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30 Jahre Bühnenerfahrung und ein echtes Muckerleben

Der britische Sänger Richard Hawley aus Sheffield blickt auf eine bewegte Karriere zurück. So spielte er in der Brit-Pop-Band Longpigs, war Gitarrist bei Pulp, seit zwölf Jahren ist er auf Solopfaden unterwegs. Mit "Standing At The Sky's Edge" legt Hawley nun ein neues Album vor.

Von Florian Fricke | 08.06.2012
    "Ich wollte einfach diesen dramatischen Sound, den ein Orchester produziert, mit einer Gitarre erreichen. Die Gitarre war meine erste Liebe, mein Vater und mein Onkel haben sie mir beigebracht. Seit fast 40 Jahren konnte ich mein Spiel entwickeln. Und so schien es einfach an der Zeit Songs zu schreiben, auf die eine raumgreifende Gitarre besser passt als ein Orchester."

    "Standing At The Sky's Edge" ist also nach der pompös orchestrierten Sheffield-Trilogie Richard Hawleys Gitarren-Album geworden. Und schon der Opener "She Brings The Sunlight" macht mehr als deutlich, wohin die Reise geht. Mit aufgerissenen Verstärkern und mächtig viel Hall öffnet sich ein riesiger Raum, schon fast eine Kathedrale des Rock, mit Hawley als spirituellen Zeremonienmeister. Auch produktionstechnisch zieht er bis hin zum Einsatz von großen Chören alle Register, um den Hörer in eine schier andächtige Stimmung zu versetzen. "She Brings The Sunlight" ist übrigens eine Hymne an seine Frau, für den Romantiker Hawley aber noch viel mehr.

    "Es ist einfach ein Song für Liebende. Ich habe die Hoffnung, dass die Zukunft unserer Welt viel sicherer wäre, wenn sie von Liebenden bestimmt werden würde, und nicht von Politikern. Es gibt natürlich auch eine sexuelle Komponente in dem Song – darum ist er so heavy."

    Richard Hawley ist wie seine Musikerkollegen Tony Christie, Pulp-Chef Jarvis Cocker oder den Arctic Monkeys ein Kind Sheffields, er hat nie in einer anderen Stadt gewohnt. In seiner Familie spiegelt sich die Geschichte der Stadt wieder. Vater, Großvater und die meisten seiner Onkel waren Stahlarbeiter, aber auch Musiker. All ihre Frauen waren Krankenschwestern, auch Hawley heiratete eine. Bereits im zarten Alter von 14 Jahren war Hawley in den Sommerferien mit der Rock 'n' Roll-Band seines Onkels auf Tournee in Deutschland.

    "Er hatte meiner Mutter gesagt, dass wir in angemessenen Klubs spielen würden. Aber das war eine Lüge, denn wir endeten auf der Reeperbahn. Dort habe ich definitiv so einiges gelernt. Ich bin also den Fußstapfen meines Vaters und meines Onkels gefolgt, denn sie hatten dort schon in den 60ern gespielt mit Joe Cocker und Dave Berry and the Cruisers."

    Hawley blickt auf eine Karriere zurück, die ihresgleichen sucht. Von den Rock 'n' Roll-Anfängen über die mäßig erfolgreiche Brit-Pop-Band Longpigs, als Tourgitarrist bei Pulp bis zur späten, aber steilen Solokarriere, die nun schon zwölf Jahre und sieben Alben andauert. In wie vielen Shows er sich dabei die Seele aus dem Leib gespielt hat, das weiß er selber nicht.

    "Oh Gott. Wenn ich das wüsste, hätte ich wahrscheinlich sofort eine Herzattacke oder etwas anderes Schlimmes. Es müssen Tausende sein, buchstäblich Tausende."

    All das sollte man wissen, um die wahre Größe von "Standing At The Sky's Edge" einschätzen zu können. Hier spielen über 30 Jahre Bühnenerfahrung, ein echtes Muckerleben mit all seinen Ups and Downs, Drogenabstürzen inbegriffen. Heute lebt Hawley für seine Verhältnisse gesund, das heißt, er raucht Kette und wühlt sich immer wieder durch die Pubs Sheffields. All das hört man den neun Liedern an, die von der bewährten Crooner-Ballade bis zum psychedelischen Heavy Rock Stomper reichen. Richard Hawley, dieser bescheidene Elder Statesman des Rock, scheint einfach keine schlechten Alben machen zu können, ganz im Gegenteil.

    "Mein momentaner Favorit ist 'Don't stare at the Sun', weil der Song irgendwann förmlich explodiert. Das macht einfach großen Spaß, ihn zu spielen und zu singen."