit erhobenem Arm zu grüßen, aber er hielt sich mit politischen Stellungnahmen zurück.
    "Er war ein Linker, ein Sozialist, er wollte durchaus Besserstellung für die kleinen Leute, er wollte weder was umstürzen, noch wollte er eine Diktatur errichten, aber er wollte Verbesserungen für die sozial Schwächeren und hat deshalb immer ab 1924 KPD gewählt."
    Den Entschluss, Hitler zu töten, fasste Georg Elser laut seiner Aussage gegenüber der Gestapo im Herbst 1938, tatsächlich aber, so vermutet Helmut G. Haasis, schon vorher. Denn bereits ein Jahr zuvor gab er seine Arbeit als Schreiner auf und wechselte zu einer Rüstungsfirma, wo er mit Sprengstoff und Zündern in Berührung kam. Regelmäßig hörte er ausländische Sender und befürchtete, dass Hitlers Politik zum Weltkrieg führen werde. Als die Deutschen in Massen ihrem Führer zujubelten und die späteren Attentäter des 20. Juli den Eroberungsplänen ihres Befehlshabers noch willig folgten, begann Georg Elser mit den Vorbereitungen für den Bombenanschlag.
    Das radikale und konsequente Handeln dieses außergewöhnlichen Mannes werde heute immer noch nicht angemessen gewürdigt, stellt Helmut G. Haasis bedauernd fest.
    "Elser war nicht der richtig reputierliche deutsche Widerstandskämpfer von Format. Er war weder adlig, Stauffenberg ist was Schönes, er hat keinen Militärdienst gemacht, er hat kein Abitur gemacht. Er war also eigentlich in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter unten. Und solche unten angesiedelten Leute gelten bei uns nicht als Größen. Richtig schätzen tut man sie in Deutschland nach wie vor nicht."
    Immerhin tragen inzwischen Dutzende Straßen und Plätze in Deutschland den Namen Georg Elsers, in seinem schwäbischen Heimatort Königsbronn existiert eine Gedenkstätte, in München erinnert eine Installation an das Attentat. Auf Initiative des Schriftstellers Rolf Hochhuth möchte der Berliner Senat in der Hauptstadt ein Elser-Denkmal von überregionaler Bedeutung errichten. Mehr als 70 Jahre nach dem Anschlag vom 9. November 1939 soll dazu nun endlich 2010 ein offizieller Kunstwettbewerb stattfinden.

    Otto Langels über Hellmut G. Haasis. Er hat das Buch geschrieben "Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser." Es ist in der Edition Nautilus erschienen, mit 400 Seiten, zum Preis von 19,90 Euro (ISBN: 978-3894016067).