Archiv

50 Jahre "Studio Nord"
Schlager und Punk am Röhrenmischpult

Das "Studio Nord" in Bremen ist ein Tonstudio, derer Art es nur noch wenige in Deutschland gibt. Retrolook, analoge Technik – es wirkt wie aus der Zeit gefallen. Trotzdem zieht es seit 50 Jahren unterschiedlichste Künstler an.

Von Felicitas Boeselager |
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Gregor Hennig im Tonstudio Nord am "Fremdkörper" Computer (Felix Gebhard)
Das sind Klänge, die vor dem inneren Auge unmittelbar schunkelnde, bierselige Menschen auf einem Volksfest herauf beschwören: "Sierra Madre del Sur" von Ronny, der eigentlich Wolfgang Roloff heißt, ist eines der erfolgreichsten deutschen Schlagerlieder überhaupt. Entstanden ist es in einem Tonstudio in Bremen.
Mitten in der Bremer Villengegen Oberneuland liegt dieses Studio. Vor 50 Jahren hat Wolfgang Roloff den alten Gasthof gekauft und dort ein Studio eingerichtet, erzählt Produzent Gregor Hennig bei einem Rundgang durch das Studio:
"Damals in den 60ern mit allem was ging, also er war so richtig auf dem neuesten Stand der Technik. Er hat zu der Zeit mit Musik sehr viel Geld verdient und hat das alles in das Haus gesteckt, das heißt, es ist so richtig opulent und edel ausgestattet, und das meiste, was hier damals hingestellt und angeschafft wurde, steht hier noch."
Außer mit seinen eigenen Liedern hat Roloff damals auch viel Geld mit dem Kinderstar Heintje verdient.
Ein bisschen emotional
An diesem Tag sitzt Heintje an einem Biertisch unter hohen Kastanien im großen Garten des Studios. Mit seinen Weggefährten schwelgt er in Erinnerungen an die alten Zeiten. Viele sind gekommen, um den 50. Geburtstag des Studios zu feiern:
"Es war so bisschen wie nach Hause kommen, denn ich hab' ja hier meine ganzen Erfolge - also fast alle Erfolge - einsingen dürfen, und es ist schon ein bisschen emotional, wenn man da reingeht in so ein Studio, in dem man so lange gearbeitet hat, und vor allen Dingen auch mit den Leuten, mit denen ich damals arbeiten durfte."
Es ist viel Zeit vergangen, seit Heintje hier als 13-Jähriger die Schlager aufgenommen hat, die in Deutschland so erfolgreich waren. Wolfgang Roloff ist 2011 gestorben, und trotzdem sieht es hier fast genauso aus wie damals.
"Wir können ja mal in den Aufnahmeraum gehen", sagt Gregor Hennig und geht an den Geburtstagsgästen vorbei in einen Saal, der in Deutschland einzigartig sei. "Das hat ein bisschen was damit zu tun, dass es in den 60ern konzipiert wurde, als man noch Unterhaltungsorchester aufgenommen hat, und ein Unterhaltungsorchester ist in ziemlich wichtigen Punkten anders als eine Band. Man hat hier ein Live-Ensemble, wo Streicher und Bassgitarre und Bläser gleichzeitig passieren, und dazu braucht man einen Raum, der für alles gut klingt."
Blumentapete, Samt-Sofa, Röhrenmischpult
Durch einen schmalen Gang geht es in die Regie von Gregor Hennig. Er pachtet das Studio seit sechs Jahren gemeinsam mit zwei anderen Produzenten bei Roloffs Familie. Durch eine große Scheibe blickt man in den Aufnahmesaal. An der Wand der Regie klebt eine verschnörkelte Blumentapete, gegenüber von einem grauen Samt-Sofa steht ein altes, Röhrenmischpult aus den 50er-Jahren. Der PC wirkt in dieser Umgebung wie ein Fremdkörper. Kaum zu glauben, dass hier wirklich noch Musik produziert wird, denn auch das zweite Mischpult in Hennigs Regie funktioniert analog. Es sei älter als er selbst, sagt der 45-jährige:
"Das ist ein Mysterium, das hat mir bisher noch niemand so richtig erklären können, warum alte Mischpulte besser klingen als neue. Das hat was mit Überträgern und Spulen zu tun, alte Spulen klingen besser als neue Spulen. Warum das so ist, das weiß ich nicht -aber ich höre, dass es so ist."
Hennig trägt einen Anzug aus den 60ern, passt selbst wie gemalt in dieses Studio. Er schwört auf analoge Technik, auch wenn viele Musikkonsumenten das durch billige Kopfhörer oder PC-Lautsprecher nicht hören würden: "Ich finde es irgendwie schöner mit analog Equipment zu arbeiten, weil man es anfassen kann, und weil es klanglich doch irgendwie eine Ebene bringt, die ich digital nicht erreichen kann."
Aus der Zeit gefallen
Eine Treppe mit rotem Teppichboden führt in den ersten Stock. Hier können die Musiker wohnen, wenn sie unten ihre Musik aufnehmen. Auch die Küche mit ihren gelben Kacheln, der Retrolampe und dem Küchenschrank aus den 60ern wirkt wie aus der Zeit gefallen.
Zurück im Garten auf der Geburtstagsparty treffen zwischen Strandkorb, Hollywood-Schaukel und Hängematte musikalische Welten aufeinander. Hier sitzen die alten Schlager-Stars und dort jüngere Szenemusiker. Denn inzwischen wird in dem Studio Punk, Indie- und Popmusik produziert. Es sei ein besonderer Ort, erzählt Thomas Wenzel von der Band Die Sterne: "Wenn man hier ist und produziert, und dass man hier auch wohnen kann, dann ist man schon so ganz konzentriert bei der Sache, wie so ein Schriftsteller, der sich in eine Hütte zurückzieht."
Man merke dem Ort an, dass hier viel Musik gemacht wurde, findet auch der junge Musiker Joe Astray: "Das ist wie wenn Du in einem richtig schönen Club spielst, wo Du weißt, den gibt es schon seit Ewigkeiten, der so ein bisschen runter gerockt ist, das möchte ich jetzt über das Studio gar nicht sagen, das ist noch alles sehr gut erhalten, aber da schwingt dann immer noch sowas ehrwürdiges mit und das macht es eben auch aus, diese Hallen hier."