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"Wirklich einer der fantastischsten Romane"

Der Bewohner eines Seniorenheims pfeift auf die Feierlichkeiten zu seinem hundertsten Geburtstag, die gleich beginnen sollen. Er steigt aus dem Fenster, um zu verschwinden. Wohin, das weiß er selbst nicht genau. Der Kabarettist Andreas Thiel erzählt, warum ihn dieses Buch so fasziniert.

Von Luigi Lauer | 08.10.2013
    In einer knappen Stunde sollte die Geburtstagsfeier im Gemeinschaftsraum losgehen. Sogar der Stadtrat wollte anrücken. Und die Lokalpresse. Und die ganzen anderen Alten. Und das komplette Personal, allen voran Schwester Alice, die alte Giftspritze. Nur die Hauptperson hatte nicht vor, zu dieser Feier aufzutauchen.

    "Das ist jetzt gerade ein Buch, das Furore gemacht hat in den letzten Jahren, ist von einem schwedischen, relativ jungen Autor. Der hat am Anfang gar keinen Verlag gefunden, der das Buch verlegen wollte. Und dann hat es ein ganz kleiner Verlag verlegt und unterdessen ist es in alle Sprachen übersetzt.

    Das beginnt damit, dass ein Hundertjähriger in einem Altersheim darauf wartet, dass die Schwester ihn holt für die Party. Er weiß, der Gemeindepräsident hält eine langweilige Ansprache und die Dorfmusik ist da. Und da hat er gar keine Lust drauf. Also steigt er zum Fenster raus und haut ab."

    Der Koffer war bis an den Rand mit Geldbündeln aus lauter Fünfhundertkronenscheinen gefüllt. Julius überschlug die Summe kurz im Kopf. Zehn Reihen waagerecht, fünf senkrecht. In jedem Stapel fünfzehn Bündel zu jeweils bestimmt fünfzigtausend...
    "Siebenunddreißigeinhalb Millionen, wenn ich richtig gerechnet habe", sagte Julius.
    "Na, das nenne ich mal einen Haufen Geld", meinte Allan.
    "Lasst mich raus, ihr Schweine!", brüllte der junge Mann im Kühlraum.


    "Und dann kommt eine Geschichte, wo ich sagen muss: Ich habe sehr sehr viel Fantasie, aber ich verstehe nicht, wie dieser Autor soviel Fantasie herholen kann oder wo er die herholt, um diese Geschichte zu schreiben. Wirklich: einer der fantastischsten Romane."

    "Wobei brauchen sie denn Hilfe, wenn man fragen darf?", wollte Allan von dem Regierungsvertreter wissen. "Es gibt eigentlich nur zwei Dinge, die ich besser kann als die meisten anderen. Ich kann Schnaps aus Ziegenmilch herstellen und eine Atombombe zusammenbasteln."
    "Ja, sehen sie, und genau dafür interessieren wir uns", sagte der Mann.
    "Für die Ziegenmilch?"
    "Nein", sagte der Mann, "nicht für die Ziegenmilch."


    "Und weil der Autor Schwede ist, hat er einen ganz besonderen Humor, einen skandinavischen Humor. Und da ich selber zwei Jahre in Island gelebt habe, liegt mir der am Herzen. Die haben einen sehr trockenen Humor. Beispielsweise: Wenn da jemand stirbt, dann ist er noch lange nicht tot. Also den würde man nie begraben in der Geschichte, sondern der spielt seine Rolle noch eine ganze Weile als Toter weiter. Tote – kein Problem, mit den Toten kann man ja auch noch was machen. Und das ist ein bisschen schwarz, aber sehr lustig."

    Eigentlich hatte er gedacht, dass man unterwegs schon an irgendeinem Gewässer vorbeikommen würde, in dem sich die Leiche versenken ließ. Doch nichts dergleichen. Da zog er die Bremse und brachte das Gefährt rechtzeitig zum Stehen. Der Tote kippte vornüber und schlug sich die Stirn an einem Stahlgriff.
    "Na, das hätte unter anderen Umständen aber ganz schön wehtun können", bemerkte Allan.
    "Es hat schon seine Vorteile, tot zu sein", meinte Julius.


    "Dieser Hundertjährige wird verwickelt in eine ganz abstruse Kriminalgeschichte, wo so jedes Genre bedient wird, von Mord, Drogenhandel, Prostitution, Waffenhandel, alles international. Und da spielt jetzt etwas eine massive Rolle, nämlich: dass der Protagonist 100 Jahre alt ist, und somit das ganze 20. Jahrhundert."

    Allan bat den Vertreter der indonesischen Regierung, sich zu setzen. Und dann erklärte er ihm, dass er einmal vor langer Zeit Stalin die Bombe geschenkt hatte, dass das allerdings ein Fehler gewesen sei, denn dieser Stalin sei eindeutig nicht ganz richtig im Kopf gewesen.

    "Immer mehr fließt rein, was der alles erlebt hat und warum er in dieser Kriminalgeschichte souverän als Hundertjähriger mitspielen kann. Das ist das schöne an dieser Geschichte. Das ist mein Klassiker."
    Cover Jonas Jonasson: "Der Hundertjährige"
    Cover Jonas Jonasson: "Der Hundertjährige" (Carl's Books (Random House))