
An einem sonnigen Mai-Morgen poliert Sabine Kipp, Chefin des Wassersportcenters Sun and Fun, ihre Elektroboote und Segeljachten für den Verleih auf. Segel- und Wasserskikurse bietet sie außerdem an. Der Saisonstart noch vor Frühjahrsbeginn war glänzend:
"Wir haben dann sehr früh und sehr plötzlich angefangen, die Boote ins Wasser zu lassen, weil – Anfang März hat sich diese Hochdruckwetterlage ja angekündigt, und so waren wir im März hier schon aktiv, hatten schon Boote im Wasser, und es waren auch schon Kunden da zum Boot fahren."
Genauso wunschgemäß ging's weiter. Nur dass der Mangel an Schmelz- und Regenwasser den Pegel des Sees überdurchschnittlich sinken ließ. Was Schlagzeilen produzierte wie "kein Wasser", "leerer See", "Pfütze". Verheerend für Hotel- und Wassersport-Unternehmen wie Sun and Fun. Und nicht zutreffend. Sabine Kipp blickt auf ihren kleinen Steg und die riesige stille Wasserfläche. Am bewaldeten Horizont endet der See längst nicht, er mäandert kilometerweit nach Süden hin.
"Es gibt natürlich Leute, die anrufen und fragen, sie hätten in den Medien gehört, wir hätten zu wenig Wasser, ob sie ihren Wassersport noch ausüben können. Gut, wenn sie anrufen und ich das klarstellen kann! Aber die Leute, die nicht anrufen und sich dann ausmalen, dass der See wegen des trockenen Frühjahrs halb leer ist, was ja nicht stimmt, dann ist das schade. Wir haben ja 200 Millionen Kubikmeter. Das muss man sich mal vorstellen als Menge. Und wenn da zwei bis drei Meter fehlen von dieser Menge, dann ist das ja kaum zu erkennen."
Am Ufer gegenüber bereitet sich Kapitän Wilfried Meyer auf seinem Ausflugsschiff "Edersee-Star" aufs Ablegen vor. Auch er will keine Panik schüren, zu 85 Prozent sei der See ja gefüllt, und 90 Prozent der zweistündigen Runde von der Sperrmauer bis zur Stauwurzel nach Herzhausen könne man ja fahren.
Aber die Binnenschiffer auf der Weser sieht der Fahrgastschiffer kritisch. Fluss angepasste Schiffe fordert er, mit weniger Tiefgang.
"Wenn große Verlader mit Schwergutlasten sich Wasser anfordern und das Wasser- und Schifffahrtsamt diesen Verladern dann auch nachgibt, dann werden hier größere Mengen aus dem Edersee genommen, um die Weser mit mehr Wasser zu füllen. Und das ist tödlich. Wenn sie das drei, vier Mal gemacht haben, dann fehlen rund 50 Millionen Kubikmeter für das Jahr, und das können Sie nicht wieder ausgleichen."
"Wenn große Verlader mit Schwergutlasten sich Wasser anfordern und das Wasser- und Schifffahrtsamt diesen Verladern dann auch nachgibt, dann werden hier größere Mengen aus dem Edersee genommen, um die Weser mit mehr Wasser zu füllen. Und das ist tödlich. Wenn sie das drei, vier Mal gemacht haben, dann fehlen rund 50 Millionen Kubikmeter für das Jahr, und das können Sie nicht wieder ausgleichen."
Wenn allerdings ein Hersteller seine Riesen-Turbine wegen Niedrigwassers nicht zum Kunden bekommt, dann fehlt dem Geld in der Firmenkasse und dem Binnenschiffer auch – ein klassischer Interessenkonflikt, meint Jiri Cemus, vom Wasser- und Schifffahrtsamt in Hann-Münden. Das bewirtschaftet die Talsperre und bezieht bei Niedrigwasser Prügel von allen Seiten. Von den Weserschiffern, die Wasser unterm Kiel fordern und vom Edersee-Tourismus, der einen vollen See verlangt.
Wolfgang Bänfer schlendert durch die Fotoausstellung "100 Jahre Edersee" in der alten Maschinenhalle des stillgelegten Kraftwerks am Fuß der Staumauer. Der Gastronomiemöbelproduzent liefert dem Tourismus zu und fordert von der Politik, diesen Wirtschaftsfaktor beim Wasser-Management stärker zu berücksichtigen:
"Der Tourismus ist natürlich schöner, wenn der See voll ist - logisch. Fahr’ ich nach Italien, fahr’ ich in die Schweiz an die Seen, und das Wasser ragt bis an die Bäume, das hat 'ne ganz andere Qualität, als wenn ein See leer ist. Aber man versucht natürlich, mit einem leeren See, durch (das) sogenannte Atlantis die Leute zu bewegen, sich das trotzdem anzugucken."
Atlantis – die versunkene Unterwelt des Edersees: Drei Dörfer, Kirchen und Brücken verschwanden, als die Talsperre 1914 geflutet wurde. Fast Tausend Menschen wurden umgesiedelt. Manfred Bonnet wohnt im Kilometer entfernten Kassel und fährt immer wieder zum Edersee.
"Die Brücke bei Asel und andere Ruinen sind – das ist natürlich ein ganz eigenartiges, fremdes Bild, und es ist natürlich ganz einfach etwas Besonderes."
Zum jährlichen Niedrigwasser im Herbst reisen Tausende an, um die Reste der versunkenen Dörfer zu besichtigen. In diesen Tagen aber füllt Regen die Talsperre. Die Bonnets besteigen das Ausflugsschiff, um sich vom See aus anzuschauen, was sie in drei Tagen erwandert haben: den gesamten Urwaldsteig von 70 Kilometern Länge, der auch durchs UNESCO-Weltnaturerbe Kellerwald führt.
"Gerade jetzt im Mai dieses Buchengrün – also Sie tauchen ein in einen Rausch, also das ist unbeschreiblich! Diese dritte Etappe, dieser „Knorreichenstieg“ – da haben Sie Blicke auf den See - also es ist Wahnsinn."
Egal welcher Pegelstand – der Edersee fasziniert die Bonnets. Weil er viel mehr zu bieten hat als Wasser.