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1001 Kämpfe für die Gleichberechtigung

König Mohammed VI. von Marokko hat den Ruf eines gemäßigten, fortschrittlichen Monarchen. Nach und nach versucht der König die marokkanische Gesellschaft demokratisch umzugestalten, so durch die Änderung des Familienrechts, der so genannten Moudawana. Mohammed VI. setzte durch, dass Frauen mehr Rechte bekommen und - zumindest in vielen Familienfragen - den Männern gleichgestellt werden. Fünf Jahre später sind viele Gesetze noch immer nicht 100-prozentig umgesetzt.

Von Ruth Reichstein |
    Das Viertel Bernoussi in Casablanca. Die Strassen sind staubig, die meisten Häuser unverputzt. Eine Gruppe Jugendlicher schlendert durch die Gassen, andere fahren mit ihren klapprigen Mopeds vorbei. Die Arbeitslosenrate im Viertel liegt bei fast 20 Prozent - vor allem die Jugendlichen haben oft keinen Job.

    Das gilt auch für viele Mitglieder des Vereins Intilaka, die sich hier hinter einer rostig-blauen Eisentür in einem viel zu kleinen, dunklen Raum um einen Tisch versammelt haben. Sie sind zwischen 15 und 30 Jahre alt, junge Frauen und Männer gemischt. Sie besprechen den nächsten Workshop, den sie in einer weiterführenden Schule im Viertel organisieren wollen. Denn anders als viele ihrer arbeitlosen Altersgenossen hängen die rund 40 Mitglieder von Intilaka nicht auf der Strasse herum. Sie nutzen ihre Zeit, um für ein Ziel zu kämpfen, das ihnen besonders wichtig ist:

    "Die Frau wird immer noch erniedrigt in der marokkanischen Gesellschaft. Deshalb haben wir unseren Verein gegründet. Es ist besonders wichtig, dass die jungen Generationen das neue Familienrecht kennen, damit sich wirklich etwas ändern kann."

    .... sagt Hauda Sahli, der Generalsekretär des Vereins. Die Vorstandsposten sind hier auf Frauen und Männer gleichmäßig verteilt. Die Gleichberechtigung beginnt schon in den Vereinsstrukturen. Gemeinsam mit seinen Freunden versucht Hauda Sahli, die Leute auf der Straße von der Moudawana, also dem neuen Familienrecht, zu überzeugen. Am Wochenende verteilen die Jugendlichen Flugblätter, hin und wieder veranstalten sie kleine Konzerte und Vorträge, um über die Gesetzeslage zu informieren.
    Dazu gehört zum Beispiel das Recht der Frau auf Scheidung, eine gerechte Gütertrennung zwischen Mann und Frau sowie die Einschränkung von Polygamie und Zwangsehen.

    Aber auch fünf Jahre nach der Gesetzesänderung halten sich die althergebrachten Traditionen hartnäckig in der marokkanischen Gesellschaft. Zwangsehen von Minderjährigen zum Beispiel sind zwar gesetzlich verboten, aber in der Praxis - vor allem auf dem Land - gehören sie noch immer zum Alltag, sagt Nadia Hussein, Frauenrechtlerin und Unterstützerin des Vereins Intilaka:

    "Dort regiert die Trockenheit, die Armut. Eine junge Frau auf dem Land hat drei Möglichkeiten, um zu überleben: sich prostituieren, Hausmädchen werden oder heiraten. Die Frauen haben keine Schulbildung. Sie kennen ihre Rechte nicht. Das muss sich ändern."

    Die neuen Regeln sind nicht in den Köpfen der Menschen angekommen, sagt auch die Feministin Latifa Jbabdi. Sie ist eine der Frauen, die schon seit den 80-er Jahren für die Frauenrechte in Marokko kämpfen.

    "Die falsche Interpretation des Islam trägt dazu bei, dass die Leute denken, Frauenrechte seien schlecht. Dafür sorgen die Radikalen. Aber wir versuchen, die Menschen zu überzeugen, dass sich Islam und Frauenrechte nicht widersprechen. Die Gütertrennung zum Beispiel verstößt nicht gegen unsere Religion. Davon ist im Koran noch nicht einmal die Rede."

    Aber König Hassan II., der Vater des derzeitigen Herrschers Mohammeds VI. hat gemeinsam mit religiösen und politischen Führern über Jahrzehnte hinweg eine patriarchalische Struktur errichtet, in der die Meinung der Frau nicht zählt und ihre Rechte aufs Gebären und Kochen beschränkt sind. Als Grund wird die Religion angeführt.
    Seit König Mohammed VI. regiert, versucht er zwar, diese Strukturen aufzubrechen, kämpft aber noch immer gegen Widersacher in den Moscheen und im Parlament, die um ihre Macht fürchten. Sie sind nicht an der Regierung beteiligt, doch über ihre guten Verbindungen zur marokkanischen Oberschicht üben sie großen Einfluss aus.

    Schwer genug also, die bestehenden Gesetze durchzusetzen. Erst recht aber haben diejenigen keine Chance, die nach den religiösen Regeln als Sünderinnen gelten und die auch das neue Familienrecht noch nicht schützt.

    Zum Beispiel Sama Khouribga. Sie steht gedankenverloren in der Tür der Kindergrippe des Vereins Insaf. Die 22-Jährige schaut ihrem Sohn Noé beim Spielen zu. Er ist ein knappes Jahr alt. Heute kann Sama sich an seinem Gebrabbel freuen. Bei der Geburt ihres Sohnes war das anders. Denn Sama ist nicht verheiratet. Sex vor der Ehe gilt in Marokko als Sünde. Die Frauen riskieren sogar als angebliche Prostituierte zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden.
    Sama wurde noch während der Schwangerschaft von ihrer Familie verstoßen:

    "Mein Bauch wurde zu dick. Damit ich bei meiner Schwester wohnen durfte, musste ich ihr versprechen, dass ich mein Baby sofort nach der Geburt weggeben würde. Aber ich habe Nein gesagt. Also musste ich mir eine neue Bleibe suchen. Meine Schwester ist verheiratet. Sie konnte ihrem Mann nicht sagen, dass ich schwanger war. Das sind eben unsere Traditionen."

    Sama fand Unterschlupf bei Insaf. Jedes Jahr kommen rund 80 Frauen zu diesem Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, sich um Alleinerziehende zu kümmern. Insaf beherbergt die Schwangeren und hilft ihnen, auf eigenen Füßen zu stehen: Mithilfe des Vereins macht Sama derzeit eine Ausbildung zur Buchhalterin. Der Verein versucht, den Frauen mit einer beruflichen Weiterbildung neues Selbstbewusstsein zu geben. Aber die Direktorin des Vereins, Nabila Tbeur, weiß, dass es nur sehr wenige Frauen schaffen, nach ihrer Zeit bei Insaf tatsächlich ihr eigenes Leben - ohne Ehemann - zu führen:

    "Selbst wenn sie eine Arbeit haben und finanziell unabhängig sind, bleibt dieser Blick der anderen, den sie nicht ertragen. Alles was sie wollen ist, den Status einer verheirateten Frau zu erlangen - wegen der Nachbarn, aber auch um die Zuneigung ihrer Familie zurück zu gewinnen. Also suchen sie weiterhin nach einem Mann und das Ergebnis ist oft, dass sie ein zweites uneheliches Kind bekommen und dann ist es vorbei. Meistens werden sie dann zu Prostituierten."

    Immerhin: Es gibt auch Fortschritte bei der Anerkennung der Frauenrechte in Marokko. Im vergangenen Jahr zählte das Justizministerium zum Beispiel wesentlich weniger Fälle von Polygamie im Land als noch sieben Jahre zuvor. Rund 860 Männer haben 2007 eine zweite Frau geheiratet. Im Jahr 2000 waren es noch doppelt so viele. Jede Zweithochzeit muss nun von einem Richter genehmigt werden. Nur wenn die erste Frau sich einverstanden erklärt, darf ihr Mann ein zweites Mal heiraten.

    Die junge Mutter Sama Khouribga hat Hoffnung, denn der Vater des Kindes hat ihr versprochen, Noé als seinen Sohn anzuerkennen und Sama zu heiraten. Erst dann hätte die junge Frau eine Chance, wieder in ihrer Familie aufgenommen zu werden. Das ist Samas größter Wunsch. Denn sie weiß aus eigener Erfahrung, wie hart die marokkanische Gesellschaft sein kann:

    "Auch für mein Kind wird es schwierig sein. Wenn es groß ist, wird es erfahren, wie es geboren worden ist, dass meine Familie es abgelehnt hat. Mein Bruder wollte nicht mal wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Er hat mir gesagt, er will mich nie wieder sehen. Jetzt habe ich meine Familie seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Das ist wirklich hart."