
In den letzten Jahren ist das Interesse an dem internationalen, weitgehend auf Kammer- und Klaviermusik ausgerichteten Festival in Wissembourg enorm gewachsen. Besucher aus den umliegenden Regionen sowie dem Ausland kommen inzwischen regelmäßig, weil es über drei Wochen lang außergewöhnliche Musiker zu erleben und zu entdecken gibt. Wesentlich zur wachsenden Neugier beigetragen hat vor elf Jahren das Debüt des seinerzeit fast noch unbekannten Quatuor Ebène. Inzwischen gastiert das renommierte Quartett alljährlich vor Ort und zieht entsprechend viele Musikbegeisterte an. In diesem Jahr brillierte das Quartett u.a. mit dem Konzert für Violine, Klavier und Streichquartett von Ernest Chausson. Die Solisten waren Andreij Bielow, Violine und Akiko Yamamoto, Klavier.
Musik: Chausson, Konzert für Violine, Klavier und Streichquartett
Musikalisches Leben für das Elsaß
Initiiert hat das Festival im Jahr 2004 Hubert Wendel, selbst Musiker und gebürtig aus Wissembourg. Er studierte Klavier bei Dominique Merlet und in Strassbourg Orgel bei Pierre Vidal.
Es war ihm ein dringendes Bedürfnis, endlich musikalisches Leben in die elsässische Heimat zu holen und das ist ihm hinsichtlich Qualität und Vielfalt überzeugend gelungen. Als künstlerischer Leiter macht sich Wendel mit offenen Ohren und viel persönlichem Engagement seither in jedem Jahr auf Trüffelsuche in der internationalen Musikwelt. Sein Interesse gilt vor allem Nachwuchskünstlern, die weitgehend noch am Anfang ihrer Karriere stehen, aber in der jüngsten Vergangenheit auf einem Podium bzw. bei Wettbewerben für Aufsehen gesorgt haben. Knapp 30 Ensembles und Solisten hat er für das diesjährige Festival gewinnen können, u.a. das Quatuor Arod, den erst 19-jährigen Pianisten Albert Cano Smit sowie den Cellisten Christoph Croisé.
"Die Idee war ja von Anfang an, junge Künstler einzuladen, damit auch die junge Generation da präsent ist. Es war immer eine Freundschaftssache, z. B. wenn jemand mir gesagt hat, der hier gespielt hat, oder du, ich kenne da ein tolles Quartett, dann hatte ich immer Vertrauen, habe die Leute dann sofort eingeladen und dann war natürlich das Wunder. Und auch auf Youtube habe ich ein paar Künstler entdeckt. Mein Lieblingspianist ist Nikita Mndoyants, den ich auch ganz zufällig gefunden habe auf Youtube und ich fand das so unglaublich, was das für ein Musiker ist."
In diesem Jahr gastierte Nikita Mndoyants, der seinen Ruf als außergewöhnlicher Pianist erst vor zwei Wochen beim Internationalen Cleveland-Wettbewerb mit einem ersten Preis gefestigt hat, an der Seite des russischen Cellisten Lev Sivkov. Ein Aufeinandertreffen von zwei Vollblutmusikern, die u.a. mit der Sonate von Paul Hindemith neben atemberaubender Virtuosität durch ein enormes Gespür für subtile Klanggestaltung in den Bann zogen. In geistliche und weltliche Vokalwerke aus vier Jahrhunderten entführten fünf ehemalige Mitglieder des Thomanerchores, die sich 2006 zum Leipziger Vokalensemble Nobiles formierten und ihre inzwischen internationale Karriere in Wissembourg starteten.
Musik: Ruffi, "Kyrie"
Künstlerkontakte zum Publikum
Hubert Wendel beschreibt es als ein Mysterium, dass auf den internationalen Bühnen zunehmend extrem junge Künstler auf höchstem Niveau musizieren, diese Generation aber im Publikum kaum anzutreffen ist. Ein Phänomen, das ihn aber nicht dazu verführt, auf eine rein publikumsfreundliche Konzertdramaturgie zu setzen. Einen Großteil der Programme bestimmen die Musiker selbst und machen sich dabei immer wieder auf die Suche nach interessanten wie sinnfälligen Kombinationen. Thematische Vorgaben gibt es bewusst nicht, denn das empfindet Hubert Wendel als Einschränkung. Musik soll hier immer wieder unabhängig von ihrem Repertoirewert neu entdeckt und in verschiedene Kontexte gestellt werden. Der dreiwöchige Festivalzeitraum ist in erster Linie als Möglichkeit zur intensiven Begegnung konzipiert. Künstlerische Zusammenarbeit soll probiert und gegebenenfalls auch neu formiert werden. Das im allgemeinen Konzertbetrieb oft Unmögliche wird hier möglich.
"Eine wichtige Idee ist auch, dass die Künstler immer mehrere Konzerte geben und nicht nur, wie es oft der Fall ist, kommen, spielen und gehen, also nichts entstehen kann, kein Kontakt mit dem Publikum und auch nicht mit mir, aber ich brauche diesen Kontakt und deswegen spielen die meisten wenigstens drei Konzerte. Das bedeutet, dass sie hier fast eine ganze Woche verbringen und auch Leute treffen, die sie nicht kannten und dann entstehen Kontakte die sehr sehr schön sind und im nächsten Jahr treffen sie sich hier, spielen dann zusammen oder auch woanders."
Vor diesem Hintergrund kann das Festival als kleines Juwel gelten, das ohne eine eigene Werbemaschinerie und Großsponsoren auskommen muss. Statt auf Glanz und Glamour wird hier der Fokus ausschließlich auf die Musik selbst gerichtet. Noch bis zum 4. September sind im Kulturzentrum von Wissembourg "La Nef" täglich ein bis zwei Konzerte zu hören, in denen sich noch junge Künstler und Ensembles von morgen vorstellen.