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Wölfe und Religionen
Der beste Feind des Menschen

Der Wolf ist wie eine Glaubensfrage, die spaltet: Die einen lieben, andere fürchten ihn. Aber woher kommen unsere Ängste? Wie tief sind sie verwurzelt im kollektiven Gedächtnis? Der Wolf ist schon in der Bibel und in altnordischen Mythen ein Feind des Menschen - aber nicht nur das.

Von Christian Röther | 16.08.2017
    Ein Wolf blickt aus seinem Gehege im Wildpark Eekholt, Schleswig-Holstein, den Fotografen an.
    Wer hat Angst vorm bösen Wolf? (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)
    Dialog aus der Snorra-Edda, einer Kompilation altnordischer Überlieferungen:
    "Wer ist es, der die Sonne so in Angst setzt?"
    "Das sind zwei Wölfe. Der eine, der sie verfolgt, heißt Sköll: Die Sonne fürchtet, dass er sie greifen möchte. Der andere heißt Hati, der läuft vor ihr her und will den Mond packen, was auch geschehen wird."
    Der Wolf wird in Deutschland wieder heimisch. Manche Menschen sind fasziniert von dem Raubtier, andere haben Angst. Ursachen für beides finden sich im kollektiven Gedächtnis: Der Wolf ist nicht nur in Märchen der Feind des Menschen, sondern auch in der Bibel und in altnordischen Mythologien. Doch in unseren Breiten wurde der Wolf früher auch verehrt.
    Wölfe in der nordischen Mythologie
    "Von welcher Herkunft sind diese Wölfe?"
    "Ein Riesenweib wohnt östlich von Midgard in dem Walde, der Eisenholz heißt. Sie gebiert viele Riesenkinder, alle in Wolfsgestalt. Es wird gesagt, der Mächtigste dieses Geschlechts werde der werden, welcher Mondhund heißt. Dieser wird mit dem Fleisch aller Menschen, die da sterben, gesättigt. Er verschlingt den Mond und überspritzt den Himmel und die Luft mit seinem Blut. Davon verfinstert sich der Sonne Schein und die Winde brausen und sausen hin und her."
    Wölfe gehören zu den Hauptfiguren in den alten nordischen Mythologien, wie hier in der Snorra-Edda, einer Sammlung altnordischer Sagen. Die Wölfe Geri, "der Gierige", und Freki, "der Gefräßige", sind ständige Begleiter des höchsten Gottes Odin, auch Wotan genannt. Der Wolf Sköll, "Schatten", verfolgt die Sonne. Sein Zwillingsbruder Hati, "Hass", verfolgt den Mond. Sonne und Mond verfinstern sich, wenn die Wölfe ihrer Beute gefährlich nahe kommen. Bedrohen die Wölfe also die Existenz der Welt? Oder sind sie der Motor des Kosmos?
    Der Historiker Utz Anhalt - sein Schwerpunkt: das Verhältnis der Menschen zu Wildtieren
    Der Historiker Utz Anhalt - sein Schwerpunkt: das Verhältnis der Menschen zu Wildtieren (Deutschlandradio / Christian Röther)
    "Wenn die Sonne nicht immer vor ihnen fliehen müsste, dann würde die Sonne überhaupt nicht ihren Lauf am Himmel auf sich nehmen. Also das gehört alles zusammen darin.",
    sagt Utz Anhalt. Er ist Historiker und beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Menschen und Wildtieren.
    "Furcht, Ehrfurcht, Verehrung"
    "Die germanische Mythologie selber ist voll mit Wolfsfiguren. Originalquellen kennen wir aus der altgermanischen Mythologie relativ wenig. Was aber deutlich wird dabei ist, dass der Wolf ein Vorbild der Krieger ist. Es war eine Furcht dabei. Aber Furcht, Ehrfurcht, Verehrung. Sie wollten ja das Verhalten dieser Wölfe annehmen. Das heißt, sie identifizierten sich über die Wölfe. Und der Wolf stand eben auch für Loyalität. Also Loyalität in der Gruppe, Ehrlichkeit, Treue und er galt auch als sehr intelligent."
    Die Ehrfurcht vor dem Wolf zeigt sich in alten germanischen Namen, die wir bis heute verwenden:
    Wolfgang: der mit dem Wolf in den Kampf geht
    Wolfhard: der kühne Wolf
    Adolf: der edle Wolf
    Ludolf: der berühmte Wolf
    Rudolf: der ruhmreiche Wolf
    Doch die Wölfe waren den Germanen nicht nur Vorbilder, sondern eben auch übernatürliche Gefahr. Die Welt wird enden, wenn Sonne und Mond von den Wölfen verschlungen sind. Der Fenriswolf, der "Sumpf-Wolf", ist sogar so mächtig, dass er die Götter bedroht. Am Ende der Zeit wird er Odin töten.
    Das Relief des Andreas-Steins zeigt eine Szene der Ragnarök-Sage vom Untergang der Götter: Der Gott Odin wird vom Wolf Fenir gefressen, ein Rabe sitzt auf seiner Schulter. Das Relief wurde ca. 1000 v. Chr. von Wikingern gefertigt und stammt von der Isle of Man, England.
    "Brüder befehden sich und fällen einander,
    Geschwisterte sieht man die Sippe brechen.
    Unerhörtes eräugnet sich, großer Ehbruch.
    Beilalter, Schwertalter, wo Schilde klaffen,
    Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt.
    Der Eine achtet des Andern nicht mehr."
    So klingt Ragnarök, das Ende der Welt, in der altnordischen Mythologie. In dieser Übersetzung der Snorra-Edda von Karl Simrock wird die Endzeit auch bezeichnet als "Wolfszeit". Die sozialen Regeln brechen, die Welt stürzt ins Chaos, die Ordnung kehrt sich um. Das ist die Zeit der Wölfe.
    "Da geschieht es, dass der Wolf die Sonne verschlingt - den Menschen zu großem Unheil. Der andere Wolf wird den Mond packen und so auch großen Schaden tun und die Sterne werden vom Himmel fallen."
    "Der Fenriswolf fährt mit klaffendem Rachen umher, dass sein Oberkiefer den Himmel, der Unterkiefer die Erde berührt, und wäre Raum dazu, er würde ihn noch weiter aufsperren. Feuer glüht ihm aus Augen und Nasen."
    "Der Wolf verschlingt Odin und wird das sein Tod. Alsbald kehrt sich Widar gegen den Wolf und setzt ihm den Fuß in den Unterkiefer. Mit der Hand greift Widar dem Wolf nach dem Oberkiefer und reißt ihm den Rachen entzwei und wird das des Wolfes Tod."
    Widar, der "Krieger des Waldes", rächt seinen Vater Odin und tötet den Fenriswolf. Am Ende der altnordischen Endzeitschlacht gibt es also einen kleinen Sieg für die Götter. Doch die Wölfe und andere Wesen haben die Welt in Schutt und Asche gelegt.
    Der Wolf als metaphysische Gefahr
    Nicht nur in Nordeuropa gilt der Wolf seit Menschengedenken als eine metaphysische Gefahr. Sondern auch im Nahen Osten, wo Judentum und Christentum entstehen, erklärt der Historiker Utz Anhalt:
    "Das waren ebenfalls Hirtenkulturen, die aber in einem viel stärkeren Konkurrenzkampf zum Wolf standen. Sie hatten genau die Tiere domestiziert - Ziege und Schaf - die die Hauptbeute des Wolfes darstellen, hatten denen aber alle ihre Verteidigungsmechanismen weggezüchtet, die sie in der Natur gegenüber dem Wolf haben."
    Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich."
    Anhalt: "Schafe, da waren die Widder überhaupt nicht mehr aggressiv. Sie sind auch nicht mehr ins Hochgebirge geflohen. Sie haben sich, wenn irgendeine Bedrohung kam, auf einem Fleck zusammengesammelt. Das war für die Hirten ja sehr praktisch gewesen. Das war für den Wolf bloß auch toll, denn er hatte dann so eine gefüllte Speisekammer, die sich überhaupt nicht mehr zur Wehr setzen konnte und auch nicht mehr floh."
    "Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar."
    "Der Wolf und der menschliche Jäger sind sich ähnlich"
    Anhalt: "Damit wurde dieser 'Bruder', wie er in vielen Jägerkulturen heißt - dieses Tier, was ganz offensichtlich ganz ähnliche Verhaltensweisen hat wie der menschliche Jäger selber und deswegen als so eine Art seelischer Verwandter gilt - der wurde jetzt zum Feind. Das heißt: Der wurde jetzt zum Einbrecher, der jetzt in die Herde, die der Hirte als seinen eigenen Besitz ansah, eindrang und sich dort bediente."
    Wolfsmetaphorik in der Bibel - mit Folgen fürs Zusammenleben
    Der Konflikt zwischen Hirten und Wölfen geht ein in die lokalen Religionen. Erst ins Judentum, dann ins Christentum. Der "gute Hirte" wird zum Symbol für Gott. Seine Schafe sind die Menschen, die an ihn glauben.
    Rolf Adler, Pastor, Jäger und kirchlicher Umweltbeauftragter - mit seinem Hund Gaius
    Rolf Adler, Pastor, Jäger und kirchlicher Umweltbeauftragter - mit seinem Hund Gaius (Deutschlandradio / Christian Röther)
    "Dieses Symbol des Hirten und des Schafes beinhaltet im Grunde auch das Bild von einem Wolf, der als Konkurrent oder als Feind in diesem Szenario auftaucht.",
    erklärt Rolf Adler. Er ist Umweltbeauftragter der evangelisch-lutherischen Landeskirchen Braunschweig und Hannover. Außerdem ist er Pastor und Jäger.
    "In der Bibel wird der Wolf oft herangezogen als Warnung vor gefährlichen oder risikoreichen Situationen, um Menschen wachzurütteln und Menschen aufmerksam zu machen."
    Das Mosaik im Kloster Kykkos auf Zypern zeigt Jesus als "guten Hirten" mit einem Lamm auf den Schultern
    Jesus als "guter Hirte" mit einem Lamm auf den Schultern (imago/Werner Otto)
    Johannes 10, Vers 11: "Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe."
    Matthäus 20, Vers 16: "Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe."
    Apostelgeschichte 20, Verse 28 und 29: "So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, die er durch sein eigenes Blut erworben hat. Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kommen, die die Herde nicht verschonen werden."
    Matthäus 7, Vers 15: "Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe."
    "Ich finde, man muss die Bibel kritisch lesen an dieser Stelle. Der Wolf wird hier für eine bestimmte Bildersprache oder zur Unterstreichung von ganz bestimmten Aussagen oder Lehren herangezogen und manchmal auch missbraucht.",
    sagt Pastor Rolf Adler. Diese Wolfsmetaphorik hat Folgen für das Zusammenleben von Wölfen und Menschen, erklärt Historiker Utz Anhalt:
    "Der Wolf ist da jetzt das Sinnbild von allem Bösen, was in diese Herde eindringt und diese christlichen Schafe dann fressen möchte. Dem Wolf geht es jetzt an den Kragen. Nicht nur in der direkten Konkurrenz, sondern auch überhöht symbolisch. Und das wird sich im christlichen Abendland bis in die Jetztzeit hinein fortsetzen. Viele von den Vorstellungen sehen wir bei der heutigen Diskussion um Wölfe auch wieder."
    Ein Protestschild "Wolf Nein Danke" steht am 28.09.2016 auf einer Wiese an der Autobahn A27 bei Verden (Niedersachsen). Wölfe sind seit einigen Jahren wieder in Deutschland heimisch und stehen unter Artenschutz.
    Wölfe sind seit einigen Jahren wieder in Deutschland heimisch. Das gefällt nicht überall. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    "Wer soll den Zaun bezahlen, bei unserem geringen Verdienst?"
    "Man hat ja nichts gegen Wölfe, aber irgendwo muss auch eine Grenze sein."
    "… eine Handvoll Wölfe auf die Idee kommt, erst mal 20 Tiere zu töten …"
    "Mich hat es erst mal interessiert, wie viele Wölfe es ungefähr hier gibt. Wie schlimm ist die Lage jetzt hier wirklich bei uns?"
    "... 148 Schafe, 19 Rinder, diverses Gatterwild ..."
    "Wir haben eigentlich Angst um unsere Pferde, wenn wir ausreiten gehen."
    "Der tödliche Schuss auf die Wölfin hat in Niedersachsen einen starken Widerhall gefunden."
    "… und der Rest gehört unter'n Abschuss."
    "… indem man den Wölfen ganz klar beibringt: Wenn Ihr Euch nähert, dann ist da für Euch Lebensgefahr."
    "… nur aus Blutgier getötet …"
    "… und abends alleine rausgehen, das ist auch nicht mehr so."
    "Ich warte auf den Tag, bis ein Mensch gerissen wird. Mal sehen, was dann passiert."
    Der Pastor und Jäger Rolf Adler erinnert sich an seine erste und bislang einzige Begegnung mit einem freilebenden Wolf:
    "Wir sind an einem Sonntagvormittag - wollten wir einen Besuch machen und waren mit dem Auto unterwegs. In der Nähe von Süttorf, einem kleinen Dorf, haben wir dann auf dem Acker einen Wolf stehen sehen, ungefähr auf 100 Meter Entfernung. Wir haben angehalten. Der Wolf hatte es auch nicht eilig und so hatten wir Gelegenheit, diesen Wolf ungefähr zehn Minuten in aller Ruhe zu beobachten und das war eine sehr beeindruckende und für mich auch sehr erfreuliche Begegnung."
    Rolf Adler lebt in Boltersen, einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide. Immer mehr Wölfe suchen sich hier ihren neuen Lebensraum:
    "Der stand. Der hat zu uns herüber geschaut und hat - so interpretiere ich das - der hat versucht abzuschätzen, wer wir sind und was wir machen. Und als er merkte, dass wir da keine Gefahr für ihn darstellten, hat er sehr neugierig herüber geschaut und hat sich dann aber langsam auf seinen Weg gemacht und ist dann gemächlichen Schrittes weitergezogen. Also er ist nicht geflüchtet."
    Das Tier des Teufels
    Verliert der Wolf seine Scheu vor dem Menschen? Immer wieder gibt es Begegnungen, die diese Vermutung nahelegen. Der Wolf steht in weiten Teilen Europas unter Artenschutz und muss den Menschen kaum noch fürchten. Jahrhundertelang war das anders. Da wurde der Wolf erbarmungslos verfolgt, bis er aus vielen Regionen Europas vertrieben war. Das christliche Bild vom Wolf hatte großen Anteil daran, sagt der Historiker Utz Anhalt. Der Wolf wurde zum Tier des Teufels:
    "Aus dem fünften, sechsten Jahrhundert sehen wir dann, dass der Teufel als 'Erzwolf' bezeichnet wird. Also der schlimmste Wolf von allen ist dann jetzt der Teufel. Im Hochmittelalter werden dann Wolfsmetaphern immer so als moralische Ermahnung für schlechtes Verhalten gesehen. Also sei es, dass dann Mönche als Wölfe gezeigt werden, die Glücksspiel spielen."
    Am Übergang von Mittelalter und Neuzeit nutzt auch Martin Luther den Wolf, um moralische Verdorbenheit zu veranschaulichen. Er bearbeitet die antike Fabel "Das Lamm und der Wolf".
    "Ein Wolf und ein Lämmlein kamen an einen Bach, um zu trinken. Da der Wolf des Lämmleins gewahr ward, lief er zu ihm und sprach: 'Warum trübst du mir das Wasser, dass ich nicht trinken kann?'"
    "Wie kann ich dir das Wasser trüben; trinkst du doch über mir und möchtest es mir wohl trüben!"
    "Wie, fluchst du mir noch dazu?"
    "Ich fluche dir nicht."
    "So tat es dein Vater vor sechs Monaten, und du bist ebenso wie dein Vater."
    "Bin ich doch dazumal noch nicht geboren gewesen, wie soll ich meines Vaters entgelten?"
    "So hast du mir aber meine Wiesen und Acker abgenagt und verdorben."
    "Wie ist das möglich, habe ich doch noch keine Zähne!"
    "'Ei und wenn du gleich noch so viele Ausreden hast, so will ich dich heute doch fressen' - und würgte also das unschuldige Lämmlein und fraß es."
    Krieg gegen das Böse
    "Zugleich beginnt dann in der frühen Moderne auch der totale Krieg gegen den Wolf. Wenn man sich heute dieses Vernichtungsinstrumentarium dieser Wolfsjagden anguckt, dann sieht es nicht so aus, als ob es da jetzt um die Jagd auf ein Tier gegangen wäre, sondern als ob es da ein Krieg gewesen wäre, der gegen das Böse geführt wurde."
    Utz Anhalt, Historiker aus Hannover. Schon als kleiner Junge interessiert er sich für Wölfe. Er beschreibt, wie ihnen nachgestellt wurde:
    "Das war von Gift über sogenannte Wolfsangeln - tatsächliche Haken, die dann in die Bäume gesteckt wurden mit Fleischködern dran, wo die Wölfe sich dann die Kehlen aufrissen - bis zu Gruben mit Spießen drin, wurde alles Mögliche an Waffen und Fallen ausgetestet, um die Wölfe vollkommen auszurotten und vom Antlitz der Erde zu vertilgen."
    Ausrottung des Wolfes schon im 18. Jahrhundert
    Schon im 18. Jahrhundert leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands nur noch vereinzelte Wölfe. Zur gleichen Zeit sammeln die Brüder Grimm alte Volksmärchen wie "Rotkäppchen" und "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein". Hier steht der Wolf für das Böse und für Gefahren. An einigen Orten wird an die Ausrottung des Wolfes mit Denkmälern erinnert, etwa bei Questenberg im Harz:
    "Unter der Regierung des Grafen Jost Christian zu Stolberg-Roßla wurde im Monat Januar 1724 der letzte Wolf allhier erlegt."
    Etwa seit dem Jahr 2000 kehrt der Wolf zurück nach Deutschland. Doch die alten Ängste sind noch da, sagt Historiker Utz Anhalt. Und es komme etwas Neues hinzu: Die Umweltbewegung habe in den Köpfen der Menschen Spuren hinterlassen.
    Anhalt: "Das ist so dieses romantische Bild vom Wolf, wo der Wolf dann so als so eine Art 'edler Wilder', als so ein Öko-Gott dann frei durch die Wälder streift. Das ist ein ähnlich verzerrtes Bild."
    Die Rückkehr des Wolfes ist eine Chance für den Menschen, findet Rolf Adler, Pastor, Jäger und kirchlicher Umweltbeauftragter:
    "Ich bin der Meinung, dass der Mensch sich an dieser Stelle reflektieren kann. Also dass er nochmal darüber nachdenken kann, in welch ein zivilisatorisches und oder kulturelles Verhältnis er sich zu diesem Wildtier setzt. Ich denke, wir haben es nicht mehr nötig, den Wolf wieder zu vertreiben. In meinen Augen müsste es möglich sein, ein gemeinsames Miteinander hinzubekommen."
    Vernichtungskrieg oder Versöhnung von Mensch und Wolf?
    Ein Miteinander mit jenem Tier, das in der Bibel das Böse symbolisiert? Dem Erzfeind von Hirten-Gott und Schaf-Menschen? Rolf Adler findet einen Ausweg aus diesem scheinbaren theologischen Dilemma - denn das ist nicht das letzte Wort der Bibel zum Wolf:
    "Man muss oder man kann die prophetische Tradition dagegenstellen. Also in der Friedensvision der Bibel wird gesagt, dass der Wolf neben dem Lamm liegt und in den großen Frieden Gottes miteinbezogen ist. Schon von daher verbietet sich für meine Begriffe eine Ausrottungsstrategie. Der Wolf gehört mit dazu und wir Menschen sollten uns bemühen, dass er das auch zu spüren bekommt."
    Jesaja 11, Vers 6-9: "Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt."
    In dieser jüdisch-christlichen Heilsvision versöhnen sich also Menschen und Wölfe. In der altnordischen Endzeit hingegen vernichten sich Wölfe und Götter. Ein Vernichtungskrieg, wie es ihn im europäischen Mittelalter und der Frühen Neuzeit tatsächlich gegeben hat - unter christlichen Vorzeichen, zum Leid der Wölfe. Doch jetzt ist der Wolf wieder da und fragt den Menschen erneut: Wie willst Du mit mir umgehen?