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#WirSindChristen
Zwiespältiges Hashtag

Das erste Mal seit dem Drogenfund bei Volker Beck meldet sich der Grünen-Politiker wieder bei Twitter - mit #WirSindChristen. Er und viele andere kritisieren das Hashtag scharf: So werde Stimmung gegen Muslime gemacht. Eine Spurensuche.

Von Michael Borgers | 28.03.2016
    Teilnehmer einer Veranstaltung der Pegida demonstrieren in Dresden
    Teilnehmer einer Veranstaltung der Pegida demonstrieren in Dresden (picture alliance/dpa/Arno Burgi)
    In den sogenannten sozialen Netzwerken trendet am Ostermontag #WirSindChristen. Es erinnert an #JeSuisCharlie, jenes Hashtag, das nach dem Anschlag auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" zum Synonym für die Solidarität mit den Opfern wurde - und zum Ausdruck dafür, sich im Kampf gegen den islamistischen Terror nicht einschüchtern zu lassen und für westliche Werte einzustehen. Und es klingt wie "Wir sind das Volk", die Parole, mit der die Montagsdemonstranten in der DDR die Wende herbeiriefen - und die zuletzt von Pegida- und Legida-Demonstranten in deren ganz eigenem Kontext eingesetzt wurde: nämlich als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, als Parole gegen noch mehr Einwanderung.
    Nun also #WirSindChristen, mit dem Volker Beck, bis vor Kurzem noch religionspolitischer Sprecher der Grünen, im Kurznachrichtendienst Twitter fragt: Wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut Ihr Besonderes? Ein Bibelvers, aus der Bergpredigt nach Matthäus, Kapitel 5 - offensichtlich also an diejenigen adressiert, die das Hastag verwenden. (Anm. d. Red.: In einer ersten Version hatten wir den Tweet Becks so interpretiert, dass er an Islamisten adressiert sei.)
    Durch sein Profibild kritisiert Beck zudem Islamisten; es zeigt die Namen verschiedener Städte, die Opfer islamistischer Terroranschläge wurden, von Paris bis Brüssel. Lahore steht nicht auf der Profil-Grafik Becks, noch nicht: In der pakistanischen Großstadt sprengte sich ein Taliban-Mitglied in der Nähe eines Spielplatzes in die Luft - und tötete Dutzende Menschen. Ein gezielter Anschlag auf Christen, wie die Terrorgruppe später verlautete.
    "Stimmung gegen Muslime"
    Für Konstantin von Notz, wie Beck Grünen-Bundestagsabgeordneter, nutzen das Hastag #WirSindChristen "Leute, die vermeintlich ihre christlichen Wurzeln entdecken, um zu Ostern gegen Muslime Stimmung zu machen".
    Und in der Tat verwenden einige Twitter-User das Hashtag in diesem Kontext; sie fragen, "was die Deutschen der europäischen Islamisierung gegenüberstellen können", was gemacht wird, um die europäische Identität vor der Islamisierung "zu retten", ob die muslimische die europäische Kultur "bereichern oder vernichten" wird.
    Viele User ergänzen allerdings schlicht ihre - meist ganz und gar nicht politischen - Ostergrüße mit #WirSindChristen.
    Morddrohungen gegen Lokalpolitiker
    Erstmals verwendet hatte, so zumindest zeigt es die Twitter-Historie an, das Hastag ein User bereits im September vergangenen Jahres - jedoch in einem völlig anderen Zusammenhang, dem des gemeinsamen Abendmahls von Katholiken und Protestanten.
    Offenbar erst am Ostersonntag wurde das Schlagwort wieder aufgegriffen und inhaltlich umgewidmet - ein Ergebnis einer Debatte über einen vor gut zwei Wochen öffentlich gewordenen Drohbrief an hessische Kommunalpolitiker?
    In dem anonymen Schreiben heißt es, sollten sich die Kommunalpolitiker weiter für Muslime engagieren, "werden wir mit Erschießungen bei Angehörigen dieser Volksgruppe beginnen". Und der Brief endet mit den Sätzen: "Wir lassen uns nicht islamisieren. Wir sind Christen und verteidigen unser Land."
    Ergänzung: Inzwischen wurden wir darauf hingewiesen, dass Hintergrund des Erfolgs von #WirSindChristen eine gesteuerte Aktion sein könnte. Darauf hindeutet: Die Profile der User, die das Hashtag verwendet haben und die Inhalte ihrer Tweets ähneln sich sehr. Endgültig klären konnten wir den Verdacht bislang nicht.
    (bor/sdö)