Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Wolfgang Schäche; Norbert Szymanski: Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht.

Auch die nächste Rezension hat ein Buch zum Thema, das sich zumindest indirekt mit dem Nationalsozialismus beschäftigt - genauer: mit einer architektonischen Hinterlassenschaft des Dritten Reiches, die noch heute in Berlin zu sehen ist und gerade in den vergangenen Monaten wieder für reichlich Diskussionsstoff gesorgt hat: Das Areal des sogenannten Reichssportfeldes, in dieser Form geschaffen für die Olympischen Spiele 1936 und zur Zeit im Umbau befindlich. Der Berliner Bebra-Verlag hat über die Geschichte des Reichssportfeldes jetzt eine reich bebilderte Dokumentation vorgelegt, die zugleich auch ein Stück politische Literatur ist.

Thekla Wolff | 08.10.2001
    Als "völkische Kultstätte des Nationalsozialismus" hatte der Sportfunktionär Carl Diem das Berliner Olympiastadion vor Augen. Von ihm als "Hochburg des Sports für alle Zeit" gepriesen, sollte hier sein Lebenstraum wahr werden: ein "ewiges Olympia" in einem Stadion, für die Ewigkeit gebaut. Auf dem Gelände des ehemaligen "Reichssportfeldes", steht es immer noch: Relikt der Vergangenheit. Hier wo 1936 - den Nationalsozialisten sehr willkommen - die Olympischen Spiele stattfanden, wird heute gebaut. Umstritten, was erhalten werden muss, was modernisiert werden darf, ist das Olympiastadion ein Ort, an dem die Gegenwart die Geschichte gern hinter sich lassen würde. Denkmalschützer, Architekten, Historiker und Fußballfans konnten sich kaum über die Gestalt des Baus einigen, der rechtzeitig zur Fußballweltmeisterschaft 2006 fertiggestellt werden soll. Wo gebaut wird, trifft man auf Schritt und Tritt auf Geschichte - die massiven Natursteine, die Monumentalität des Ortes, der zu schnell getrocknete Beton, weil das Stadion für 1936 in kurzer Zeit fertiggebaut werden musste. Hier kann man nicht stehen, ohne an die Vergangenheit zu denken, in der dieses Stadion nationalsozialistisches Machtsymbol war. Auch Wolfgang Schäche und Norbert Szymanski, Architekten und Bauhistoriker, sehen in dem Stadion ein Denkmal der Zeitgeschichte und begreifen es als Chance und Herausforderung zur geschichtlichen Aufarbeitung. Die Intention ihres Buches über das Reichssportfeld sei eine aufklärerische, betont Autor Schäche.

    Es ist natürlich, in der Tat von uns so'n Stückchen weit, Anspruch , auch aufklärerisch zu wirken, weil es höchst viele Legenden über diesen Ort gibt , über die Entstehung dieses Ortes und von daher glaube ich, müssen wir uns mehr denn je, weil ja immer mehr von denjenigen, die das unmittelbar miterlebt haben einfach nicht mehr leben, müssen wir unsere Verantwortung wahrnehmen und wenn wir so eine Arbeit machen natürlich also auch auf das Gegenwärtige und das Zukünftige schauen und aufklärerisch, kritisch aufklärerisch wirken, es geht ja nicht um Denunziation in keiner Weise, sondern es geht darum, wirklich zu versuchen die geschichtlichen Fakten zusammenzubringen und sie in einem aus der heutigen Sicht also auch kritischem Licht darzulegen.

    "Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht" - wer das Buch von Schäche und Szymanski aufschlägt, gerät ins Staunen - und braucht Geduld. Staunenswert ist es wegen der Fülle von Informationen. Detailliert recherchiert und dokumentiert, reich an Karten- und Bildmaterial, liefert es eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Geländes; Geduld verlangt dagegen die Schilderung allzu vieler architektonisch-bautechnischer Einzelheiten. In Zitaten zu Beginn der einzelnen Kapitel lassen die beiden Autoren auch andere Zeitzeugen ihr Licht auf die Geschichte werfen, wie z.B. Felix Dargel in seinem 1956 erschienenen Buch über Berlin:

    Aber wer wissen will, wie Berlin heute aussieht und morgen oder übermorgen aussehen wird, der darf auch über das Gestern nicht so einfach hinweggehen. Denn vieles vom Heute und auch vom Morgen ist nur zu erklären und zu verstehen aus dem Gestern. Um nun das allerfrüheste Gestern zu verstehen, da geht man am besten ein bisschen hinaus aus der Stadt. Etwa dorthin, wo der Grunewald beginnt...

    Wer sich einlässt auf die architekturtheoretische Abhandlung, erfährt die Baugeschichte von Beginn an. 1906, als eine Pferderennbahn in den Grunewald gebaut wird, entsteht bereits die Idee, ein Stadion auf dem Gelände zu errichten und die Olympischen Spiele zehn Jahre später nach Berlin zu holen. Der Bau zum "Deutschen Stadion" wird 1912/13 fertiggestellt, die Spiele finden jedoch kriegsbedingt nicht statt. 1931 erhält der Architekt Werner March den Auftrag aus dem vorhandenen Großstadion ein noch größeres zu machen: für die Olympischen Spiele 1936. Es soll das größte Stadion der Welt werden, einschließlich eines Aufmarschplatzes für 500 000 Menschen auf dem benachbarten Maifeld. Das Stadion zur Repräsentation von Stärke und Macht, wird Sport- und Kultstätte. Hier errichtet der Architekt Werner March - dem Auftrage gemäß - ein ewiges Bauwerk, hier wird 1937 Mussolini empfangen und hier schwört Carl Diem 1945 die letzten Hitlerjungen auf den Endkampf ein. Sich über Jahrzehnte hinwegtransportierende Geschichten wie die, Hitler wäre mit den Plänen Marchs nicht einverstanden gewesen und Speer habe nach Umarbeitungsvorschlägen die Spiele gerettet, werden im neuen Buch von Schäche und Szymanski als Legenden enthüllt.

    Alle anderen in der Literatur zu findenden Darstellungen, zumal die des zornigen und außer sich geratenen Hitlers, der wegen angeblich "zu modern" geratenen Entwurfsvorschlägen Marchs für das Stadion gar die Olympischen Spiele abzusagen gedachte, entbehren jeglicher realen Grundlagen und müssen in das Reich der Mythen- und Legendenbildung verwiesen werden.

    Neben der Baugeschichte findet sich auch Zeitgeschichte. So wird erwähnt, dass Carl Diem und Werner March nicht nur zu nationalsozialistischen Zeiten Ruhm und Ehre widerfuhren, sondern sie auch nach dem Krieg hohe Stellungen behielten. Carl Diem ging als Kämpfer für den Sport in die Geschichte ein, sein Name schmückt allerorten Sporthallen, gibt Straßen ihren Namen. Erst die Diem-Biographie von Achim Laude und Wolfgang Bausch im letzten Jahr rüttelte an der Legende des ruhmreichen Sportführers. Auch Wolfgang Schäche moniert das verklärte Bild, erkennt in Diem einen Taktiker und Diplomat in eigener Sache, ein "hemmungsloser Opportunisten". Nach dem Krieg räumte dieser als erstes die Trümmer aus dem Stadion, von "kritischer Reflexion" des Vergangenen sei keine Spur vorhanden gewesen. Mit dieser "kritischen Reflexion" hat sich das Nachkriegsdeutschland lange schwer getan - und heute? In Köln distanzierte sich die Sporthochschule erstmals 1995 vorsichtig von ihrem Gründungsrektor Carl Diem, und in Berlin plädieren Schüler derzeit für eine Namensänderung der Carl-Diem-Halle in Steglitz. Noch vergibt der Deutsche Sportbund den "Carl-Diem-Preis", das "Carl-Diem-Schild" des Deutschen Leichtathletik Verbandes soll ab 2002 in "DLV-Ehrenschild" umgetauft werden - eine Umbenennung, die sowohl Anerkennung als auch Protest auslöst. Aufarbeitung von Geschichte? Wolfgang Schäche glaubt an sie, ihr hat er jahrzehntelang Recherchen und Dokumentationen gewidmet. Und der Umbau des Olympiastadions? Laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Berlin wird das Olympiastadion denkmalgerecht saniert und zugleich den Erfordernissen an eine moderne Veranstaltungsarena angepasst. Es sei eine Lösung entstanden, die allen gerecht wird, der differenzierte Umgang mit dem Erbe habe zu einem überzeugenden Ergebnis geführt. Ein gelungener Umgang also mit Geschichte? Der vom Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner vorgeschlagene Entwurf, ist - so Buchautor Schäche, "ein angemessener Schritt in die richtige Richtung". Sich im Buch in die aktuelle Debatte über den Umbau einzumischen, fällt den Autoren jedoch nicht ein. Das Kapitel "Planung" erschöpft den interessierten Leser mit detaillierten bautechnischen Beschreibungen, ohne dass eine Stellungnahme der Autoren erkennbar wäre. Klarer äußert sich Wolfgang Schäche dagegen im Interview: was fehle, sei ein schlüssiges Gesamtkonzept für das Gelände.

    Das zweite ist, und das ist also 'ne Sache, die nicht nur ärgerlich ist, sondern wofür ja auch 'n Stückchen weit versucht wird in diesem Buch zu kämpfen und klar zu machen, dass es immer um den Kontext gehen muss, man kann sich also auch wenn man das auch unter den Kriterien des Denkmalschutzes sieht, es ist ja ein Dokument einer Zeit und als Dokument ist es überhaupt nur in dieser Gesamtheit begreifbar, nicht indem man es segmentiert und diese Gefahr ist in der Tat sehr groß, dass aufgrund von ökonomischen Zwängen, von vorgeblichen Zwängen, es bewirtschaften zu müssen, von individualistischen Begehrnissen, die also auch in unterschiedlichem Maße wiederum an das ehemalige Reichssportfeld herangetragen werden, dass sich dieser Kontext nicht wahren lässt und das wäre eigentlich gleichzusetzen mit 'ner Zerschlagung des ehemaligen Reichssportfeldes und damit also auch im Ergebnis mit einem Verwischen und Verdrängen von Geschichte.

    Wolfgang Schäche und Norbert Szymanski: Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht. bebra Verlag Berlin , 160 großformatige Seiten mit 180 Abbildungen, DM 59,90