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100 Prozent Bio

Wie sähe die Lebensmittelwirtschaft aus, wenn alles Bio wäre. "100 Prozent Bio - Perspektive für Deutschland," so lautet das Motto der Herbsttagung des "Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft" in diesem Jahr. Vertreter aus Politik und Gesellschaft hatten die Veranstalter nach Berlin geladen, um das Szenario und seine Folgen zu entwerfen.

Von Dieter Nürnberger |
    "100 Prozent Bio" - das Motto der Jahrestagung des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft war bewusst gewählt, ein wenig Vision - bestimmt auch ein Stück weit Provokation. Aber: Im Sinne einer nachhaltigen Land- und Lebensmittelwirtschaft sei diese Vision auch notwendig. Denn der ökologische Anbau bringe Leistungen für Natur und Umwelt, die konventionelle Produktion hingegen verursache Kosten im Umweltbereich, die alle Steuerzahler tragen müssen. Verunreinigungen des Grundwassers als Beispiel. So gesehen sei das Motto der Jahrestagung auch ein Stück weit realistisch, sagt Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorstandsvorsitzende des BÖLW.

    "Wir meinen es schon ernst. Es gibt inzwischen ja auch längst viele wissenschaftliche Belege, dass der ökologische Landbau nachhaltiger ist als konventionelle Landwirtschaft. Es geht uns da wie in vielen anderen Wirtschaftszweigen, beispielsweise der Energiepolitik. Wir müssen die nachhaltigere Form wählen, sonst leben wir auf Kosten unserer Kinder. Unsere gesamte Landwirtschaft, und nicht nur eine kleine Nische, muss ökologisch werden. Auch wenn dies dann anders aussieht als die heutige kleine ökologische Landwirtschaft."

    Die Delegierten der Jahrestagung haben es sich nicht zu einfach gemacht. Experten nahmen zur Vision "100 Prozent Bio" Stellung. Was hieße dies für die weltweiten Handelsbeziehungen? Gäbe es dann zwangsläufig eine Ökofestung Deutschland, oder gar Europa? Nur aufrecht zu erhalten durch Protektionismus? Trotz des langfristigen Horizonts ging es um Schritte, die auch mittel- und kurzfristig nötig wären. Eine Umstellung der staatlichen Förderung beispielsweise, sagt Alexander Gerber, der Geschäftsführer.

    "Bezogen auf den Markt ist dies ja auch ein großes Problem. Denn das Wachstum der Fläche für den ökologischen Landbau ist noch nicht so groß wie das Wachstum unseres Marktes. Diese Lücke wird derzeit von ausländischer Ware gefüllt. Damit vergibt die deutsche Landwirtschaft auch eine Chance. Das liegt an unsicheren politischen Rahmenbedingungen."

    Vier Milliarden Euro Umsatz gab es 2005, zudem ein beeindruckendes Wachstum von 15 Prozent. Die ökologische Lebensmittelwirtschaft ist auf dem Vormarsch, auch wenn der Marktanteil derzeit nur zwischen 3 und 5 Prozent liegt. Im Moment helfen Importe, diese erhöhte Nachfrage auszugleichen. Ein konkreter Schritt könnte eine Steigerung bei der Regionalvermarktung sein, so Alexander Gerber.

    "Das zeigen alle unsere Erfahrungen, dass immer dort, wo eng zusammengearbeitet wird - zwischen Erzeugern und Vermarktern - dass wir da auch wirtschaftlich Erfolg haben. Dort bekommt Bio sozusagen ein Gesicht. Dies hat uns als "Bios" ja auch von Anfang an ausgezeichnet. Es findet eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Stufen der Wertschöpfung statt. "

    Und auch wenn so mancher Experte von außen bei der Devise "100 Prozent Bio" eher skeptisch war, einige Fakten sprechen deutlich dafür. Es würde mehr Arbeitsplätze geben, und auch in der Klimabilanz wäre man der konventionellen Produktion überlegen. Das müsse den Verbrauchern klar werden, sagt Felix Prinz zu Löwenstein.

    "Ich bin da gar nicht so skeptisch. Wir reden heute über einen Marktanteil von rund 5 Prozent, es ist aber auch so, dass rund 50 Prozent der Kunden Ökoprodukte kaufen. Sie tun es aber nicht ständig und immer. Da ist schon sehr viel in Köpfen der Menschen angekommen. Hinzu kommt: In den vergangenen Monaten hat sich in großer Geschwindigkeit etwas entwickelt, was die Amerikaner ethisches Einkaufen nennen. Das heißt, immer mehr Verbraucher wollen durch die Art ihres Einkaufens auch etwas bewirken."

    Es wird ein langer Weg zur Erreichung des Ziels sein. Ein Wirtschaftsfachmann formulierte es so: Zur Umstellung eines Betriebs auf ökologische Produktion brauche man rund zwei Jahre, eine Umstellung in den Köpfen und bei den Handlungen der Verbraucher dauere aber wohl deutlich länger.