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20. Juli 1944
Suche nach neuen Erkenntnissen zum Attentat auf Hitler

Man könnte meinen, kein Ereignis ist so gut erforscht wie das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Doch immer noch kommen neue Erkenntnisse zu Tage, wie jetzt etwa in Frankfurt am Main.

Von Ludger Fittkau | 14.08.2016
    Archivaufnahme vom Raum der Karten-Baracke im Führerhauptquartier nach dem Anschlag vom 20. Juli 1944
    Archivaufnahme vom Raum der Karten-Baracke im Führerhauptquartier nach dem Anschlag vom 20. Juli 1944 (picture alliance / dpa / Heinrich Hoffmann)
    Die Geschichte des Frankfurter Kriminalbeamten Christian Fries ist die Geschichte einer doppelten Tragödie. Denn zum einen gehörte Christian Fries am Main zu den führenden Verschwörern des 20. Juli 1944 – der Tragödie des gescheiterten Aufstands gegen Hitler. Fries hatte allein in Frankfurter Polizeikreisen rund 40 Mitverschwörer gegen die Nazis gewonnen, die die Gestapo entmachten sollten. Das fehlgeschlagene Attentat Stauffenbergs stoppte auch die Frankfurter Untergrundgruppe.
    Der zweite Teil der Tragödie des Christian Fries spielt nach Kriegsende. Denn er wird von Kommunisten, die den politischen Zwist mit der SPD aus der Weimarer Zeit wieder aufleben lassen, bei den Alliierten als NS-Kollaborateur angezeigt. Im Zuge der Entnazifizierung wird deshalb gegen den Widerstandskämpfer ein Spruchkammerverfahren eingeleitet, so der Frankfurter Stadthistoriker Thomas Bauer:
    "Er ist nach '45 vonseiten der KPD angegriffen worden, wahrscheinlich wurde da schmutzige Wäsche gewaschen. Denn aus seiner Zeit als Kripobeamter bei der politischen Polizei von '33 hat er natürlich gegen alle Extreme, die gegen die Weimarer Republik agiert haben, ermittelt. Nicht nur gegen rechts, sondern natürlich auch gegen links. Also gegen Kommunisten. Und die Rechnung wurde dann eben nach '45 aufgemacht."
    Fries wird von links attackiert
    Dabei zeigen die Forschungen: Fries war ein enger Vertrauter des führenden sozialdemokratischen Widerstandsaktivisten Wilhelm Leuschner, der nach einem erfolgreichen Attentat am 20. Juli 1944 wohl Vizekanzler geworden wäre. Leuschner wird am 29. September 1944 in Plötzensee von den Nazis hingerichtet. Sein Mitverschwörer Christian Fries überlebt zwar, wird aber nun von links attackiert:
    "Er ist in die Mühlen der Entnazifizierung geraten. Wurde auch interniert, saß 15 Monate in einem Internierungslager. Muss man sich mal vorstellen! Also, der Polizeibeamte, der da im Untergrund aktiv war, sitzt da nach '45 plötzlich unter den Nazis, die da im Internierungslager eingeliefert worden sind und muss sich rechtfertigen."
    Christian Fries wird später vollständig rehabilitiert und bekommt seinen Job bei der Kripo in Frankfurt am Main zurück. Doch in der Frankfurter Lokalgeschichtsforschung war bisher über sein Schicksal beinahe genau so wenig bekannt wie über jenes des Wehrmachtsstadtkommandanten Leopold Ernst Bieger und dessen Rolle am 20. Juli 1944. Stadthistoriker Thomas Bauer hat jetzt begonnen, Material über Bieger zusammenzutragen:
    "Der offensichtlich auch Befehle gegeben hat, also Einheiten in Bewegung gesetzt hat, die den Hauptbahnhof und den Rundfunk besetzen sollten. Der Befehl war raus und dann kam die Nachricht aus Berlin, dass das Attentat gescheitert ist. Und er hat es dann wieder zurückgenommen, den Befehl. Er wurde auch seines Amtes enthoben, wurde nach Berlin zitiert. Es wurde gegen ihn ermittelt."
    Spuren von Bieger verlieren sich
    Doch Bieger entgeht der Hinrichtung oder einer anderen schweren Strafe - seine weiteren Spuren liegen noch im Dunkeln. Mehr weiß man in Frankfurt bereits über Willy Knothe, ein weiterer führender Verschwörer des 20. Juli in Hessen. Er war im Zuge der sogenannten "Aktion Gitter" der Nazis einen Monat nach dem gescheiterten Aufstand verhaftet worden:
    "Diese Aktion Gitter war von langer Hand vorbereitet und das Attentat war eigentlich – wenn man so will - ein willkommener Anlass, um loszuschlagen. Es gab also vorbereitete Listen mit Mitgliedern bürgerlicher Parteien vor 1933, die noch auf freiem Fuß waren."
    120 Sozialdemokaten, Liberale und Zentrumspolitiker wurden Ende August 1944 im Zuge der "Aktion Gitter" allein in Frankfurt am Main verhaftet, im gesamten Land waren es 6.000. Vier Verhaftete aus der Main-Metropole kamen anschließend in Konzentrationslagern zu Tode, darunter die Frauenrechtlerin Johanna Tesch. Der Frankfurter Gestapochef Reinhard Breder, der sie damals verhaften ließ, lebte noch bis 2002 als freier Bürger in der Stadt, schildert der Historiker Thomas Bauer:
    "Der hat dann eigentlich ein ganz normales Leben weitergeführt, ist erst 2002 gestorben. Hat dann in den 50er-Jahren ein Büro für Wirtschafts- und Finanzfragen in der Goethestraße geleitet. Und ist hier frei durch die Stadt spaziert."
    Weil viele Details über die Frankfurter Beteiligten an der Verschwörung gegen Hitler am 20. Juli 1944 bis heute noch nicht systematisch zusammengetragen worden sind, werden sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Stadtarchivs in den nächsten Jahren noch einmal intensiv dem Thema widmen. Einfach wird es nicht in jedem Fall, das wurde schon bei den Archivrecherchen der letzten Monate klar, berichtet der Historiker Thomas Bauer. So ist etwa die Materiallage zu Leopold Ernst Bieger noch dünn, der in Frankfurt am Main den Befehl zum Aufstand gegeben hatte:
    "Wir haben versucht, mehr herauszufinden, haben beim Bundesarchiv nachgefragt. Und ausgerechnet seine Personalakte ist nicht da."
    2019 steht 75. Mal der Jahrestag des gescheiterten Aufstands an. Spätestens dann sollen die neuen Forschungsergebnisse präsentiert werden. Wenn möglich auch zu Leopold Ernst Bieger. Er hätte es verdient.