Die Geschichte beginnt in einem Rolls-Royce Silver Ghost, der Mann am Steuer lässt sich tagträumend von seinem Luxusmobil durch die Straßen tragen, bis er die Kontrolle über den Wagen verliert und eine Radfahrerin erwischt. Sein Blick fällt auf den drehenden Reifen und die hochgerollte Bluse des Mädchens, das am Boden liegt. Melody Nelson hat rote Haare, flüstert Serge Gainsbourg dem Pulikum zu, rot ist ihre natürliche Farbe. Serge Gainsbourg hat gerade sein Lolita-Erlebnis beschrieben:
"Lolita ist ein sehr ehrliches Buch, eins der wunderschönen Bücher des 20. Jahrhunderts. Ich habe Nabokov sogar gefragt, ob ich sein Epos musikalisch umsetzen dürfte."
Zur 1:1-Vertonung Nabokovs kam es dann nicht. Das 1971 entstandene Album "Histoire De Melody Nelson" nimmt trotzdem eine Ausnahmestellung im wüsten Oeuvre des französischen Chanson-Papstes ein, es berichtet von einer tragischen Romanze, einer verbotenen Verführung. Das, was sich im Anschluss an den Unfall in einem Hotelzimmer zwischen dem Mann und dem jungen Mädchen abspielt, wird über sieben Songs in literarischen Assoziationen und sexuellen Andeutungen erzählt – à la langue de Gainsbourg.
Für das "dumme kleine Ding", das Gainsbourg in der "Ballade De Melody Nelson" besingt, durfte seine Freundin Jane Birkin Pate stehen. Jane Birkin gab das Teenage-Girl auf dem Skandalcover, sie verlieh Gainsbourgs lüsternen Fantasien erst ein Bild: mit nichts als einer Jeans bekleidet, sich an eine Stoffpuppe vor den Brüsten klammernd. An der Seite von Jane Birkin hatte der Sänger zwei Jahre zuvor im notorischen Stöhn-Song "Je T'Aime ... Moi Non Plus" den G-Punkt des Pop fokussiert, so gefühlsecht hatte Erotik in der U-Musik noch nicht geklungen. Mit "Melody Nelson" nun kramte Gainsbourg die dunkle Seite seiner sexuellen Bilderwelten hervor. Jane Birkin war über ihre Rolle in dem Projekt zuerst nicht so begeistert:
"'Liebes dummes kleines Ding', das hat mich geärgert. Im selben Augenblick sagte ich mir, okay, das war genau das, was Serge von mir dachte, bevor er mich besser kannte. Später war er beeindruckt von meinem Intellekt. Am Anfang war ich vielleicht wirklich ein dummes kleines Ding."
Wie sehr die Geschichte von "Melody Nelson" mit Gainsbourgs Blick auf Birkin verknüpft war, ist in der 40-minütigen Doku von Sébastien Merlet auf der DVD zu sehen. Gainsbourg entwickelte Ideen für die Songs immer wieder aus privaten Erinnerungen, aus Filmen und anderen Fundstücken. Für "En Melody" ließ er das Lachen Jane Birkins, das er auf einer alten Audiokassette entdeckt hatte, so manipulieren, dass es sich wie ein erotisches Kieksen anhörte.
Birkin: "Ich musste lachen und das hörte sich schrecklich an. Wie eine Schildkröte, grausam. Serge hatte Spaß daran, mein Kichern in den Song einzubauen."
Gainsbourg war Anfang der 70er ein Star, das Album "Melody Nelson" entpuppte sich 1971 aber nicht als Verkaufsknüller. Im anglo-amerikanischen Raum wollte schon gar niemand von dem rätselhaften französischen Erotomanen Notiz nehmen. Das änderte sich erst, als Künstler wie Beck und Bands wie Pulp und Stereolab "Melody Nelson" in den 1990ern als Blaupause für ihre Musik neu entdeckten. Heute steht Gainsbourgs Konzeptalbum als Solitär da: Wo die Vertreter des Progressive Rock ihre Tracks gerne mit Klangexperimenten überfrachteten, gelangen Gainsbourg und seinem Arrangeur Jean-Claude Vannier minimale Sound-Lösungen von zeitloser Schönheit. Vanniers poetische Streichermelodien verleihen Gainsbourgs Introspektionen die passende Raumtiefe, die E-Gitarre darf kurz und fies ins Knochenmark der Musik bohren, die mäandernden Bassläufe weit vorn im Mix bilden die Folie, auf der der Autor seine Wortkaskaden aufziehen kann, bis in die hinteren Winkel seiner Obsessionen.
Jean-Claude Vannier: "Wir haben dieses Album gemacht, ohne zu wissen, was daraus wird. Eigentlich haben wir nur die Musik gespielt, die wir mochten. Wir wollten Romantik und Dramatik. Dramatik im Sinne von Übertreibung und Theatralik, in dem wir einander entgegengesetzte Soundeffekte nutzten, piano, forte und lange Erzählpassagen."
In dem mit 28 Minuten Spielzeit aufreizend knapp bemessenen Album erzählt Gainsbourg seinen erotischen Traum bis zum kryptischen, tödlichen Finale: Melody Nelson wird Opfer eines Flugzeugabsturzes, der auf den Zauber der Anhänger eines Cargo-Kultes zurückzuführen ist. Inmitten der feierlichen Chöre, die Jean-Claude Vannier ihm gebaut hat, hören wir den Sänger über die Sterblichkeit sinnieren.
Vannier: "Ich glaube, dass die Geschichte von Melody Nelson mit Serges Befinden zu tun hatte. Er fühlte sich alt damals, mit 40. Heute ist das schwer vorstellbar, mit 40 kann ein Mann ein Womanizer sein, ich meine, ein richtiger Verführer. Aber Serge fühlte sich alt."
"Lolita ist ein sehr ehrliches Buch, eins der wunderschönen Bücher des 20. Jahrhunderts. Ich habe Nabokov sogar gefragt, ob ich sein Epos musikalisch umsetzen dürfte."
Zur 1:1-Vertonung Nabokovs kam es dann nicht. Das 1971 entstandene Album "Histoire De Melody Nelson" nimmt trotzdem eine Ausnahmestellung im wüsten Oeuvre des französischen Chanson-Papstes ein, es berichtet von einer tragischen Romanze, einer verbotenen Verführung. Das, was sich im Anschluss an den Unfall in einem Hotelzimmer zwischen dem Mann und dem jungen Mädchen abspielt, wird über sieben Songs in literarischen Assoziationen und sexuellen Andeutungen erzählt – à la langue de Gainsbourg.
Für das "dumme kleine Ding", das Gainsbourg in der "Ballade De Melody Nelson" besingt, durfte seine Freundin Jane Birkin Pate stehen. Jane Birkin gab das Teenage-Girl auf dem Skandalcover, sie verlieh Gainsbourgs lüsternen Fantasien erst ein Bild: mit nichts als einer Jeans bekleidet, sich an eine Stoffpuppe vor den Brüsten klammernd. An der Seite von Jane Birkin hatte der Sänger zwei Jahre zuvor im notorischen Stöhn-Song "Je T'Aime ... Moi Non Plus" den G-Punkt des Pop fokussiert, so gefühlsecht hatte Erotik in der U-Musik noch nicht geklungen. Mit "Melody Nelson" nun kramte Gainsbourg die dunkle Seite seiner sexuellen Bilderwelten hervor. Jane Birkin war über ihre Rolle in dem Projekt zuerst nicht so begeistert:
"'Liebes dummes kleines Ding', das hat mich geärgert. Im selben Augenblick sagte ich mir, okay, das war genau das, was Serge von mir dachte, bevor er mich besser kannte. Später war er beeindruckt von meinem Intellekt. Am Anfang war ich vielleicht wirklich ein dummes kleines Ding."
Wie sehr die Geschichte von "Melody Nelson" mit Gainsbourgs Blick auf Birkin verknüpft war, ist in der 40-minütigen Doku von Sébastien Merlet auf der DVD zu sehen. Gainsbourg entwickelte Ideen für die Songs immer wieder aus privaten Erinnerungen, aus Filmen und anderen Fundstücken. Für "En Melody" ließ er das Lachen Jane Birkins, das er auf einer alten Audiokassette entdeckt hatte, so manipulieren, dass es sich wie ein erotisches Kieksen anhörte.
Birkin: "Ich musste lachen und das hörte sich schrecklich an. Wie eine Schildkröte, grausam. Serge hatte Spaß daran, mein Kichern in den Song einzubauen."
Gainsbourg war Anfang der 70er ein Star, das Album "Melody Nelson" entpuppte sich 1971 aber nicht als Verkaufsknüller. Im anglo-amerikanischen Raum wollte schon gar niemand von dem rätselhaften französischen Erotomanen Notiz nehmen. Das änderte sich erst, als Künstler wie Beck und Bands wie Pulp und Stereolab "Melody Nelson" in den 1990ern als Blaupause für ihre Musik neu entdeckten. Heute steht Gainsbourgs Konzeptalbum als Solitär da: Wo die Vertreter des Progressive Rock ihre Tracks gerne mit Klangexperimenten überfrachteten, gelangen Gainsbourg und seinem Arrangeur Jean-Claude Vannier minimale Sound-Lösungen von zeitloser Schönheit. Vanniers poetische Streichermelodien verleihen Gainsbourgs Introspektionen die passende Raumtiefe, die E-Gitarre darf kurz und fies ins Knochenmark der Musik bohren, die mäandernden Bassläufe weit vorn im Mix bilden die Folie, auf der der Autor seine Wortkaskaden aufziehen kann, bis in die hinteren Winkel seiner Obsessionen.
Jean-Claude Vannier: "Wir haben dieses Album gemacht, ohne zu wissen, was daraus wird. Eigentlich haben wir nur die Musik gespielt, die wir mochten. Wir wollten Romantik und Dramatik. Dramatik im Sinne von Übertreibung und Theatralik, in dem wir einander entgegengesetzte Soundeffekte nutzten, piano, forte und lange Erzählpassagen."
In dem mit 28 Minuten Spielzeit aufreizend knapp bemessenen Album erzählt Gainsbourg seinen erotischen Traum bis zum kryptischen, tödlichen Finale: Melody Nelson wird Opfer eines Flugzeugabsturzes, der auf den Zauber der Anhänger eines Cargo-Kultes zurückzuführen ist. Inmitten der feierlichen Chöre, die Jean-Claude Vannier ihm gebaut hat, hören wir den Sänger über die Sterblichkeit sinnieren.
Vannier: "Ich glaube, dass die Geschichte von Melody Nelson mit Serges Befinden zu tun hatte. Er fühlte sich alt damals, mit 40. Heute ist das schwer vorstellbar, mit 40 kann ein Mann ein Womanizer sein, ich meine, ein richtiger Verführer. Aber Serge fühlte sich alt."