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1997 - Studenten protestieren bundesweit gegen Bildungsabbau

    Etwas mehr als zwei Jahre ist es her. Für viele völlig unerwartet gab es sie plötzlich wieder: die Studentenstreiks. Angefangen haben sie an der Justus-von-Liebig Universität im hessischen Gießen. In der ersten Woche des Wintersemesters 1997/98 mußten dort rund 800 Studierende im ersten Semester feststellen, dass sie zu kaum einer Einführungsveranstaltung zugelassen wurden. Grund war die völlige Überfüllung der Uni. Gerade mal vier Lehrkräfte boten Einführungsveranstaltungen für die neu eingeschriebenen Studenten an - ein Verhältnis von eins zu vierhundert. Notgedrungen ließ man bei vielen Kursen das Los entscheiden. Fast jeder der Studierenden mußte erleben, dass er zumindest in einen Kurs nicht reinkam. Besonders betroffen waren all diejenigen, die BAföG erhielten. Für sie brachte es die Situation mit sich, dass sie ein Semester länger studieren mußten.

    In Deutschland kommen zu diesem Zeitpunkt fast zwei Millionen Studenten auf nicht einmal eine Million Studienplätze. Weil sich SPD und CDU im Bundesrat nicht einigten, konnte der damalige Bildungsminister Jürgen Rüttgers nur eine kleine Reform der Ausbildungsförderung durchsetzen. Knapp 15 Prozent aller Studenten erhalten jetzt noch BAföG. Aber auch andere Vorhaben ließen die Hochschüler aufbrausen. Tausend Mark im Monat sollten Studienfachwechsler ab dem 11. Semester zahlen. Der Bildungsabbau war in aller Munde und mobilisierte die Studenten wie schon lange nicht mehr. Zwischen Oktober und Dezember gingen insgesamt eine halbe Million Studis auf die Straße. Ein unruhiges Weihnachtsfest 1997.