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20.1.1779 - Vor 225 Jahren:

Sein Entsetzen, wenn er den Geist seines Vaters erblickt, hat in mir ein Grausen erregt, dessen ich mich fast nicht mehr fähig glaubte. Dieses kann nur das höchste Schauspieler-Genie ausrichten, verbunden mit einem schönen Körper, dessen Muskeln genau die Stellung zu treffen wissen, die sich eine Seele im Enthusiasmus denkt.

Von Eva Pfister | 20.01.2004
    So schwärmte Georg Christoph Lichtenberg, nachdem er David Garrick als Hamlet auf der Bühne gesehen hatte. - Für heutige Theaterbesucher ist es selbstverständlich, dass Shakespeares Dramenhelden psychologisch fesselnde Charaktere besitzen. Zu seiner Zeit war das jedoch anders. Damals wurden die Verse mit hohlem Pathos deklamiert; höfische Konventionen bestimmten die Gestik und prächtige Kostüme engten die Bewegungen ein. Bis eben jener Schauspieler kam, der das Publikum elektrisierte: David Garrick war vielleicht der erste Realist der Theaters und konnte in Mimik und Gestik deutlich machen, welche Gefühle in einem Menschen vorgehen.

    Von weither kam man angereist, um dieses Schauspiel zu bewundern. Georg Christoph Lichtenberg schilderte es 1775 in einem Brief nach Deutschland deshalb möglichst genau:
    Wenn Garrick ihn (den Geist) erblickt, so macht er kein Compliment wie Smith einmal machte und deshalb Monsieur Smith genannt wurde, sondern er fährt mit zusammenbrechenden Knien und ausgebreiteten Armen taumelnd plötzlich zurück und bleibt endlich in dieser Stellung in einem großen Schritt mit gebogenen Knien stehen.
    Auch Bilder von Zeitgenossen vermitteln uns eine Ahnung von David Garricks expressivem Stil: Ein Gemälde von Hogarth zeigt ihn als Richard den Dritten, in dem Moment, als er aus seinem Alptraum erwacht: Das Gesicht spiegelt sein Entsetzen, seine Hand ist abwehrend nach vorne gestreckt mit gespreizten Fingern.

    Richard der Dritte war die erste Rolle, mit der David Garrick sich auf eine Londoner Bühne traute. Geboren wurde er am 19. Februar 1717 in Hereford. Zusammen mit Samuel Johnson, dessen Schüler er kurze Zeit war, zog er nach London. Er studierte zuerst Jura und arbeitete in der Weinhandlung seines Bruders, verkehrte aber immer mehr in Theaterkreisen und schrieb auch selbst Stücke. Weil er alles andere als stattlich war, wählte er für sein Debüt im Oktober 1741, da war er 24 Jahre alt, die Rolle von Shakespeares buckligem König.
    David Garrick wurde auf einen Schlag berühmt. Das Publikum in London riss sich darum, den Schauspieler mit der sensationell neuen und ungewohnten Spielweise zu sehen. Und es fieberte mit seinen Figuren mit, wie es auch Lichtenberg erlebte:
    Ich kann nicht läugnen, daß mich ein kalter Schauer etliche Male überlief noch ehe er die Anrede angefangen hatte. Mir ist erzählt worden, daß ein Mann vor etlichen Jahren auf der Schillings-Gallerie glaubte, dieses wäre ein würcklicher Geist, sein Nachbar sagte ihm dieses wäre ein Ackteur und der Geist gehörte mit in das Trauerspiel. Aber, sagte der andere, wenn das ist, warum ist dann der Mann im schwartzen Kleide (er meinte Garrick) selbst davor erschrocken?

    Ein Jahr nach seinem ersten Auftritt wurde David Garrick Ensemblemitglied des renommierten Drury Lane Theaters, das er von 1747 an 20 Jahre leitete. Als Regisseur verschuf er dem Publikum einen neuen Zugang zu Shakespeares Dramen, weil er dessen psychologischen Gehalt sichtbar machte, natürlich im Sinne seiner Zeit, zum Teil auch in eigenen Bearbeitungen der Texte. Er selbst spielte alle großen Rollen, von Hamlet über Macbeth bis König Lear.

    Die Verblüffung über seine bewegende Darstellung war so groß, dass allgemein ein Rätselraten einsetzte, wie stark der Schauspieler wohl seine gespielten Leidenschaften selbst durchlebte. Als David Garrick 1764 in Paris gastierte, wurde Denis Diderot von ihm zu seinen Reflexionen über die Schauspielkunst angeregt. In seinem Dialog "Das Paradox über den Schauspieler" lässt er zwei Männer über die Wahrheit der Gefühle auf der Bühne streiten, und er ruft Garrick als Kronzeugen an für eine darstellende Kunst, die mit wachem und kühlem Verstand die Leidenschaften zu imitieren weiß:

    Ich rufe dich zum Zeugen an, berühmter Garrick, der du nach dem übereinstimmenden Urteil aller lebenden Völker für den größten Schauspieler giltst, den sie gesehen haben, gib der Wahrheit die Ehre! Hast du mir nicht gesagt, dass, obgleich du starker Gefühle fähig bist, dein Spiel schwach wäre, wenn du bei irgendeiner Leidenschaft oder einem Charakter, den du darstellst, dich nicht durch das Denken zu erheben vermöchtest bis zur Höhe einer homerischen Vorstellung, mit der du dich zu identifizieren versuchst?

    David Garricks Bühnenkunst beeinflusste das Theater in ganz Europa und regte auch Maler wie Johann Heinrich Füssli an, sich mit Shakespeare auseinander zu setzen. 1769 veranstaltete er ein große Feier zu Shakespeares 200. Geburtstag in dessen Heimatort Stratford-upon-Avon, und begründete auch damit den Kult um den großen Elisabethaner. Als er am 20. Januar 1779 starb, wurde er am Fuße des Shakespeare-Denkmals in der Westminster Abbey beigesetzt.