
The Breeders, Nirvana oder Sonic Youth - den Sound zu dieser Ausstellung kann sich jeder und jede aus einer 90er-Jahre-Playlist aussuchen und - jeder und jede für sich - hören; auf einem Gerät, das anders als ein gewöhnlicher Audioguide die Kunst nicht erklärt, sondern ergänzt. Neben Musik der 90er gibt es auch Ausschnitte aus Interviews mit Künstlern, Kuratoren oder Schriftstellern, von Wolfgang Tillmans über Hans-Ulrich Obrist bis Michel Houellebecq.
Subjektiv, individuell unterschiedlich sind die Gedanken und Erinnerungen an die 90er, und genau so soll und kann sich auch jeder Besucher durch die Ausstellung bewegen. Es gibt keinen vorgeschriebenen Parcours und vor allem keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sagt die Kuratorin Stéphanie Moisdon.
"Das ist keine Retrospektive, keine Inventur, keine repräsentative Ausstellung, sondern vielmehr der Versuch eines Moment-Porträts - der Versuch, die Konturen verschiedener Künstlergruppen zu zeichnen, die sich in diesem Moment des Übergangs fanden."
Ein Jahrhundert und ein Jahrtausend gingen zu Ende - und mit ihnen auch etablierte Denk- und Lebensweisen, Ideen, Ideologien und Technologien.
"Wir sind am Ende vieler Erzählungen, ziemlich melancholischer Erzählungen der 80er Jahre: Vom Ende der Geschichte, von Aids, vom Niedergang des Kinos, der Ideologien - und gleichzeitig stehen wir am Beginn der Globalisierung, des Internetzeitalters, eines neuen Jahrtausends. In dieser kurzen Übergangsphase entsteht eine neue Art der Kunstproduktion."
Unpathetisch, ironisch, doppelbödig und hin und wieder auch trivial - so könnte man diese Kunst der 90er beschreiben. Zum Beispiel die Objekte des Künstlerduos Fischli und Weiss: neben einer irgendwie expressionistisch-abstrakt-modern wirkenden Skulptur steht da, ebenso feierlich auf einem Podest präsentiert, ein aus Kautschuk gegossener Besteckkasten - und wirkt wie ein radikaler und witziger Abschiedsgruß an die Originalitätsansprüche der modernen Kunst. Ein paar Schritte weiter begegnet uns ein ausgestopfter Esel, dem der italienische Künstler Maurizio Cattelan ein Fernsehgerät auf den Rücken geschnallt hat. Schräg gegenüber ist in einem Video von Ugo Rondinone ein dicker schnarchender Clown zu sehen - ein Alter Ego des Künstlers, den die ‚Gesellschaft des Spektakels' offensichtlich müde gemacht hat.
Präsentiert werden die Werke in einer verwinkelten Ausstellungslandschaft, die die Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster gestaltet hat. Farbige Bodenbeläge und Panoramabilder an den Wänden sollen eine bewusst nicht-museale Atmosphäre schaffen, sagt Dominique Gonzalez-Foerster, die selbst in den 90ern ihre ersten großen Ausstellungen hatte - zusammen mit anderen heute international renommierten Künstlern wie Philippe Parreno oder Pierre Huyghe.
"Wir bezogen uns mehr auf Kinofilme oder Medien als auf die Kunstgeschichte. Seit dem Jahr 2000 gibt es wieder viele Werke, die auf die Kunstgeschichte zurückgreifen. In den 90ern war das anders - da ging es mehr um ein Gefühl von ‚Wirklichkeit'."
Zum Beispiel in einer Arbeit des kanadischen Künstlerkollektivs General Idea mit dem Titel "Placebo" - sechs überdimensional großen, pastellfarbenen Medikamentkapseln, wie sie in der Aids-Therapie eingesetzt wurden. Die soziale oder politische Realität der 90er Jahre ist in der Ausstellung allerdings nur selten unmittelbar präsent. Hintergründe zu Politik, Kultur- und Ideengeschichte gibt es in einem Begleitbuch, aber nicht etwa auf Erklärtafeln im Museum. Doch gerade weil die Ausstellung auf Vermittlung und Didaktik verzichtet, gelingt es ihr, die besondere Atmosphäre der Kunstausstellungen der 90er Jahre noch einmal lebendig werden zu lassen. Als Gegenwartskunst noch kein Massenspektakel war und eine neue Generation von Künstlern den Mythen des 20. Jahrhunderts Adieu sagte.