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12.4.1903 - vor 100 Jahren

Richtige junge Liebhaber hab ich nicht gespielt, an die kann ich mich überhaupt nicht besinnen. Dann waren’s schon Charakterrollen, jugendliche Charakterrollen, aber meist schon immer reife Leute.

Von Beatrix Novy | 12.04.2004
    Nein, keine jungen Liebhaber, dafür so ungefähr alles, was bei Bühne und Film an Charakteren anfällt, Professoren, Liederjahne, eiskalte Betrüger, Militärs, Bürovorsteher, Fürsten. Er gab den traurig-betrogenen Ehemann in Helmut Käutners "Romanze in Moll", den mild lächelnden klugen Pfarrer in "Das Haus in Montevideo", den Harras in "Des Teufels General", den gerechten Lehrer Justus in "Das fliegende Klassenzimmer"

    Man soll zwar nicht neugierig sein, aber ich bin’s. Was steckt unter diesem Tuch? Ein großer Weihnachtsstollen? - Nein! - Schade, von den Weihnachtsstollen wär ich auf die Stollen im allgemeinen zu sprechen gekommen, dann auf die Stollen im Bergbau, dann auf die Tunnels im Hochgebirge, dann auf die Tunnels in den Alpen.

    Wäre es nach seinen frühen Plänen gegangen, hätte Paul Dahlke im Bergbau eine solide Beamtenkarriere gemacht. In Pommern wurde er geboren, am 12. April 1904, aber sein Vater, ein Musikpädagoge, zog um ins Ruhrgebiet, wo der Sohn sich zunächst von den Aussichten und - ja - von der Romantik im Zechenbetrieb fesseln ließ. Aber über die Faszination des Bergbaustudiums siegte die musische Ader, und nach kurzem Germanistikstudium absolvierte der junge Dahlke bei Max Reinhard in Berlin die Schauspielschule.

    Na ja, viele sind beru- äh auser-äh wenige sind also beruf...also viele sind aus- nein wenige sind auserwählt, hat er gesagt, aber wie’s dann gutging, war er sehr zufrieden, er war auch sogar stolz, hat gesagt: Mein Sohn!

    In Interviews mochte Dahlke sich redend schon mal überschlagen; aber einmal in eine Rolle geschlüpft, erfüllte er sie mit souveräner Selbstsicherheit: Er sei, sagte er im hohen Alter, immer noch der erste, der seinen Text auswendig könne

    Mein erstes Engagement war bei Saltenburg, das war neunundzwanzig. Dreißig war der pleite – nein, nicht meinetwegen war der pleite gegangen! –, und im 31er Jahr holte mich Hilpert.

    Der Regisseur Heinz Hilpert hatte ganz offensichtlich einen Narren gefressen an dem jungen Mann, dessen Eigenart es war, gestanden, ehrlich und geradlinig zu wirken, aber auch hinter seinem pausbäckigen, hasenzahnigen Lächeln die Fähigkeit zur Bösartigkeit ahnen ließ: der, kurz gesagt, in egal welcher Rolle auch das ganz Andere, die Komplexität des Menschlichen immer mitverkörperte. Aber was wäre ohne Hilpert aus dieser Fähigkeit geworden?

    Da hab ich das durchgemacht, was sonst die meisten...was man als Provinz bezeichnet. Da hat er alte Leute mich spielen lassen, große Rollen auch, junge Leute, da bin ich also richtig durchgeknetet worden. Insofern hängt meine Vielseitigkeit mit Hilpert zusammen.

    Dahlke verfügte über Eigentümlichkeiten genug, um sehr populär zu werden, mit seiner knarzenden Stimme und der charakteristischen Mundpartie unter dem früh zum Markenzeichen angelegten Schnauzbart. Er spielte an der Seite sämtlicher Größen des deutschen Films, er spielte sich durch die Nazizeit, ohne irgendwem aufzufallen, Carl Zuckmayer erwähnte ihn nicht mal in seinen Berichten für die Alliierten über deutsche Kulturschaffende – und eben in Zuckmayers Drama "Des Teufels General" sollte Dahlke eine seiner ersten großen Theaterrollen nach dem Krieg bekommen. Die kontinuierliche Beliebtheit dieses Mannes schlug sich nieder in einer Lebensbilanz von mindestens 120 Filmen, mindestens 140 Theaterrollen und etlichen Hörspielen, z.B. Heinar Kipphardts "In der Sache Robert J. Oppenheimer"

    Cornel Pash, was ist Ihr Spezialgebiet? - Spionageabwehr. Die Abwehr von Kriegsprojekten insbesondere - Sind Sie dafür besonders ausgebildet worden? - Ich bekam die Ausbildung, die das FBI für seine ersten Leute vorsieht, ein ziemlich hartes Training, ich habe seitdem einige internationale Erfahrungen.

    Als Schauspieler hatte er Enttäuschungen und Brüche kaum zu verkraften; vielleicht auch deshalb, weil das, was er unter Leben verstand, nicht allein vom Erfolg abhing. Eine ländlich-zurückgezogene Existenz an der Seite seiner Frau und Kollegin Elfe Gerhardt kombinierte er glückhaft mit Engagements, die ihn jeweils für ein paar kurzweilige Monate in die Welt brachten, oft an die Boulevardbühnen der Republik, er war sich dafür nicht zu schade, manches Mal ins Fernsehen: die Serie MS Franziska blieb seinem Publikum und ihm selbst in bester Erinnerung. Seinen letzten, den 80. Geburtstag, feierte er im Gasthaus seines Wohnorts Grundlsee in der Steiermark. Eingeladen waren einige Freunde und Bekannte: der Briefträger, der Pfarrer, zwei Bauern, der Gastwirt.