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Gleich zu Beginn der Diskussion um den Sport und die Flüchtlinge hatte Moderator Moritz Küpper angekündigt, sämtliche Fragen offen anzusprechen und nichts zu tabuisieren - und dieses Versprechen wurde auch eingehalten. Auf die Frage, ob die Lage in Bochum problematisch sei, antwortete Ulrich Jeromin mit einem entschiedenen "Nein". Der Vertreter des Stadtsportbundes Bochum erklärte, dass er nur ein einziges Problem sehe, und das sei, dass es im Winter keine Hallen geben wird, die die Sportvereine werden nutzen können. "Ansonsten sehe ich eigentlich nur: Willkommen!" Die Vereine seien sehr rege dabei, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Das Thema Integration sei für Bochum und das Ruhrgebiet schließlich nichts Neues. "Ich sag nur Szepan und Kuzorra", sagte Jeromin in Anspielung auf die beiden Schalker Fußballer mit polnischen Wurzeln. Derzeit werden rund 400 der insgesamt 7.000 Turnhallen in NRW als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt.
Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, schätzte die Lage deutlich negativer ein. In Bremen gehe man davon aus, dass bis Ende des Jahres ein Drittel der Turnhallen von Flüchtlingen genutzt wird und in dem Fall nicht mehr für die Vereine zur Verfügung stehen würden. "Das ist schon ein Bereich, der weh tut", so Hörmann. In NRW seien bereits 200 Ligaspiele gestrichen worden, etwa 1.000 Vereine seien von den Belegungen der Sporthallen betroffen. In einem Teil der Vereine in den vergangenen Wochen bis zu 30 Prozent der Mitglieder ausgetreten sind. "Das muss uns schon nachdenklich stimmen", bilanzierte Hörmann. Es bestehe die Gefahr, dass die Akzeptanz bei den Mitgliedern und ehrenamtlich Engagierten durch die gegenwärtige Situation leidet. "Es kann eine Erosion nach sich ziehen, wenn wir keine neuen Wege gehen", so Hörmann.
Warum schafft es der Sport nicht, auf die Politik einzuwirken? Hörmann erklärte, dass man dies nicht nur im Tagesrhythmus, sondern im Stunden- und Minutenrhythmus tue. "Wir sind mit allen Ministern im Gespräch. Es gibt keinen Bundesminister, mit dem wir nicht über diese Dinge reden." Man müsse allerdings fairerweise sagen, dass die zu bewältigenden Massen dazu führen, dass man den bequemsten Weg geht, und das sei eben, eine Turnhalle umzufunktionieren - ohne daran zu denken, was das langfristig bedeuten würde.
Hörmann fordert mehr Unterstützung aus der Politik
Hörmann kritisierte, dass der Sport in dieser Situation von der Politik allein gelassen würde. In manchen Fällen seien die Sportler oder die Vereine gar nicht über die Belegung informiert worden - oder höchstens eine Stunde vorher. Auch das ehrenamtliche Engagement würde von der Politik nicht ausreichend gefördert, moniert der Verbandchef. Die 90.000 Vereine in Deutschland seien die allerbeste Basis, um das große Projekt Integration zu stemmen. Circa ein Fünftel der Vereine habe in den letzten fünf Monaten integrative Projekte umgesetzt - da wäre es schon wünschenswert, dass sich die Politik mit "weit, weit mehr" Unterstützung engagiere.
Ulrich Jeromin beteuerte dagegen, dass man in Bochum informiert werde, wenn eine Turnhalle als Notunterkunft für Flüchtlinge umfunktioniert würde. Vom Sportbund würde man dann die Information an die Vereine weitergeben. "Ob die damit glücklich sind, ist eine andere Angelegenheit", gestand Jeromin ein. Das Problem sei jetzt, dass "auf einmal so viele" Flüchtlinge kämen. "Die Mengen erdrücken auch, so dass manche Vereine auch Angst bekommen, sich hier zu überheben", räumte er ein. "In der Regel hat sich die Politik darüber Gedanken gemacht, welche Hallen geschlossen werden können und welche nicht." Das Problem sei, dass man nicht wisse, wie sich die Lage entwickeln würde. Wenn man gerne helfen möchte und es nicht kann, sei das bitter, so Jeromin.
Kippt die Stimmung? Hörmann sagt: "Ja!"
Auf die Frage, ob die Stimmung in den Vereinen gekippt sei, erklärte Hörmann entschieden: "Alles andere als ein klares Ja wäre gelogen." Es sei deutlich erkennbar, dass ein nicht kleiner Teil unserer Gesellschaft mehr und mehr Vorbehalte gegenüber der sehr offenen Willkommenskultur habe. In Hamburg würde die Politik in dieser schwierigen Situation ungewöhnliche Wege gehen, wenn auch umstritten, erklärte Hörmann. Man würde auf leer stehende Gewerbeobjekte zugreifen "auch gegen den Willen der Besitzer". Teilweise handele es sich bei den Besitzern um Fonds, die die Immobilien lediglich als Abschreibungsprojekte nutzen. Dort wo nachweislich keine längere gewerbliche Nutzung stattfindet, kämen jetzt Flüchtlinge unter. In Hamburg, erklärte Hörmann unter Vorbehalt, würde seines Wissens nach keine einzige Sporthalle als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt.
NRW-Sportministerin Kampmann: Turnhallen keine Dauerlösung
Christina Kampmann, die vor rund vier Wochen vereidigte NRW-Sportministerin, ist derzeit auch die Vorsitzende der Sportministerkonferenz, die auch kommende Woche in Köln tagen wird. Sie gestand ein, dass sich die Situation in den letzten Wochen zugespitzt habe. Aus ihrer Sicht werde der Sport allerdings nicht im Stich gelassen. Man brauche andere Unterbringungsmöglichkeiten, die Turnhallen seien keine Dauerlösung - und der Bund habe unlängst die Mittel für den sozialen Wohnungsbau erhöht. Lösungen werde man nicht von heute auf morgen realisieren können. Die Ministerin betonte, dass man den Etat für Sportprojekte in NRW soeben auf 250.000 Euro erhöht hätte.
Diese Erklärung kommentierte Hörmann bissig mit den Worten, dass man dann ja rund einen Euro pro Flüchtling habe. "Wo bekommen wir die Integration besser, nachhaltiger, preisgünstiger hin wie über unsere Sportvereine", sagte er unter Applaus. "Sie werden es an anderer Stelle nicht schaffen, das prognostiziere ich. Sie werden es die nächsten Monate eindrucksvoll und auf negativste Art deutschlandweit erleben", so Hörmann. "Das, was momentan an Voraussetzungen gegeben ist, reicht nicht, um die Aufgaben zu lösen."
Kampmann sagte, dass man diesen Standpunkt bei der Sportministerkonferenz in der nächsten Woche sicher berücksichtigen werde, es gebe aber auch noch andere Themen auf der Tagesordnung. Außerdem müsse man sich auch immer die Frage stellen, was man für Alternativen habe. Kampmann äußerte sich zufrieden, dass man sich soeben in der Koalition auf Bundesebene auf einen Kompromiss zwischen Transitzonen und Einreisezentren geeinigt habe. Schließlich gehe es langfristig darum, die Zahl der Flüchtlinge zu verkleinern. Trotzdem dürfe ihrer Ansicht nach das Grundrecht auf Asyl nicht zur Debatte stehen. Ist die Politik mit der derzeitigen Aufgabe überfordert? "Ich glaube nicht", erklärte Kampmann. Man müsse gewährleisten, dass man die Flüchtlinge so menschenwürdig wie möglich unterbringe. "Und das gelingt uns noch", so die Ministerin. Das habe man auch den Vereinen zu verdanken.
(lg/nch)