Mittwoch, 24. April 2024

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11. Staffel des RTL-Dschungelcamps
"Ein letztes Stück Lagerfeuerfernsehen"

"Das Dschungelcamp ist durchaus ernstzunehmen", sagte die Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher im DLF. Die Schadenfreude der Zuschauer, Comedy-Elemente, ein Setting fürs Auge und die begleitenden Diskussionen in den Sozialen Medien würden für eine breitenwirksame Unterhaltung sorgen und den Erfolg des Konzeptes ausmachen.

Joan Bleicher im Corso-Gespräch mit Susanne Luerweg | 12.01.2017
    Sonja Zietlow und Daniel Hartwig moderieren das "Dschungelcamp" auf RTL
    "Wenn die Moderatorinnen sich sehr ungehemmt über die Kandidatinnen lustig machen, das sorgt natürlich auch für eine breitenwirksame Unterhaltung", betonte Fernsehwissenschaftlerin Joan Bleicher im Deutschlandfunk. (picture alliance / dpa / Marius Becker)
    Susanne Luerweg: Kotzfrucht, Kakerlaken und Kameras – drei Zutaten, die seit vielen Jahren das RTL-"Dschungelcamp" krönen und immer noch funktionieren. Zwischen fünf und acht Millionen Zuschauer schalten regelmäßig den Fernseher ein, wenn alljährlich Anfang Januar abgehalfterte Fußballspieler, ehemalige "Germanys-Next-Topmodel"-Teilnehmerinnen und erfolglose Mitstreiter von Sing-Castingshows den australischen Busch bevölkern.
    Zwei Wochen lang müssen sie Prüfungen, Peinlichkeiten und pausenlose Überwachung aushalten, hämisch kommentiert von einem Moderatorenduo, medizinisch versorgt von Dr. Bob und ununterbrochen beobachtet von den sozialen und auch von den konventionellen Medien. Morgen ist es wieder so weit. Die neue Staffel Dschungelcamp startet, und eine, die wieder guckt, ist die Fernsehwissenschaftlerin Joan Bleicher. Schönen guten Tag!
    Joan Bleicher: Guten Tag!
    "Die Aufmerksamkeitsökonomie löst langsam die Geldökonomie ab"
    Luerweg: Frau Bleicher, Sie sagen, "Dschungelcamp" sei eine Art Spiegel unserer Mediengesellschaft. Das ist, finde ich, doch ein ein bisschen bitterer Satz. Sind unsere Medien nur von Selbstdarstellern mit etwas geringer Schamgrenze bevölkert?
    Bleicher: Mit Mediengesellschaft meine ich, dass die Aufmerksamkeitsökonomie langsam so die Geldökonomie ablöst. Je mehr man Aufmerksamkeit hat, desto höher steigt man auf in der Hierarchie der Mediengesellschaft, und dafür ist das "Dschungelcamp" ein Beispiel. Wie man sehen kann, innerhalb von 14 Tagen, wie steigt ein No-Name-Z-Prominenter zum Star auf, den jeder kennt.
    Und dafür ist das "Dschungelcamp" natürlich sehr charakteristisch für die verschiedenen Inszenierungsstrategien, für die verschiedenen Verhaltensweisen, Kooperationsbildungen innerhalb der Gruppe, die dazu führen, dass dann am Ende einzelne sehr bekannt sind, während andere weiterhin anonym bleiben.
    "Der Star-Status hat sich in den letzten Jahren sehr stark verändert"
    Luerweg: Sie sagen gerade "Z-Promi". Es wird ja immer so angekündigt als "Hilfe, ich bin ein Star – holt mich hier raus!" – sind die aber doch eigentlich gar nicht.
    Bleicher: Der Star-Status hat sich ja in den letzten Jahren sowieso sehr stark verändert, was man an so Menschen wie Jens Büchner etwa sehen kann, ein Mensch, der nur durch Auswandererformate bekannt geworden ist und mittlerweile sein Geld damit verdient, in Auswandererformaten und vergleichbaren Formaten präsent zu sein und darauf aufbauend eine Musikkarriere aufzubauen.
    Das heißt, das sind Menschen, die einfach durch die Dauer und die Wiederholung ihrer Bildschirmpräsenz sich als Stars bezeichnen. Und dieser veränderte Starstatus kennzeichnet das Fernsehen seit einigen Jahren.
    "Eine gewisse Rache an der Dauerpräsenz von Z-Prominenten"
    Luerweg: Warum gucken wir das denn im Grunde genommen alle so gern, also dieses Scheitern vermeintlicher Stars als Sofa-Event? Was ist daran so reizvoll?
    Bleicher: Das ist natürlich das Prinzip der Schadenfreude, was da eine große Rolle spielt. Andererseits natürlich auch so eine gewisse Rache an der Dauerpräsenz von Z-Prominenten. Das heißt, der Zuschauer ist der Meinung, wer unbedingt ins Fernsehen will, der soll auch dafür leiden, der muss auch seinen Preis zahlen.
    Und es gibt natürlich immer diesen humoristischen Effekt, gewollte Selbstdarstellung und tatsächliche Fernsehpräsenz, und diese Kluft zwischen Inszenierungsstrategien und tatsächlicher Wirkung ist natürlich für die Unterhaltung relevant. Und zusätzlich haben wir natürlich dieses Comedy-Element, das sehr wichtig ist.
    Wenn die Moderatorinnen sich sehr ungehemmt über die Kandidatinnen lustig machen, das sorgt natürlich auch für eine breitenwirksame Unterhaltung. Und das ganze Setting erinnert an ursprüngliche alte Tarzan-Filme, also man hat auch noch was fürs Auge. Da wird ganz viel miteinander kombiniert, was dieses Erfolgsbausteinrezept ausmacht.
    "Twitter ist unterhaltsamer als das Duschungelcamp selbst"
    Luerweg: Und es funktioniert bei allen, keiner gibt es zu. Es ist wie "Bild"-Zeitung lesen. Aber alle gucken es, denn irgendwo müssen ja die acht Millionen Zuschauer herkommen. Und auch wir, der Deutschlandfunk beschäftigt sich mit dem Thema, bei "Spiegel online" firmiert das Dschungelcamp unter "Kultur".
    Bleicher: Ja, es ist natürlich, wie gesagt, ein Stück Medienkultur, und es ist auch noch so ein letztes Stück Lagerfeuerfernsehen, wo sich die ganze Nation rund ums Lagerfeuer versammelt, um das zu sehen. Und immer wichtiger wird natürlich auch das Social Web. Wenn Sie mal auf Twitter schauen, Twitter bricht zum Teil zusammen während des "Dschungelcamps", weil so viele ihre Seherfahrungen immer direkt kommentieren. Und da haben sich schon Diskussions-Communities gebildet.
    Und ich nutze immer Twitter, um wach zu bleiben und mich mit meiner Community auszutauschen. Und da wird dann immer fröhlich die gesamte Sendungszeit immer abgelästert. Und insofern, das hält es am Laufen, weil Twitter unterhaltsamer ist als das Dschungelcamp selbst. All diese Elemente tragen natürlich zur Breitenwirksamkeit bei, und insofern ist das "Dschungelcamp" durchaus ernst zu nehmen.
    "Die Spiele werden von Jahr zu Jahr schwieriger und ekliger"
    Luerweg: Jetzt ist es ja so, es gibt so ein paar Zutaten, die sind immer gleich beim "Dschungelcamp", aber jedes Jahr muss ja doch ein bisschen an der Schraube gedreht werden, ein bisschen am Ekelerotikfaktor, damit dem Elend auch wirklich alle zugucken. Was glauben Sie, was wird dieses Jahr passieren? Hoden und so einen Quatsch kennen wir ja alle schon – was kann man noch machen, damit man hinguckt?
    Bleicher: Die Kandidatinnen sorgen ja schon selbst für die Hingucker, die ziehen sich ja bereits aus, bevor es losgeht. Das habe ich jetzt bei den Meldungen der letzten Tage verfolgt, dass damit schon vor dem Beginn der Sendung begonnen wird. Man dreht natürlich auch an der Schraube der Spiele. Die werden von Jahr zu Jahr schwieriger und ekliger. Das ist natürlich auch so eine Effektsteigerung, die ganz wichtig ist.
    Und es ist natürlich auch in der Gag-Struktur immer wieder aktualisierbar und optimierbar in den Gags der Moderation. Also, es gibt durchaus verschiedene Schrauben, an denen noch gedreht wird. Allerdings bricht ja mit diesem Jahr auch der Handlungsort weg, weil die Verträge für das "Dschungelcamp" gekündigt worden sind. Und so bleibt zu fragen, wo dann der Handlungsort im nächsten Jahr liegen wird und ob das das Format wieder verändert.
    Luerweg: Dann genießen wir vielleicht in Anführungsstrichen noch mal den alten Dschungel. Joan Bleicher, Fernsehwissenschaftlerin und tapfere "Dschungelcamp"-Guckerin. Ab morgen geht es los, das RTL-"Dschungelcamp", und Frau Bleicher wird gucken, nehme ich an. Danke Ihnen!
    Bleicher: Danke, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.