Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

50. Todestag Oskar Maria Graf
Ein Provinzschriftsteller in New York

Als "Provinzschriftsteller" hatte sich Oskar Maria Graf einst selbst bezeichnet. In seinen Werken beschäftigte er sich dann auch immer wieder mit den Menschen seiner bayerischen Heimat und eckte damit an. Dass die Nazis seine Bücher nicht verbrannten, empörte ihn. Heute vor 50 Jahren starb Oskar Maria Graf in New York.

Von Carola Zinner | 28.06.2017
    Der Schriftsteller Oskar Maria Graf und die Schauspielerin Helen Hayes posieren am 3. Juli 1958 nach ihrer Landung auf dem Flughafen München-Riem für die Fotografen. Graf betrat nach seiner Emigration 1933 nach 25 Jahren zum ersten Mal wieder deutschen Boden. Der Autor wurde am 22. Juli 1894 in Berg am Starnberger See geboren und starb am 28. Juni 1967 in New York. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Das bayerische Dekameron", "Bolwieser" und "Unruhe um einen Friedfertigen".
    Der Schriftsteller Oskar Maria Graf und die Schauspielerin Helen Hayes. (picture-alliance / dpa)
    [Gesang: Oskar Maria Graf singt das König-Ludwig-Lied] Lederhose, Haferlschuhe, Trachtenhut, und dann auch noch das König-Ludwig-Lied: bayrischer geht es nicht mehr. Dabei lebte Oskar Maria Graf zum Zeitpunkt dieser Aufnahme bereits seit über zwei Jahrzehnten in New York. Den Märchenkönig jedoch hatte er auch dort stets an seiner Seite: Das Porträt hing im Arbeitszimmer, direkt neben dem des großen Lenin.
    "Was seid ihr Sowjetmenschen nur für glückliche Leute."
    "Oskar Maria Graf. Provinzschriftsteller" hatte er sich einst auf die Visitenkarte drucken lassen. "Spezialität: Ländliche Sachen". Und wahrhaftig, das "Ländliche" kannte er. Nur allzu gut: Genau davor war der Bäckersohn ja als 17-Jähriger aus dem Heimatdorf am Starnberger See nach München geflohen. Vor den Prügeln, die er vom ältesten Bruder bezog, vor dem Gerede der Nachbarn, vor der eigenen Zerstörungswut. Später schrieb er von alledem in seinen autobiografisch gefärbten Werken: "Dorfbanditen"; "Einer gegen Alle" und: "Wir sind Gefangene", dem Buch, das 1927 den schriftstellerischen Durchbruch brachte. Die Titel sind Programm. Egal, ob Graf über seine arbeitsreiche Kindheit schreibt, darüber, wie er sich dem Kriegsdienst entzog, indem er eine Geisteskrankheit vortäuschte, oder über die Münchner Revolutionswirren, in denen er sich auf die Seite der linken Anarchisten schlug: Permanent lebte er im Konflikt mit seiner Umwelt. Dazu Ulrich Dittmann, ehemaliger Vorsitzender der Oskar-Maria-Graf-Gesellschaft:
    "Es ist sicher familiär bedingt, dass er so eine Revolution als Dauerzustand sich wünschte."
    "Ich habe den Leuten Dinge gesagt, die ihnen manchmal nicht lieb sind"
    Die wild-verzweifelte Fröhlichkeit der 20er-Jahre kommt Graf dabei entgegen. Der "lauteste Münchner Dichter" will er sein, und so lebt und schreibt er auch: wie in Trance, hemmungslos, schonungslos mit sich selbst - und mit den anderen, die er in seinen Romanen meist bei ihren wirklichen Namen nennt. Das kann man ihm auch 30 Jahre und einen Weltkrieg später nicht verzeihen, als er besuchsweise aus den USA in die alte Heimat zurückkehrt.
    "Dass ich in Bayern nicht sehr beliebt bin oder übergangen werde, das kann ich ja auch verstehen. Denn ich habe zu viel den Leuten an Dingen gesagt, die ihnen manchmal nicht lieb sind, und ich werde auch das immer tun; wenn mir was nicht passt, dann sag ich's eben, nicht?"
    Oskar Maria Graf war einer der wenigen, der etwas gesagt hatte, als kaum mehr jemand den Mut dazu aufbrachte. "Verbrennt mich!" forderte er 1933 in der Wiener "Arbeiter-Zeitung", als er hörte, seine Werke seien bei den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten verschont geblieben.
    "Diese Unehre habe ich nicht verdient. Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände der braunen Mordbande gelangen."
    "Also ein Text, der heute ja auch in den Deutschen Schulbüchern drinsteht, weil er das so kompakt und so konzis auf den Nenner bringt."
    Fast 30 Jahre in den USA gelebt
    Damals befand sich Graf gerade zusammen mit seiner jüdischen Frau Mirjam auf Vortragsreise in Wien. Die Stadt wurde zur ersten Station des Exils, das das Paar auf Umwegen bis in die USA führte.
    "Ich lebe in New York tatsächlich wie ein Eremit, kein Mensch kümmert sich – dann habe ich meinen wöchentlichen Stammtisch, dort komme ich zusammen mit Deutschen, mit Russen, mit Österreichern, die alle deutsch sprechen, und dann glauben sie, sie sitzen irgendwo in München."
    1946 erschien im Nachkriegsdeutschland Grafs wohl bedeutendstes Werk: "Das Leben meiner Mutter" - die Schilderung eines einfachen Frauenlebens in Altbayern.
    "Dieses Buch spricht von der stillen, unentwegten Arbeit, von der standhaften Geduld und der friedfertigen, gelassenen Liebe."
    Oskar Maria Graf hatte das Buch auf Deutsch verfasst. Englisch lernte er nie - obwohl er bis zu seinem Tod am 28. Juni 1967 fast 30 Jahre in den USA lebte. Seine Muttersprache war für ihn Heimat. Und an der hielt er konsequent fest.
    "Weil die Sprache das einzige ist, wo der Mensch und besonders der Schriftsteller nicht flüchten kann. Da ist er daheim - da bin ich zuhause."