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40. Jahrestag einer Eskalation

Als im Juni 1967 der Schah von Persien zum Staatsbesuch in die Bundesrepublik kam, war die Wut über den Empfang dieses Diktators unter politisch bewussten Studenten groß. Die schon im Vorfeld gegen die Protestierer erzeugte Stimmung setzte auch bei Polizei die Hemmschwellen herab. Der Student Benno Ohnesorg war bekanntlich das erste Opfer. Der Berliner Verleger Uwe Soukup hat nun ein Buch veröffentlicht, in dem er untersucht, wie Ohnesorg tatsächlich zu Tode kam.

Von Horst Meier |
    Ist dieser Tag trotz des Abstands von nunmehr 40 Jahren immer noch zu sehr Teil unserer Gegenwart, um ihn sich endlich genauer ansehen zu können? Oder liegt, ganz im Gegenteil, das Geschehen schon so weit zurück, dass es niemanden mehr interessiert? Geht da vielleicht ein Vorgang unter der Hand in die Geschichtsschreibung ein, ohne dass er jemals genau genug untersucht worden ist?

    Uwe Soukup, geboren 1956 in Westberlin, legt, gerade rechtzeitig zum vierzigsten Jahrestag, ein Buch über den 2. Juni 1967 vor. Er erzählt die Geschichte eines Tages, der zwar zu den prägenden der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gehört, der aber im zeitgenössischen Bewusstsein allenfalls eine Metapher für die Gewalt der Polizei ist, Chiffre für die Ohnmacht einer Protestbewegung aus ferner Zeit. Was am 2. Juni 1967 geschah, rekonstruiert er vor allem aus Aussagen von Zeugen, die der Parlamentarische Untersuchungsausschuss und das studentische Ermittlungskomitee damals protokollierten.

    Knüppelschwingende und tretende Polizisten, das hatte man schon vorher und anderswo gesehen. Aber das, was sich die Westberliner Polizei an diesem Tag leistete - indem sie mittags vor dem Rathaus Schöneberg tatenlos zusah, wie so genannte "Jubelperser", das heißt Angehörige des persischen Geheimdienstes, Demonstranten mit Latten und Totschlägern traktierten, indem sie abends vor der Deutschen Oper eine Menschenjagd veranstaltete - diese Exzesse schockierten nicht nur jene, die gegen den Schah von Persien und sein Folterregime auf die Straße gegangen waren.

    Die vor einer Woche am Opernhaus eingesetzte Polizei hat nicht nur im Affekt, sondern ohne gravierende Notwendigkeit, mit Planung einer Brutalität den Lauf gelassen, wie er bisher nur aus Zeitungsberichten über faschistische oder halbfaschistische Länder bekannt wurde.

    Berichtete Karl Heinz Bohrer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Juni 1967:

    Dieselbe Polizei, die am Nachmittag einer vierzig Mann starken persischen Knüppelgarde zusah, ...sah am gleichen Abend offensichtlich die Stunde gekommen, ihr Mütchen an jenen zu kühlen, die nicht aufhören wollten, den hohen Staatsgästen ihre unroyalistischen Ansichten zu zeigen. Die Fotos, die hierüber vorliegen, sind fatal. (...) Da war kein Parlamentarier, der Protest erhob. Da war nur eine Verschwörung des Schweigens.

    Das Kernkapitel des Buches ist dem Geschehen im Hinterhof der Krummen Straße Nr. 66/67 gewidmet, wo flüchtende Demonstranten und nachsetzende Polizisten aufeinander trafen - und der Student Benno Ohnesorg auf den Kriminalbeamten Karl-Heinz Kurras. Der Autor wertet eine Fülle von Zeugenaussagen und zahlreiche Fotos aus, ihm gelingt hier eine spannende dichte Beschreibung. Doch die Titelfrage "Wie starb Benno Ohnesorg?" kann er nicht wirklich beantworten. Soviel immerhin scheint klar: Es gab weder den von Kurras behaupteten Angriff Unbekannter mit Messern noch überhaupt eine Notwehrsituation. Vieles spricht dafür, dass Benno Ohnesorg, gerade als er dem Hinterhof zu entkommen suchte und von uniformierten Polizisten traktiert wurde, von einer Kugel des Zivilbeamten in den Hinterkopf getroffen wurde. Für einen gezielten Schuss gibt es keine Belege. Doch die Strafjustiz, vor der sich der Beamte verantworten musste, wollte nicht einmal auf Fahrlässigkeit erkennen und sprach Kurras frei. Im Kernkapitel finden sich erfreulicherweise auch Details zum Lebenslauf von Benno Ohnesorg, der 1940 in Hannover geboren wurde und nach einer Lehre als Schaufensterdekorateur auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachholte. Was da auf sieben Seiten zusammengetragen wird, gibt dem jungen Mann, den ein berühmtes Foto bewusstlos auf dem Boden liegend zeigt, Gestalt und Gesicht. Im folgenden Kapitel unter dem Titel: "Nach dem Schuss. Eine Stadt im Ausnahmezustand" geht es um die Vertuschungsversuche der Behörden; die fatale Erklärung des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz, der noch in der Nacht der Polizei bescheinigte, sie habe sich "bis an die Grenzen der Zumutbarkeit zurückgehalten"; es geht um das generelle Versammlungsverbot, das die Studenten mit Spaziergangsdemonstrationen auf dem Kudamm diskutierend unterliefen. Schließlich folgt der Bericht über den Autokonvoi durch die DDR, mit dem man Benno Ohnesorg das letzte Geleit nach Hannover gab. Hier, auf Seite 179, bricht der Spannungsbogen, verliert sich das Thema. Denn es folgen langatmige Ausführungen über die Machtkämpfe innerhalb der Westberliner SPD - rechte Intrigen gegen den wackeren Heinrich Albertz, der seine voreilige Schuldzuweisung ehrlich bedauerte und im September zurücktrat. Man ist durchaus geneigt, die Sympathien des Autors für Albertz zu teilen, doch erleichtert, wenn endlich, nach vierzig Seiten, wieder vom 2. Juni die Rede ist. Leider ist das Buch dann schon fast zu Ende. Im letzten Kapitel spekuliert der Autor über die Ursachen:

    Gibt es andere mögliche Erklärungen für das Geschehen? Bei aller Vorsicht: Ja. Jemand in der Führung der Berliner Polizei, nicht (der Polizeipräsident, nicht sein Stellvertreter), schon gar nicht der Innensenator, dürfte ein Drehbuch für diesen Tag geschrieben haben; anders ist diese Kette des polizeilichen "Unvermögens" nicht erklärbar, auch nicht als eine Kette von bloßen Zufällen.

    Doch welche unsichtbare Hand in der Führung der Berliner Polizei soll dieses Drehbuch geschrieben und obendrein "Szene für Szene umgesetzt" haben, wie es bei Soukup heißt? Die autoritären Neigungen und fieberhaften Karrierepläne eines Senatsrats der Innenbehörde, des "heimlichen Präsidenten der Berliner Polizei", werden des öfteren angedeutet - freilich ohne diesen Hardliner ausdrücklich als Drahtzieher des 2. Juni dingfest zu machen. Das Naheliegende, eine folgenschwere Fahrlässigkeit des Polizisten Kurras, dem, wer weiß, die Waffe im Getümmel losging: das scheint Soukup allzu banal, um es als Erklärung wenigstens in Betracht zu ziehen. Am Schluss heißt es zu den Folgen dieses Tages: "Ohne den 2. Juni keine RAF". Das ist eine steile These. Man mag sie diskutieren, nur liefert der Autor keinen Stoff dafür. Den tödlichen Schuss bezeichnet er mehrfach als "Startschuss". Das klingt reichlich makaber, vor allem aber trifft es die Sache nicht. Zu viele Faktoren haben bei der Radikalisierung von Teilen der Protestbewegung eine Rolle gespielt, um die spektakuläre Entscheidung für den bewaffneten Kampf auf ein singuläres Ereignis zurückführen zu können. So legt man das Buch mit gemischten Gefühlen aus der Hand. Die Geschichte, die Soukup spannend erzählt, wird überlagert von den Abschweifungen des letzten Drittels. Zudem finden sich bis auf wenige Ausnahmen keinerlei Quellenangaben. Nun ist man ja froh, von Fußnotenhuberei verschont zu bleiben; doch ein kurzer bibliographischer Anhang, in dem die wichtigsten Quellen aufgeführt werden, darf in einem solchen Buch nicht fehlen.

    Die zahlreichen Fotos, die Soukup in seinen Text montiert hat, kann man dagegen gar nicht hoch genug loben. Großformatig und in schwarz-weiß künden sie vom Milieu der damaligen "Frontstadt" Westberlin: Prügelnde Polizisten in leichter Uniformjacke und weißer Schirmmütze, die Pistole am Gürtel; Studenten in Schlips und Kragen und Röhrenhose; die verwackelten Aufnahmen vom Tumult auf dem Hinterhof, wo der tödliche Schuss fiel. Ein Schuss, der zwar nicht, wie der Autor glaubt, "alles veränderte". Der aber doch für die westdeutsche Gesellschaft dieser Jahre exemplarisch ist: für das Zusammentreffen von autoritärer Polizei, schäumender Springerpresse und schockierter Protestbewegung. Benno Ohnesorg studierte in Berlin, weil er Kunsterzieher werden wollte. "Autonomie für die Teheraner Universität" hatte er auf einen Kopfkissenbezug gemalt. Dann kreuzte sein Lebensweg den eines Kriminalbeamten. Dieses Jahr wäre er 67 geworden.

    Ist dieser Tag trotz des Abstands von nunmehr 40 Jahren immer noch zu sehr Teil unserer Gegenwart, um ihn sich endlich genauer ansehen zu können? Oder liegt, ganz im Gegenteil, das Geschehen schon so weit zurück, dass es niemanden mehr interessiert? Geht da vielleicht ein Vorgang unter der Hand in die Geschichtsschreibung ein, ohne dass er jemals genau genug untersucht worden ist?

    Uwe Soukup, geboren 1956 in Westberlin, legt, gerade rechtzeitig zum vierzigsten Jahrestag, ein Buch über den 2. Juni 1967 vor. Er erzählt die Geschichte eines Tages, der zwar zu den prägenden der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gehört, der aber im zeitgenössischen Bewusstsein allenfalls eine Metapher für die Gewalt der Polizei ist, Chiffre für die Ohnmacht einer Protestbewegung aus ferner Zeit. Was am 2. Juni 1967 geschah, rekonstruiert er vor allem aus Aussagen von Zeugen, die der Parlamentarische Untersuchungsausschuss und das studentische Ermittlungskomitee damals protokollierten.

    Knüppelschwingende und tretende Polizisten, das hatte man schon vorher und anderswo gesehen. Aber das, was sich die Westberliner Polizei an diesem Tag leistete - indem sie mittags vor dem Rathaus Schöneberg tatenlos zusah, wie so genannte "Jubelperser", das heißt Angehörige des persischen Geheimdienstes, Demonstranten mit Latten und Totschlägern traktierten, indem sie abends vor der Deutschen Oper eine Menschenjagd veranstaltete - diese Exzesse schockierten nicht nur jene, die gegen den Schah von Persien und sein Folterregime auf die Straße gegangen waren.

    Die vor einer Woche am Opernhaus eingesetzte Polizei hat nicht nur im Affekt, sondern ohne gravierende Notwendigkeit, mit Planung einer Brutalität den Lauf gelassen, wie er bisher nur aus Zeitungsberichten über faschistische oder halbfaschistische Länder bekannt wurde.

    Berichtete Karl Heinz Bohrer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Juni 1967:

    Dieselbe Polizei, die am Nachmittag einer vierzig Mann starken persischen Knüppelgarde zusah, ...sah am gleichen Abend offensichtlich die Stunde gekommen, ihr Mütchen an jenen zu kühlen, die nicht aufhören wollten, den hohen Staatsgästen ihre unroyalistischen Ansichten zu zeigen. Die Fotos, die hierüber vorliegen, sind fatal. (...) Da war kein Parlamentarier, der Protest erhob. Da war nur eine Verschwörung des Schweigens.

    Das Kernkapitel des Buches ist dem Geschehen im Hinterhof der Krummen Straße Nr. 66/67 gewidmet, wo flüchtende Demonstranten und nachsetzende Polizisten aufeinander trafen - und der Student Benno Ohnesorg auf den Kriminalbeamten Karl-Heinz Kurras. Der Autor wertet eine Fülle von Zeugenaussagen und zahlreiche Fotos aus, ihm gelingt hier eine spannende dichte Beschreibung. Doch die Titelfrage "Wie starb Benno Ohnesorg?" kann er nicht wirklich beantworten. Soviel immerhin scheint klar: Es gab weder den von Kurras behaupteten Angriff Unbekannter mit Messern noch überhaupt eine Notwehrsituation. Vieles spricht dafür, dass Benno Ohnesorg, gerade als er dem Hinterhof zu entkommen suchte und von uniformierten Polizisten traktiert wurde, von einer Kugel des Zivilbeamten in den Hinterkopf getroffen wurde. Für einen gezielten Schuss gibt es keine Belege. Doch die Strafjustiz, vor der sich der Beamte verantworten musste, wollte nicht einmal auf Fahrlässigkeit erkennen und sprach Kurras frei. Im Kernkapitel finden sich erfreulicherweise auch Details zum Lebenslauf von Benno Ohnesorg, der 1940 in Hannover geboren wurde und nach einer Lehre als Schaufensterdekorateur auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachholte. Was da auf sieben Seiten zusammengetragen wird, gibt dem jungen Mann, den ein berühmtes Foto bewusstlos auf dem Boden liegend zeigt, Gestalt und Gesicht. Im folgenden Kapitel unter dem Titel: "Nach dem Schuss. Eine Stadt im Ausnahmezustand" geht es um die Vertuschungsversuche der Behörden; die fatale Erklärung des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz, der noch in der Nacht der Polizei bescheinigte, sie habe sich "bis an die Grenzen der Zumutbarkeit zurückgehalten"; es geht um das generelle Versammlungsverbot, das die Studenten mit Spaziergangsdemonstrationen auf dem Kudamm diskutierend unterliefen. Schließlich folgt der Bericht über den Autokonvoi durch die DDR, mit dem man Benno Ohnesorg das letzte Geleit nach Hannover gab. Hier, auf Seite 179, bricht der Spannungsbogen, verliert sich das Thema. Denn es folgen langatmige Ausführungen über die Machtkämpfe innerhalb der Westberliner SPD - rechte Intrigen gegen den wackeren Heinrich Albertz, der seine voreilige Schuldzuweisung ehrlich bedauerte und im September zurücktrat. Man ist durchaus geneigt, die Sympathien des Autors für Albertz zu teilen, doch erleichtert, wenn endlich, nach vierzig Seiten, wieder vom 2. Juni die Rede ist. Leider ist das Buch dann schon fast zu Ende.
    Im letzten Kapitel spekuliert der Autor über die Ursachen:

    Gibt es andere mögliche Erklärungen für das Geschehen? Bei aller Vorsicht: Ja. Jemand in der Führung der Berliner Polizei, nicht (der Polizeipräsident, nicht sein Stellvertreter), schon gar nicht der Innensenator, dürfte ein Drehbuch für diesen Tag geschrieben haben; anders ist diese Kette des polizeilichen "Unvermögens" nicht erklärbar, auch nicht als eine Kette von bloßen Zufällen.

    Doch welche unsichtbare Hand in der Führung der Berliner Polizei soll dieses Drehbuch geschrieben und obendrein "Szene für Szene umgesetzt" haben, wie es bei Soukup heißt? Die autoritären Neigungen und fieberhaften Karrierepläne eines Senatsrats der Innenbehörde, des "heimlichen Präsidenten der Berliner Polizei", werden des öfteren angedeutet - freilich ohne diesen Hardliner ausdrücklich als Drahtzieher des 2. Juni dingfest zu machen. Das Naheliegende, eine folgenschwere Fahrlässigkeit des Polizisten Kurras, dem, wer weiß, die Waffe im Getümmel losging: das scheint Soukup allzu banal, um es als Erklärung wenigstens in Betracht zu ziehen. Am Schluss heißt es zu den Folgen dieses Tages: "Ohne den 2. Juni keine RAF". Das ist eine steile These. Man mag sie diskutieren, nur liefert der Autor keinen Stoff dafür. Den tödlichen Schuss bezeichnet er mehrfach als "Startschuss". Das klingt reichlich makaber, vor allem aber trifft es die Sache nicht. Zu viele Faktoren haben bei der Radikalisierung von Teilen der Protestbewegung eine Rolle gespielt, um die spektakuläre Entscheidung für den bewaffneten Kampf auf ein singuläres Ereignis zurückführen zu können. So legt man das Buch mit gemischten Gefühlen aus der Hand. Die Geschichte, die Soukup spannend erzählt, wird überlagert von den Abschweifungen des letzten Drittels. Zudem finden sich bis auf wenige Ausnahmen keinerlei Quellenangaben. Nun ist man ja froh, von Fußnotenhuberei verschont zu bleiben; doch ein kurzer bibliographischer Anhang, in dem die wichtigsten Quellen aufgeführt werden, darf in einem solchen Buch nicht fehlen.

    Die zahlreichen Fotos, die Soukup in seinen Text montiert hat, kann man dagegen gar nicht hoch genug loben. Großformatig und in schwarz-weiß künden sie vom Milieu der damaligen "Frontstadt" Westberlin: Prügelnde Polizisten in leichter Uniformjacke und weißer Schirmmütze, die Pistole am Gürtel; Studenten in Schlips und Kragen und Röhrenhose; die verwackelten Aufnahmen vom Tumult auf dem Hinterhof, wo der tödliche Schuss fiel. Ein Schuss, der zwar nicht, wie der Autor glaubt, "alles veränderte". Der aber doch für die westdeutsche Gesellschaft dieser Jahre exemplarisch ist: für das Zusammentreffen von autoritärer Polizei, schäumender Springerpresse und schockierter Protestbewegung. Benno Ohnesorg studierte in Berlin, weil er Kunsterzieher werden wollte. "Autonomie für die Teheraner Universität" hatte er auf einen Kopfkissenbezug gemalt. Dann kreuzte sein Lebensweg den eines Kriminalbeamten. Dieses Jahr wäre er 67 geworden.